Rzeczpospolita: Polen im Wahlchaos: Wer hat das letzte Wort?
Nach den jüngsten Reaktionen des Premierministers und des scheidenden Präsidenten auf die umstrittenen Wahlergebnisse steuere Polen auf eine schwere politische Krise zu – eine, wie sie die polnische Demokratie noch nie erlebt habe, schreibt Michał Szułdrzyński, Chefredakteur der konservativ-liberalen Rzeczpospolita am Dienstag.
Wie wir lesen, habe Premier Donald Tusk – halb ernst, halb spöttisch – PiS-Chef Jarosław Kaczyński, Präsident Andrzej Duda und den neuen, designierten Präsidenten Karol Nawrocki angeschwärzt. Sie hätten kein Interesse daran, das wahre Wahlergebnis zu erfahren. „Ehrliche Menschen haben nichts zu befürchten“, soll Tusk geschrieben haben. Damit reihe sich der Regierungschef nach zwei Wochen Unklarheit nun auch unter jene ein, die das Ergebnis der polnischen Präsidentschaftswahl anzweifeln. Und das obwohl er noch vor wenigen Tagen versichert habe, das Wahlergebnis sei unanfechtbar. Er selbst habe davor gewarnt, das Vertrauen in staatliche Institutionen zu untergraben. Jetzt scheine er offensichtlich seine Meinung geändert zu haben, schreibt Szułdrzyński.
Warum tut der Premier das? Dafür könnte es mehrere Gründe geben, heißt es weiter. Vielleicht glaube Tusk, es sei für ihn von Vorteil, die Rechtmäßigkeit von Karol Nawrockis Wahl infrage zu stellen. Selbst wenn das Ergebnis offiziell nicht annulliert werden würde, die Zweifel würden bleiben – und genau davon lebe Tusks Wählerschaft. So würde der Premier Nawrockis Legitimität schwächen und schon zu Beginn einen Konfrontationskurs mit seiner Regierung vorprogrammieren.
Von „Koexistenz“ könne daher keine Rede sein, lesen wir. Es drohe ein offener Machtkampf an der Staatsspitze. Für die Regierung sei das womöglich bequemer als eine konstruktive Zusammenarbeit: Die Schuld für alles könne so einfach dem Präsidenten zugeschoben werden, den viele Regierungsanhänger ohnehin nicht anerkennen werden. Für den polnischen Staat sei das sehr schlecht. Gut sei es nur für die Polarisierung und den Machterhalt zweier politischer Lager, heißt es im Blatt.
Ganz nebenbei würde dem Premier auch niemand die Niederlage seines Kandidaten Rafał Trzaskowski anlasten, fährt der Autor fort. Denn wenn die Wahl nicht fair gewesen sei, so habe es auch keine echte Niederlage gegeben. Je härter der politische Konflikt, desto besser für Tusk – denn das erhöhe die Chancen, seine Wähler bis 2027 zu mobilisieren. So wie Andrzej Duda nach der Wahl 2023 Donald Tusk den Sieg vermiest habe, indem er Mateusz Morawiecki mit der Regierungsbildung beauftragt hatte, so verderbe Tusk nun den Sieg seines Gegners
Die oppositionelle PiS indes möge sich über die regierende Bürgerkoalition ärgern, weil sie das Wahlergebnis infrage stelle. Szułdrzyński zufolge sei es jedoch die PiS selbst gewesen, die das Wahlsystem zu ihrer Regierungszeit beschädigt habe. Heute gebe es keine Instanz mehr, die das Misstrauen beider Seiten glaubwürdig ausräumen könnte. Für das PiS-Lager seien alle Versuche, die Zweifel von Trzaskowskis Wählern zu klären, ein Angriff auf die Demokratie – ein Versuch, Karol Nawrocki den Wahlsieg zu stehlen. Für immer mehr, zunehmend frustrierte Trzaskowski-Wähler hingegen sei die Wahl gestohlen worden. Für sie sei Nawrocki ein Usurpator.
Wenn die Wahl gestohlen wurde, dann nicht am 1. Juni. Geht es nach dem Autor, wurde sie den Polen schon vorher gestohlen – von Donald Tusk und Jarosław Kaczyński. Sie beide würden vom scharfen Konflikt profitieren. Seit zwei Jahrzehnten würden sie politisch von dieser Spaltung leben. Sie seien die Nutznießer des gegenseitigen Misstrauens.
Heute stehe die polnische Gemeinschaft damit am Rand einer Verfassungskrise, lesen wir am Schluss im Blatt. Und das eigentlich Erschreckende: Keine der beiden Seiten suche den Ausgleich. Statt Brücken zu bauen, würden die Gräben nur noch tiefer gezogen, lautet Michał Szułdrzyńskis Fazit in der Rzeczpospolita.
DoRzeczy: Die Propagandakampagne zur Anzweiflung des Wahlergebnisses läuft weiter
Der Verfassungsexperte Prof. Ryszard Piotrowski kritisiert im rechtskonservativen Wochenblatt DoRzeczy die „hysterische Propaganda" rund um die Präsidentschaftswahl, die von Teilen der Regierungspartei geschürt werde. Regierungspolitiker stellen demnach das Ergebnis der Präsidentschaftswahl immer offener in Frage. Aktivisten der Bürgerkoalition und radikale Anhänger Donald Tusks sollen offen von angeblichen Wahlfälschungen sprechen, die den Erfolg von Karol Nawrocki entschieden haben sollen. Nach Ansicht der Radikalen sei der wahre Gewinner der liberale Rafał Trzaskowski, und die oppositionelle Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) habe die Ergebnisse in irgendeiner Weise manipuliert.
