Deutsche Redaktion

Leak vor Washington-Besuch: „Dilettanten im Präsidentenpalast" vs. „Sikorskis Gambit"

01.09.2025 12:08
Kurzsichtigkeit des Präsidentenpalast oder Intrige des Außenministers? Die geleakten Regierungsinstruktionen für Präsident Nawrockis Washington-Reise bleiben ein wichtiges Thema der heutigen Pressekommentare. Außerdem: Die Ermordung des ehemaligen ukrainischen Parlamentspräsidenten Parubij erschüttert die Region. Und: Neues Schulfach spaltet die Gesellschaft. Mehr zu diesen Themen in der Presseschau.
Der Leiter der Nationalen Sicherheitsbehrde Slawomir Cenckiewicz (L), der Prsident der Republik Polen Karol Nawrocki (P) und Ministerprsident Donald Tusk (C) whrend einer Zeremonie vor dem Denkmal fr die Verteidiger der Kste auf der Westerplatte in Danzig im Rahmen der Feierlichkeiten zum 86. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs, 1
Der Leiter der Nationalen Sicherheitsbehörde Slawomir Cenckiewicz (L), der Präsident der Republik Polen Karol Nawrocki (P) und Ministerpräsident Donald Tusk (C) während einer Zeremonie vor dem Denkmal für die Verteidiger der Küste auf der Westerplatte in Danzig im Rahmen der Feierlichkeiten zum 86. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs, 1 PAP/Adam Warżawa

GAZETA WYBORCZA: Im Ernst?

Nach dem Leak der Regierungsinstruktionen für den US-Besuch des Präsidenten geht Bartosz T. Wieliński von der linksliberalen Gazeta Wyborcza mit dem Präsidentenpalast hart ins Gericht. „Seid Ihr ernstzunehmen?", fragt der Autor Nawrockis Mitarbeiter und zeigt sich fassungslos über das Leck der Regierungsinstruktionen für die Washington-Reise, die über PiS-nahe Medien an die Öffentlichkeit gelangten. „Ihr habt Polen geschadet, weil klar wurde, dass es in unserem Land keinen Konsens und keine Zusammenarbeit in grundlegenden Fragen gibt", schreibt Wieliński.

Besonders brisant sei der Vorfall angesichts der „extrem delikaten Materie" der Beziehungen zu Trump. Amerika könne die Ukraine im Stich lassen oder sogar aus der NATO austreten. In dieser Situation müsse Europa mit einer Stimme sprechen. Dies werd jedoch nicht gelingen, wenn in Polen, dem fünften Land der Europäischen Union, die Außenpolitik und die Beziehungen zu den USA als Geisel für den Krieg des Präsidenten gegen die Regierung gehalten werden.

„Wie ernst kann man ein Land nehmen, an dessen Spitze ein Politiker steht, der diese Selbstverständlichkeiten nicht versteht?", fragt Wieliński rhetorisch. Er erinnert daran, dass bereits 2023 PiS-Politiker im Wahlkampf Fragmente polnischer Verteidigungspläne preisgegeben hätten – einer der Beteiligten leite heute das Büro für Nationale Sicherheit des Präsidenten.

Präsident Karol Nawrocki mache gerade seine ersten Schritte in der internationalen Politik. “Er sollte sich bei seinen Partnern (nicht nur in den USA) von seiner besten Seite zeigen. Indem Ihr diesen Skandal zugelassen habt, habt ihr ihm dabei sehr geholfen. Ihr Möchtegern-Profis”, so Wieliński an die Präsidialkanzlei. 

Der Kommentator kontrastiert Nawrockis Verhalten mit dem seines Vorgängers: Als Andrzej Duda vor einem Jahr Instruktionen für seine Peking-Reise erhielt, seien diese nicht an befreundete Medien weitergegeben worden, und Duda habe sich „bis aufs Jota" daran gehalten, obwohl er sich mit Premier Tusk nicht verstanden habe. „Ich befürchte, dass die Sache hier nicht endet", warnt Wieliński. Nach der USA-Reise sollte die Präsidialkanzlei eigentlich einen ausführlichen Bericht für die Regierung vorbereiten. Bisher habe das nicht einmal in Bezug auf die Tele-Schalten mit Trump geklappt. “Ich kehre zur Eingangsfrage zurück. Seid ihr ernst zu nehmen?", so Wieliński in seinem Kommentar für die Gazeta Wyborcza.

