Deutsche Redaktion

"Weitgehende Offenlegung bisher geheimer Dokumente"

04.12.2023 11:34
Die letzte Woche der Regierung Morawiecki falle noch schlechter aus, als die schlimmsten Monate der bisherigen Amtszeiten, schreibt Michał Szułdrzyński nach der Präsentation des Teilberichts der Kommission zu russischen Einflüssen. Und Maciej Miłosz von Dziennik/Gazeta Prawna kritisiert vor allem den Missbrauch von bisher streng vertraulichen Dokumenten für kurzfristige parteipolitische Interessen. Der Teilbericht sei leider nur eines von vielen Beispielen aus der jüngsten Vergangenheit, so der Publizist.
Prof. Sławomir Cenckiewicz i prof. Andrzej Zybertowicz - przewodniczący i członek komisji ds. wpływów rosyjskich
Prof. Sławomir Cenckiewicz i prof. Andrzej Zybertowicz - przewodniczący i członek komisji ds. wpływów rosyjskichPAP/Paweł Supernak

Rzeczpospolita: Gestohlene Flitterwochen

Der letzte Regierungswoche der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS)falle sogar schlechter aus als die schlimmsten Monate ihrer Amtszeit, schreibt in seinem Kommentar für die Rzeczpospolita der Publizist Michał Szułdrzyński. Das neuerliche Spektakel mit dem Bericht der Kommission zur Untersuchung russischer Einflüsse in Polen, so der Autor, zeige dies besonders deutlich. Einerseits hätten die Kommissionsmitglieder kurz vor der Abstimmung im Sejm, bei der sie durch die neue Mehrheit abberufen worden seien, mit ernster Mine erklärt, dass ihrer Meinung nach Donald Tusk, Bartłomiej Sienkiewicz und Tomasz Siemoniak keine staatlichen Funktionen im Zusammenhang mit der Sicherheit des Landes ausüben sollten. Andererseits verkünde sogar das Umfeld von Staatspräsident Andrzej Duda, der ein großer Enthusiast der Einrichtung dieser Kommission gewesen sei, dass, falls der Sejm ein Vertrauensvotum für Tusk abgibt, er nicht zögern werde, ihn als Premierminister zu vereidigen, auch wenn dies unglücklicherweise gerade auf den 13. Dezember, also den Jahrestag der Ausrufung des Kriegszustands in Polen, fallen könnte. Trotzdem sehe man, dass selbst der Staatspräsident nicht an diesem unsauberen Spiel teilnehmen wolle, da er wisse, dass das Urteil der Wähler klar sei. Duda, so Szułdrzyński,  könne sich jedoch nicht von der Verantwortung freisprechen, dass er sich der PiS nicht widersetzt habe, die beschlossen habe, die Machtübergabe nach den Wahlen maximal hinauszuzögern. Zuerst habe er die Sejm-Sitzung am spätestmöglichen Termin einberufen, dann habe er ein Schattenkabinett ernannt und vereidigt, das von Morawiecki geführt werde und das Kaczyński für eine Propagandaoperation benötigte, um die Folgen der Wahlniederlage und des Machtverlusts abzumildern.

Nicht nur der Bericht der Kommission, lesen wir weiter, zeige, wofür die PiS diese zusätzlichen Wochen benötigt habe. Auch die Verwirrung im Zusammenhang mit dem Gesetz zur Begrenzung der Stromrechnungen, das kontroverse Lösungen für Windkraftanlagen beinhalte, mache deutlich, worum es hier wirklich gehe. Das Gesetz werfe ernsthafte Bedenken auf, aber die PiS mache bereits seine Autoren aus der neuen Koalition dafür verantwortlich, als ob sie schon lange regieren würden. Dabei sei immer noch die PiS an der Macht, der Sejm mit der neuen Mehrheit arbeite, und das pro-PiS-Lager verkünde bereits den größten Skandal der neuen Regierung, die noch nicht einmal vereidigt worden sei. Infolgedessen müsse sich die neue Mehrheit für legislative Einwürfe rechtfertigen.

Duda werde in die Geschichte als derjenige eingehen, der der PiS geholfen habe, die Flitterwochen der neuen Mehrheit zu stehlen. Der größte Nutznießer dieses Prozesses sei Szymon Hołownia, der als erster Vertreter der neuen Mehrheit das Amt der zweiten Person in Polen übernommen habe und sich täglich bemühe, das Image eines Politikers eines ganz anderen Stils zu schaffen, als wir es bisher auf dieser Position kannten. Angesichts der Rekordzahlen bei den Übertragungen der Parlamentssitzungen profitiere er am meisten von der Situation. Vielleicht gehe es in der ganzen Operation genau darum – Hołownia gegen Tusk auszuspielen, spekuliert Michał Szułdrzyński in der Rzeczpospolita. 

