Deutsche Redaktion

Regierung unter dem wachsamen Auge des Vizepremiers

01.10.2020 12:58
Wichtiges Thema in den heutigen Pressekommentaren ist die neue Zusammensetzung der Regierung Morawiecki. Außerdem geht es auch um die Frage, ob der Bericht der EU-Kommission zur Rechtsstaatlichkeit tatsächlich etwas ändern kann.
Premier Mateusz Morawiecki i prezes PiS Jarosław Kaczyński
Premier Mateusz Morawiecki i prezes PiS Jarosław KaczyńskiTwitter/Prawo i Sprawiedliwość

Wichtiges Thema in den heutigen Pressekommentaren ist die neue Zusammensetzung der Regierung Morawiecki. 

 

Dziennik/Gazeta Prawna: Regierung unter dem Auge des Vizepremiers

Nur die Vision einer Wiederholung des Szenarios von 2007, als die PiS nach einer Koalitionskrise und vorgezogenen Parlamentswahlen die Macht verloren hatte, habe Kaczyński von einer Zerschlagung der Vereinigten Rechten abgehalten, verrät dazu, im Gespräch mit dem Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna ein Regierungsmitglied. Ein anderer Informant aus Regierungskreisen, lesen wir im Artikel, füge hinzu, dass eines der größten Fragezeichen bei der Rekonstruktion die Nominierung von Grzegorz Puda zum Landwirtschaftsminister sei. Seine Vorgänger: Ardanowski oder Jurgiel, seien eng mit den Landwirten verbunden gewesen, sie hätten gewußt, wie man mit diesen Menschen spricht. Puda entstamme nicht diesem Umfeld und daher sei ungewiss, welche Reaktionen er auslösen werde, besonders nachdem die PiS mit dem Verbot der Pelztierzucht die Wähler auf dem Lande verärgert habe. 

In der neuen Regierung, beobachtet das Blatt, sei nur eine Frau vertreten - Marlena Maląg, Chefin des beschnittenen Familien- und Sozialpolitik-Ressorts (Es sei denn, die Ziobro-Partei Solidarisches Polen werde für den Ministerposten ohne zugehöriges Ressort eine Frau entsenden). Nach dem Inkrafttreten der Verfassung 1997, lesen wir, sei dies die einzige Regierung mit so geringem Frauenanteil, außer der Regierung von Marek Belka. Dies sei insofern paradox, als dass in der ersten Regierung Morawiecki noch sechs Frauen gesessen hätten und damit 27 Prozent des Kabinetts bildeten, was wiederum der höchste Anteil seit 1997 gewesen sei. Gleichzeitig habe sich die Zahl der Regierungsmitglieder, auch wenn die Zahl der Ressorts von 20 auf 14 falle, nicht in gleichem Maße verringern. Es werden 21 Personen sein, darunter sechs ohne Ressort. 

 

Gazeta Wyborcza: Czarnek, also Schutt und Asche

Die linksliberale Gazeta Wyborcza konzentriert sich in ihrem Aufmacher auf dem neuen kontroversen Bildungs- und Hochschulminister, Przemysław Czarnek. Das letzte, was die polnischen Schulen und Hochschulen jetzt brauchen würden, so das Blatt, sei ein ideologischer Kreuzritter mit ministerialen Kompetenzen. Czarnek würde als Kandidat für den Vorsitz im Bildungs- und Hochschulministerium dessen öffentliche Aktivität in den letzten Jahren disqualifizieren. Die Stigmatisierung eines Teils der Bürger als "Devianten" und "Sittenstrolche" und die Unterstützung von Xenophoben und Rechtsradikalen aus dem Nationalradikalen Lager ONR, mit denen er, noch als Woiwode der Lubelskie-Woiwodschaft, gemeinsam in einem Marsch marschiert sei. 

Czarnek, so das Blatt weiter, würde nicht verbergen, dass sein Ziel der Kampf mit der "LGBT-Ideologie" und "linksradikalen Hirngespinsten", wie Gender-Studies sei. Dass die Weltlichkeit des Staates, darunter des Bildungswesens kein wichtiges konstitutionelles Prinzip sei. Und dass man die Verfassung an seine Ziele anpassen könne, wenn es dem Regierungslager so passe. Daher werde seine Ernennung die Zensur von Schulprogrammen und die Forcierung von neuen bedeuten, die mit den katholischen Ansichten des Ministers und der Regierung konform seien. Und den Versuch, die neueste Geschichte des Landes neu zu schreiben. Schließlich Bemühungen, die Freiheit von Universitäten und die Forschungsfreiheit einzuschränken. 

Für die Schulen, die sich nach der undurchdachten Liquidierung von Gymnasien im Chaos befinden würden, sei dies besonders schmerzhaft. Statt eines effizienten und gemäßigten Organisators, der die Herausforderungen des XXI. Jahrhunderts verstehe, würden sie nun einen der Anführer eines ideologischen Kreuzzugs serviert bekommen. Die Nominierung von Czarnek werde das Schulsystem, das über die Bildung von 6 Millionen Schülern wache, in Schutt und Asche legen, so Gazeta Wyborcza. 

 

Gazeta Wyborcza: Polen auf der Eselsbank

Zweites wichtiges Thema in den Zeitungen ist der neue, gegenüber Polen kritische Bericht der Europäischen Kommission zur Rechtsstaatlichkeit. Nach der Lektüre des Dokuments, in dem die Situation in allen 27 Mitgliedsstaaten auf den Prüfstand gestellt worden sei, so der Publizist der Gazeta Wyborcza, Bartosz Wieliński, habe man nicht den Eindruck, dass Polen und Ungarn obsessiv oder ungerecht behandelt worden seien. Auch das Argument der Gegner eines ganzheitlichen Dokuments, laut denen der in Beamten-Jargon verfasste Bericht das Ausmaß der Zerstörung des Rechtsstaats in Polen oder Ungarn verwässern könnte, habe sich als unbegründet erwiesen. Die Skala des autoritären Prozesses sei deutlich zu sehen, so Bartosz Wieliński in der Gazeta Wyborcza. 

 

Rzeczpospolita: Meint es die EU-Kommission wirklich ernst? 

Die schlechte Nachricht im Zusammenhang mit dem Bericht für die Regierung in Warschau sei, dass die Rechtsstaatlichkeit wohl nicht so schnell aus der Agenda der Europäischen Kommission fallen werde, beobachtet der Publizist der konservativen Rzeczpospolita Michał Szułdrzyński. Ganz im Gegenteil - die Verpflichtung der Kommission zur alljährlichen Vorbereitung der Analyse bedeute, dass sie eines der Leitmotive der Arbeit der Kommission sein werde, unabhängig von den Präferenzen des ein oder anderen Kommissionschefs. Es gebe aber auch eine gute Nachricht für die PiS: da der Bericht offenbar keine konkreten Konsequenzen nach sich ziehen werde, scheine die Kommission die ganze Sache doch nicht hundertprozentig ernst zu meinen. Die Nervosität der konservativen Politiker in Polen sei daher nicht gerechtfertigt, es sei denn, ihr Ziel sei es, das Vertrauen der Polen gegenüber der EU weiter zu untergraben, so Michał Szułdrzyński in seinem Kommentar für die Rzeczpospolita.  

 

Autor: Adam de Nisau