Während seiner Rede im März 2022 auf dem Warschauer Schlossplatz donnerte der damalige US-Präsident Joe Biden, dass der Kampf gegen Autokratien eine generationenübergreifende Aufgabe sei, die vor der westlichen Welt liege. Währenddessen entwickelt der in seinem Schatten verbleibende Osten seit Jahren eigene Strukturen und baut Muskeln auf, doch erst jetzt – im vierten Jahr der russischen Invasion in der Ukraine – beginnt die westliche Öffentlichkeit ihn vollständig wahrzunehmen
Meilenstein wachsender Unsicherheit
Es ist dabei keine Welt, die ihre Absichten verbirgt: Sie will die Ordnung zerstören, den Status quo umstürzen und die Vorherrschaft übernehmen. Dieses Ziel, das sich kaum vom klassischen Revisionismus unterscheidet, wird mit der Soße von "mehr Gerechtigkeit" und "Wiedergutmachung für die Unterdrückten" übergossen – um die nötige Unterstützung in den Ländern des globalen Südens zu gewinnen. Das soeben beendete Gipfeltreffen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) kann daher als weiterer Meilenstein in der wachsenden Unsicherheit auf der internationalen Bühne betrachtet werden.
In der chinesischen Hafenstadt Tianjin versammelten sich über 20 Staatsführer des globalen Südens unter der Leitung des chinesischen Staatschefs Xi Jinping, um ihre Vision der internationalen Ordnung zu manifestieren. Ein Durchbruch war der Besuch – nach sechsjähriger Pause – des indischen Premierministers Narendra Modi. Dieser vermied jedoch laute Erklärungen über eine "alternative Ordnung" und hielt konsequent an seiner Politik der Neutralität und des Pragmatismus fest. Trotz Xis Erklärungen über die Möglichkeit eines "Tanzes von Drache und Elefant" ließ sich Modi nicht von der Rhetorik über die Notwendigkeit mitreißen, alles auf den Kopf zu stellen. Die SOZ bleibt für ihn ein Albtraum – eine Organisation, die ursprünglich ein Sicherheitsforum sein sollte, heute aber immer mehr einer Regionalunion unter Pekings Führung ähnelt und dabei Rivalen Delhis wie Pakistan oder China selbst vereint.
Putins mentale Abhängigkeit von Peking
Anders Wladimir Putin. Mit dem unterbewussten Bedürfnis, dem Westen zu beweisen, dass er nicht isoliert ist, sowie der Überzeugung, dass Anfang der 2000er Jahre ein Fehler gemacht wurde, als Russland nicht in die euroatlantische Welt einbezogen wurde, warf er sich in die Arme der chinesischen Vision. Er lobte Xis Eröffnungsrede über die Notwendigkeit, ein "gerechteres globales Governance-Modell" zu schaffen, und stellte sogar die These auf, dass die SOZ zum Fundament und Motor des neuen Systems werden solle. Indem er Bandwagoning betreibt – eine Strategie, bei der kleinere und schwächere Staaten die stärkeren unterstützen – und seine eigenen Ideale verrät – sprich die gescheiterten Versuche, eine institutionelle Architektur auf Basis der OVKS (Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit) oder der EAWU (Eurasische Wirtschaftsunion) aufzubauen – gerät er immer tiefer in Abhängigkeit von Peking. Und zwar nicht so sehr wirtschaftlich oder politisch, sondern mental. Dem in seiner Freizeit Geschichte studierenden Putin muss es besonders unangenehm sein wegen der Rollenumkehr – schließlich gab seine geliebte UdSSR jahrzehntelang den Ton in den Beziehungen zu China an. Heute wird dies mit Formeln über "ewige Freundschaft" und "strategische Partnerschaft" überdeckt. In Wirklichkeit ist sie kurzfristig und basiert auf einer Wertegemeinschaft... beim Anziehen der Daumenschrauben.
Keine Roadmap und keine Instrumente
Der Gipfel selbst brachte jedoch keine Roadmap – die Staaten des globalen Südens sind seit zwei Jahrzehnten nicht in der Lage, eine solche zu erstellen – und auch keine konkreten Instrumente, mit denen sie eine neue, illiberale internationale Ordnung mitgestalten könnten. Die "Tianjin-Erklärung" wirft alles in ein Dokument: von der Notwendigkeit einer UN-Reform über den Kampf gegen Separatismus und "destruktive Ideologien" bis hin zu landwirtschaftlichen Fragen.
Die wahre Krönung der Machtdemonstration des alternativen Pols – und das Signal, dass eine neue Ära der Bipolarität beginnt – war jedoch die Militärparade in Peking anlässlich des Endes des Zweiten Weltkriegs in Asien. Die präsentierten Waffen bewiesen deutlich, dass China sich nicht mit der Rolle einer Regionalmacht zufriedengibt, sondern nach globaler Führung strebt. Die neue Version der Interkontinentalrakete DF-5C, die Hyperschallgeschosse YJ-19, das Antisatellitensystem HQ-29 oder das geheimnisvolle Unterwassergerät AJX002 sind Waffen, die zu mächtig sind, um sie auf eine eventuelle Invasion Taiwans zu beschränken. Es ist eine Herausforderung, die vor allem an die Vereinigten Staaten gerichtet ist – und weit über den Indopazifik hinausgeht.
Das Spiel um die Zukunft läuft. Die Positionen beider Blöcke werden immer deutlicher, und das Konfrontationspotenzial wächst von Jahr zu Jahr. Und es ist wohl höchste Zeit, sich an Joe Bidens Botschaft zu erinnern.
Leon Pińczak
Analyst für Sicherheit und Ostangelegenheiten, Polityka Insight