Dziennik/Gazeta Prawna: Weitgehende Offenlegung bisher geheimer Dokumente

Auch der Publizist des Wirtschaftsblatts Maciej Miłosz übt scharfe Kritik an dem Teilbericht der Kommission zu russischen Einflüssen und hebt dabei besonders den laschen Umgang mit geheimen Dokumenten und deren Missbrauch für parteipolitische Zwecke hervor.  Wie Miłosz erinnert, habe die Kommission, die auf der Grundlage des sogenannten Lex Tusk entstanden sei, ihren Teilbericht nach nur zwei Monaten Tätigkeit veröffentlicht. Wie erwartet, habe sie dabei die  Empfehlung ausgesprochen, dass Donald Tusk, Tomasz Siemoniak und Bartłomiej Sienkiewicz schuldig sind. Und das, obwohl die Staatsanwaltschaft von Zbigniew Ziobro das Thema in dren letzten acht Jahren nicht in Anklagen umsetzen konnte. Es sei schon verwunderlich, dass ehemals angesehene (politische) Akteure sich bereit erklärt haben, in dem Spektaktel aufzutreten. Am Rande gesagt, so Miłosz, habe die Kanzlei des Ministerpräsidenten seit über einer Woche nicht auf seine  Fragen über die Kosten der Kommission geantwortet.

All das, so der Autor, ändere natürlich nichts an der allseits bekannten Tatsache, dass der Militärgeheimdienst unter der Leitung der Generäle Janusz Nosek und Piotr Pytel sich erstaunlich mit dem russischen FSB verbrüdert und für eine gewisse Zeit ohne Zustimmung der Politiker gehandelt habe. Die Rückkehr dieser Herren in den Dienst wäre daher ein grobes Missverständnis.

Viel interessanter sei jedoch, dass bei dieser Gelegenheit erneut Dokumente aus rein politischen Gründen entklassifiziert worden sind. Auf der Regierungsseite könne jeder neben dem genannten Bericht auch die kürzlich noch geheimen Aussagen von Bogdan Klich, Donald Tusk oder Jacek Cichocki lesen, der unter anderem Koordinator der Geheimdienste und Innenminister gewesen sei. Zudem sei dort auch aller Wahrscheinlichkeit nach ein kurzer Fragment eines Dokuments zu finden, das weiterhin strikt geheim sei. Das zeige die Eile und Schlampigkeit, mit der der Bericht vorbereitet worden sei und gebe Anlass dazu, jemanden anzuklagen. .  

Die Protokolle selbst seien eher langweilig, da niemand sich an etwas erinnern könne. Das Problem, mit dem wir konfrontiert seien, sei jedoch viel universeller als die schlechte Erinnerung der Politiker. In den letzten Monaten sei die Zahl der aus politischen Gründen entklassifizierten und später veröffentlichten geheimen Dokumente alarmierend hoch. Der bekannteste Fall sei die Veröffentlichung eines Teils der Verteidigungsstrategie Polen, die Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak während des Wahlkampfs genutzt habe, um die Opposition anzuschwärzen. Błaszczak habe versucht zu argumentieren, es sei ein historisches Dokument und deshalb gebe es kein Problem damit, es zu entklassifizieren. Aber das sei Unsinn. In den letzten 11 Jahren habe sich das polnische Militär nicht so sehr verändert, dass dieser Plan völlig anders aussehe. Sicherlich seien in den folgenden Dokumenten zahlreiche Korrekturen vorgenommen, aber grundlegende Änderungen seien es vermutlich nicht gewesen. Wenn die Anzahl der Soldaten und Ausrüstung ähnlich sei, wenn das Gelände dasselbe sei , könne man keine spektakulären Änderungen in der Verteidigungsstrategie erwarten. Außerdem helfe eine solche Lektüre, die Methoden und Prinzipien des polnischen Militärs besser zu verstehen. Auf diese Weise schießen wir uns selbst ins Bein, denn der Gegner schläft nicht und lernt trotz mangelnder spektakulärer Erfolge in der Ukraine weiterhin. Auch indem er diese Dokumente liest, so Miłosz.

Eine Wissensquelle aus kürzlich entklassifizierten Dokumenten sei auch die gegen Ex-Premier Tusk gerichtete TVP-Serie „Reset“ gewesen, die unter anderem den Bericht über Kontrollmaßnahmen einiger Einheiten des Militärgeheimdienstes veröffentlicht habe. Auch der ehemalige Verteidigungsminister Antoni Macierewicz habe bereits 2007 in seinem Bericht über die Militärischen Informationsdienste geheime Informationen veröffentlicht, unter anderem die Anzahl der Mitarbeiter der Inlandsgeheimdienstagentur beim Staatsunternehmen Orlen. Man könne sogar sagen, dass die weitgehende Offenlegung von bis vor kurzem geheimen Dokumenten fast eine Tradition der polnischen Dienste werde.

Die Gewinne aus solchen Offenlegungen seien kurzlebig und werden höchstens von Politikern genutzt. Der polnische Staat verliere jedoch an Glaubwürdigkeit und Effektivität. Man könne sich leicht vorstellen, dass aufgrund des Bewusstseins von Offenlegung und Enttarnung die Zahl derjenigen, die zur Zusammenarbeit mit den Diensten der Republik Polen bereit seien, sinken werde, anstatt zu steigen. Einen einmaligen Vorfall könne man irgendwie erklären oder vertuschen. Aber wenn wir daraus eine Gewohnheit machen, dann funktioniere etwas radikal nicht. Es lohne sich zu erinnern, dass Staaten, die ihre eigenen Geheimnisse etwas ernster nehmen, ihre Daten zum Beispiel erst nach 50 Jahren oder… nie offenlegen. Wir hingegen tun das schon nach ein paar Jahren. In dieser Hinsicht spricht vollständige Transparenz nicht für den polnischen Staat und seine Politiker, so Maciej Miłosz in Dziennik/Gazeta Prawna.

Autor: Adam de Nisau