Diese Stimmung werde nun von Premier Donald Tusk und Justizminister Adam Bodnar angeheizt. Sie fordern eine Neuauszählung der Stimmen vom 1. Juni. Ihnen zufolge sei die Oberste Kontrollkammer für außergewöhnliche Fälle, welche die Wahlergebnisse bestätigt, nämlich kein legitimes Gericht. Der Regierungschef habe daher kürzlich geschrieben, dass ihn nur die „wahren“ Ergebnisse der Präsidentschaftswahl interessieren würden.
Die öffentliche Meinung gezielt zu beeinflussen, um dem neuen Präsidenten langfristig die Legitimität abzusprechen – nicht nur in den nächsten Monaten, sondern während der gesamten Amtszeit – dies sei ein Angriff auf die Verfassungsordnung der Republik Polens. Und das müsse man klar sagen, meint der Verfassungsrechtler, Prof. Ryszard Piotrowski. Die Situation sei beispiellos, lesen wir. Auch bei früheren Präsidentschaftswahlen habe es zwar Proteste gegeben – aber ohne eine gezielte Propagandakampagne zur Diskreditierung des neuen Präsidenten. Nicht allen habe der neue Staatschef gefallen, aber so funktioniere Demokratie halt: Die einen freuen sich, die anderen nicht. Doch trotz aller Unzufriedenheit habe damals niemand bestritten, dass der Präsident von der Mehrheit gewählt wurde, sagt Piotrowski.
Sollte der Oberste Gerichtshof nach einer Prüfung aller Klagen die Wahlen für ungültig erklären, dann müsse neu gewählt werden. Aber nach einer abgeschlossenen Wahlkampagne eine neue Kampagne zu starten, nur um das Ergebnis anzuzweifeln – allein wegen dessen Ausgangs – sei inakzeptabel, heißt es. Die Anfechtung der Wahl mit Verweis auf angebliche Unregelmäßigkeiten, während man gleichzeitig behaupte, es gebe keine Instanz, die darüber rechtsgültig entscheiden könne, führe direkt in eine demokratische Krise, lesen wir. Als Ergebnis würden die Polen den Glauben an den Sinn von Wahlen verlieren, warnt Professor Piotrowski.
Wprost: Der israelische Schwanz wedelt weiterhin erfolgreich mit dem amerikanischen Hund
In dem Wochenblatt Wprost schreibt Jakub Mielnik über die neueste Wende in dem israelisch-iranisch-amerikanischen Konflikt. Wie wir lesen, habe Netanjahu in nur zwölf Tagen den Erzfeind Israels besiegt. Damit habe er einmal mehr bewiesen, wie geschickt Israel Washingtons Kurs beeinflussen könne. Wie der israelische Schwanz weiterhin erfolgreich mit dem amerikanischen Hund wedle. Trump wiederum habe die Gelegenheit genutzt, um zu zeigen, dass Amerika nicht nur mit Gegnern flirte, sondern auch zuschlagen könne.
Und die Russen? Geht es nach dem Autor, würden sie wie so oft in solchen Momenten schweigen. Sie seien zufrieden damit, die iranischen Ajatollahs ohne Gegenleistung für ihre Drohnentechnologie zum Einsatz gegen die Ukraine ausgepresst zu haben. Russische Trolle, die im Netz mal wieder den nuklearen Weltuntergang herbeireden, müssten nun ihre eigenen Parolen runterschlucken, lesen wir weiter. Das mit Moskau verbündete Regime in Teheran habe eine vernichtende Niederlage kassiert – und vom Untergang des Westens sei wieder einmal keine Spur. Ganz im Gegenteil. Geht es nach Mielnik, habe die unter Trump ins Wanken geratene Supermacht USA neuen imperialen Wind in den Segeln. Sie habe gezeigt, dass sie kraftvoll zuschlagen kann – mitten ins Gesicht – und niemand wage es, ernsthaft zu widersprechen.
Für die zivilisierte Welt wäre es durchaus wünschenswert, wenn dem US-Präsidenten solche Machtdemonstrationen öfter gefallen würden, heißt es. Doch Trump habe derzeit ein anderes Problem: Jeder wisse, dass die – wenn auch vorübergehende – Ausschaltung Irans das Ergebnis einer Intrige von Israels Premier Netanjahu sei. Zuerst habe Netanjahu Trump in eine direkte Konfrontation mit Teheran hineingezogen, um dann, wie er selbst erklärt habe, den „amerikanischen Vorschlag für eine Waffenruhe“ zu akzeptieren. Wahrscheinlich sei es daher genau an ihn gerichtet, schreibt Jakub Mielnik am Schluss in Wprost, wenn Trump jetzt auf X in Großbuchstaben rufe: „DIE WAFFENRUHE GILT – BITTE NICHT BRECHEN!“
Autor: Piotr Siemiński