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Kontinuität und Widerstand: Grydzewski und die Londoner ʺWiadomościʺ

09.08.2021 16:10
Die nach 1945 in London herausgebrachten ʺWiadomościʺ wurden zu einer bedeutenden Plattform für die meinungsstärksten polnischen Intellektuellen jener Zeit. Neben der in Paris erscheinenden ʺKulturaʺ war die Wochenzeitung von Mieczysław Grydzewski ein weiterer Hort der unabhängigen geistigen Emigration.
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Mieczysław Grydzewski
Mieczysław Grydzewski Wikimedia Commons/dp

Bevor die deutsche Wehrmacht im September 1939 Polen überfiel, schwamm der Warschauer Verleger Mieczysław Grydzewski auf einer wahrlichen Erfolgswelle. Die von ihm redigierte und herausgegebene Wochenzeitung ʺWiadomości Literackieʺ zählte zwischen den beiden Weltkriegen zu den meistgelesenen Zeitschriften der jungen Republik. Das Schicksal von Grydzewski steht für eine typische Literatenexistenz im Warschau der 20er und 30er Jahre. Was ihn mit vielen anderen Kollegen verband, war die Erkenntnis der politischen Einflussnahme, die das journalistische Schreiben bot.
Doch das heute so oft beschworene Bild von den ʺGoldenen Zwanzigernʺ trügt. Trotz der militärischen Erfolge Józef Piłsudskis war die Gefahr weiterer Angriffe nicht gebannt, die polnischen Grenzen längst noch nicht konsolidiert. Die Angst vor dem Verlust des unlängst Wiederlangten war allgegenwärtig. Innenpolitisch war diese von Spannungen geprägte Epoche eine höchst widerspruchsvolle Zeit, die sich - zumindest in Polen - einem vereinheitlichenden Zugriff entzieht. So hat sich auch die Bedeutung der redaktionellen Treffpunkte gewandelt. Waren im Jahr 1918 die Warschauer Kaffeehäuser noch eine Art ʺHeimatersatzʺ für Autoren, die der Tagespolitik eine Absage erteilt hatten, kehrten sie nach 1920 zu ihrer Funktion als ʺNachrichtenbörsenʺ zurück. Auf die Erfahrung von Krieg und Orientierungsschwierigkeiten antworteten scharfzüngige Kolumnisten wie Grydzewski oder Słonimski daher erneut mit einer Politisierung ihrer Kunstproduktion. In den Cafés verkehrten neben Literaten und Journalisten nun auch Generäle und Wirtschaftsvertreter. Die erstmals 1924 veröffentlichten ʺWiadomości Literackieʺ waren daher oft nur vom Titel her ʺliterarischʺ, richteten sie sich doch vornehmlich an den politisch interessierten Leser.

Nach dem Verfall der Demokratie im benachbarten Deutschland und der schier ausweglosen Lage vieler Polen während der Okkupation konnte sich dies freilich kaum ändern. Kurz nach dem Kriegsausbruch musste der jüdischstämmige Grydzewski seine Heimat verlassen und ging zunächst nach Paris, wo er dessen Wochenzeitung wieder zum Leben erweckte, diesmal unter dem unverblümten Titel ʺWiadomości Polskie, Polityczne i Literackieʺ. ʺQuer über alle Parteigrenzen hinweg versammelte er in seinem Blatt namhafte Autoren aus der Vorkriegszeit, die entschieden Position gegen die Nazis und Sowjets bezogen haben. Grydzewski war für sie ein Glücksfall, denn im Ausland konnten nur wenige von ihnen mit kontinuierlichen Einkünften rechnenʺ - berichtet der Krakauer Literaturkritiker und Migrationsforscher Maciej Urbanowski.