TVN24: Mastalerek sieht „großen Fehler" – aber nicht unbedingt beim Präsidenten

Auch der ehemalige Kabinettschef von Staatspräsident Duda, Marcin Mastalerek, äußerte sich im Fernsehsender TVN24 kritisch zum Leak. „Das ist ein großer Fehler, denn Karol Nawrocki hätte während des Treffens mit Trump ganz anders agieren können, wenn diese Instruktion nicht durchgesickert wäre", analysiert er. Was in der Innenpolitik helfe, könne der Außenpolitik schaden.

Doch laut Mastalarek könnte nicht nur die Präsidialkanzlei, sondern auch die Regierungsseite für das Leck verantwortlich sei: „Vielleicht war es einfach Außenminister Sikorskis Gambit." Er warnt vor den internationalen Konsequenzen: Wenn der Direktor für Europa im Nationalen Sicherheitsrat der USA das Dokument sehe, werde Trump gebrieft, dass der polnische Präsident keine Kompetenzen in Rüstungs- und Energiefragen habe – „also in den für uns wichtigsten Bereichen" und werde ihn dann auch entsprechend behandeln.

Zur Ukraine-Politik verteidigte Mastalerek die Linie Dudas als richtig und kritisierte indirekt die härtere Haltung Nawrockis, der zuletzt ein Veto gegen ein Hilfsgesetz für die Ukraine eingereicht hatte. Auf die Frage, ob Nawrocki in der Ukraine-Frage recht habe, antwortete er ausweichend: „Das sind Fragen an Karol Nawrocki. Ich glaube, Andrzej Duda hat recht. Wenn jemand in dieser Sache anders handelt als Andrzej Duda, dann glaube ich, dass er nicht recht hat."

RZECZPOSPOLITA: Parubij-Mord als Warnung an Europa

Die konservativ-liberale Rzeczpospolita widmet sich ausführlich der Ermordung des ehemaligen ukrainischen Parlamentspräsidenten Andrij Parubij in Lemberg. Bogusław Chrabota bezeichnet den Mord als klares Signal russischer Absichten. Der als Essenslieferant getarnte Mörder habe sieben Schüsse abgegeben und sei blitzschnell geflohen. „Die Ukraine ist trotz der Kriegshandlungen im Schock. Und niemand zweifelt daran, wer hinter dem Anschlag steht", schreibt Chrabota.

Der Autor, der Parubij persönlich kannte, zitiert dessen prophetische Worte von 2014: „Ich glaube nicht an eine Einigung mit Putin. Sein Hauptziel ist es, den Weg zu verhindern, den die Ukraine gewählt hat." Parubij habe damals gewarnt, dass Putins Strategie sich nicht auf die Annexion der Ukraine beschränke, sondern alle an Russland grenzenden Länder bedrohe. „Dieser Krieg ist nicht nur ein Krieg zwischen der Ukraine und Russland, es ist ein zivilisatorischer Krieg", so Parubij.

Chrabota betont die Wandlung Parubijs vom Mitbegründer der rechtsextremen Socjal-Narodna Partija zum Vertreter des politischen Mainstreams, der die polnisch-ukrainische Freundschaft als Bedingung für die Freiheit der Ukraine ansah. Seine Ermordung sei „ein deutliches Zeichen, dass die russische Agentur außerhalb der Grenzen der Russischen Föderation stark ist und kein Gegner des russischen Diktators ruhig schlafen kann. Und die Methoden haben sich seit sowjetischen Zeiten nicht verändert", so Bogusław Chrabota in der Rzeczpospolita.

NIEZALEŻNA.PL: Czarnek kündigt Boykott an

Am ersten Schultag des neuen Schuljahres spaltet die Einführung der „Gesundheitserziehung" das Land. Das nationalkonservative Portal Niezależna.pl berichtet in diesem Kontext  ausführlich über die Ankündigung des ehemaligen Bildungsministers Przemysław Czarnek, seinen Sohn vom neuen Unterrichtsfach abzumelden. „Ich bin selbst Vater und werde gleich meinen Sohn von diesen Stunden, von der Gesundheitserziehung, abmelden", erklärte Czarnek im Super Express. Er bezeichnete das neue Fach als „demoralisierend" und betonte, dass die “Erziehung zum Leben in der Familie” wirklich ein gutes Fach gewesen, während das, was jetzt eingeführt werde, demoralisierend sei. Czarnek verweist auf die „Hunderttausende Menschen auf den Straßen polnischer Städte", die Ministerin Nowacka gezwungen hätten, das Fach zumindest freiwillig zu machen. 