Zunächst bedeutete das Exil einen Schock, der natürlich potenziert wurde, als sich nach dem Westfeldzug die Hoffnung auf einen baldigen Zusammenbruch des Dritten Reichs als Illusion erwies. Mieczysław Grydzewski und dessen Redaktion mussten nach London flüchten. Ab 1946 erschien die bekannte Wochenzeitung nun auch in Großbritannien. Jetzt hieß sie nur noch ʺWiadomościʺ, war aber umfangreicher denn je. Das um etliche Sektionen erweiterte Magazin wurde zur medialen Plattform für die meinungsstärksten Intellektuellen jener Zeit und damit - neben der in Paris erscheinenden ʺKulturaʺ - zum weiteren nationalen Hort, der bei der polnischen Emigration eine unübersehbare Prägung hinterließ. Józef Mackiewicz, Marian Hemar, Jan Lechoń, Józef Łobodowski oder Zygmunt Nowakowski – die Liste all jener, die widerstandsfähig genug waren, um gegen den politischen Gesinnungswandel ihrer einstigen Freunde vorzugehen, ließe sich beliebig fortsetzen, meint der Kulturhistoriker Paweł Chojnacki. ʺHerausgerissen aus ihrem alten Leben und abgeschnitten vom heimischen Publikum fanden sie sich in einer prekären Lage wieder, mit der diejenigen am besten fertig wurden, die ihre journalistische Tätigkeit als Teil des polnischen Unabhängigkeitskampfes verstandenʺ.


Die nach 1945 in London herausgebrachten ʺWiadomościʺ wurden zu einer bedeutenden Plattform für die meinungsstärksten polnischen Intellektuellen jener Zeit. Die nach 1945 in London herausgebrachten ʺWiadomościʺ wurden zu einer bedeutenden Plattform für die meinungsstärksten polnischen Intellektuellen jener Zeit.

Neben den zornigen Polemiken auf jene Schriftstellerkollegen, die nach 1945 dem Personenkult Stalins frönten, fand sich in den ʺWiadomościʺ genug Platz für nostalgische Momente. Nach dem Krieg konnte die kulturelle Topografie wichtiger Metropolen häufig nur noch mit Hilfe alter Stadtpläne und der Literatur vergegenwärtigt werden. Die Exilanten in London suchten nach neuen Ausdrucksformen, mit denen das Vorkriegspolen in schriftlich fixierten Erinnerungen fortleben konnte. ʺDie Themse und der Tower of London erinnern mich gelegentlich an die Weichsel und den Wawel-Hügel, auch wenn das bedrückende Antlitz der englischen Hauptstadt sich kaum mit der Schönheit Krakaus vergleichen lässtʺ - schrieb Zygmunt Nowakowski, für den der Heimatverlust eine besonders schmerzliche Leidenserfahrung war. Die Lektüre seiner Kolumnensammlung ʺLajkonik na wygnaniuʺ verdeutlicht, welchen Belastungen polnische Autoren ausgesetzt waren, die isoliert von der ihnen vertrauten Sprache zurechtkommen mussten.

Dennoch überdauerten die Londoner ʺWiadomościʺ beinahe 35 Jahre. Eine Ausstellung in den Räumen der Nikolaus-Kopernikus-Universität in Toruń illustriert die Geschichte dieser bedeutenden Exilzeitung. Eindrucksvoll ist ebenso die Biografie des Herausgebers. Mieczysław Grydzewski war ein fleißiger und hilfsbereiter Redakteur, der sich um seine Autoren kümmerte und sich selbst dabei häufig vergaß. Seine stilistisch vorzüglichen Feuilletons unter dem Titel ʺSilva Rerumʺ unterschrieb er häufig mit einem Pseudonym. Hinter dieser vermeintlichen Uneigennützigkeit verbarg sich jedoch eine unmissverständliche Botschaft: Alle Autoren, die sich mit Beiträgen an seiner Zeitschrift beteiligten, sehnten sich nach einem Polen, das frei von sowjetischen Truppen war.

Wojciech Osiński