Wie das Blatt weiter berichtet, würden katholische Organisationen an Präsident Nawrocki appellieren, gegen die Pläne von Bildungsministerin Barbara Nowacka vorzugehen. Das Ordo-Iuris-Institut warne, dass „unter dem Vorwand der Gesundheitsfürsorge das Bildungsministerium durch die Hintertür vulgäre Sexualerziehung in polnische Schulen einführt".

Laut dem neuen Lehrplan sollen Schüler nach dem Unterricht in der Lage sein, „Geschlechterstereotype aufzuzählen und deren Einfluss auf das menschliche Funktionieren zu erklären", „das Konzept der psychosexuellen Orientierung und die Richtungen ihrer Entwicklung zu erörtern" sowie „Begriffe im Zusammenhang mit der Geschlechtsidentität zu erklären". Eltern, die ihre Kinder von diesem Unterricht befreien wollen, müssen bis zum 25. September eine spezielle Erklärung bei der Schule einreichen, erinnert Niezalezna.pl. 

DZIENNIK/GAZETA PRAWNA: „Der Schrank spielt"

Als seine eigenen Kinder noch zur Schule gingen, sei er kein progressiver Vater gewesen, schreibt in Bezug auf den Streit der Feuilletonist von Dziennik/Gazeta Prawna Jan Wróbel. „Sex in der Schule würde ich auf Biologieunterricht beschränken, und Unterricht, in dem Jungen Röcke anziehen, um einen Impuls zur Reflexion über die Wahl des eigenen Lebensweges zu bekommen, würde ich auf sehr außerschulische Aktivitäten beschränken." Nur, so der Autor, sei heute die Welt der Kinder und Jugendlichen den Eltern entglitten.

Der Streit über die Pflicht zur „Gesundheitserziehung" sei ein Streit aus vergangenen Spielzeiten, argumentiert Wróbel. Die „Schweinereien", deren Unterrichtung Ex-Minister Czarnek dem Ministerium vorwerfe, seien nichts im Vergleich zu den Schweinereien, die der durchschnittliche Fünftklässler täglich in die Schule bringe – „zusammen mit seinem Smartphone, das er höchstwahrscheinlich zum Geburtstag von liebenden Eltern bekommen hat".

Wenn etwas bedauernswert sei, dann die Tatsache, dass nicht die Eltern die Einführung des Fachs gefordert hätten. Folglich werde es ein weiteres von oben angeordnetes Fach sein, das von der Schulroutine verschluckt werde. Der Lehrplan vieler Fächer sei überladen, und „seltsame Fächer" wie Bürgererziehung, Unternehmertum, Kunst oder Religion würden daher immer in die zweite Liga fallen. Die lauten Erklärungen der PiS, das Fach nach den nächsten Wahlen als erstes abzuschaffen, würden dessen ernsthafte Behandlung zusätzlich untergraben – „wie es mit der Gegenwartsgeschichte geschah, der vielleicht einzigen wertvollen Innovation in der Schule, die von der PiS durchgeführt wurde".

Es, so der Autor, gebe zwei Führungsstile: Der Leader, der sich um das kümmert, was bereits gut läuft und Energie verleiht, versus der Eigentümer, der Manager versammelt und ihnen erleuchtete Ideen diktiert. „In dieser ersten Vision sind die Lehrer das geführte Unternehmen, in der zweiten sind sie seine Arbeiter." Und das Bildungsministerium wähle seit Jahren die zweite Version. 

Der Widerstand eines Teils der Gesellschaft sei vorauszusehen gewesen: „Ein solcher Widerspruch, obwohl für die Schule unfruchtbar und unsinnig, ist für politische Kämpfe nützlich. Hier die progressiven Erzieher, dort die Hinterwäldler." Idealer politischer Zündstoff. Doch eigentlich sollte der Schutz von Kindern und Jugendlichen eine Priorität für Eltern, Schulen, das Ministerium und letztlich einfach für die Politiker sein. Eine Erziehung, die konsequent, aber mit wechselndem Kerncurriculum - weil sich die Welt so schnell verändert - und unter den Bedingungen eines ständig ausgearbeiteten Kompromisses über Umfang und Methoden durchgeführt wird, ist um ein Vielfaches notwendiger als andere Fächer, so Jan Wróbel in Dziennik/Gazeta Prawna.

Autor: Adam de Nisau


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