Deutsche Redaktion

Prof. Krasnodębski: Erstarrt vor dem Schreckgespenst des Populismus

25.02.2021 13:02
Am 23. Januar 2012 hat „die Neue Zürcher Zeitung“ ein Artikel von Martin Pollack unter dem Titel „Furchtlos vor dem Schreckgespenst – wie Polen nach 2015 zum Tummelplatz rabiater Rechtspopulisten wurde» veröffentlicht. Der Artikel war alles andere als der Ausdruck einer sachlichen, geschweige denn einer freundlichen, Einstellung, schreibt das Internetportal Wszystko Co Najważniejsze und bringt eine Polemik von Prof. Zdzisław Krasnodębski.
Zdzisław Krasnodębski
Zdzisław Krasnodębski PAP/Andrzej Grygiel

Erstarrt vor dem Schreckgespenst des Populismus. Antwort auf Martin Pollack

Man kann Martin Pollack in einem zustimmen: in Polen ist die wirtschaftliche und gesellschaftliche Transformation gelungen. Das Land ist heute eine konsolidierte parlamentarische Demokratie mit gut entwickelter Marktwirtschaft. Obwohl immer noch einiges nachzuholen ist, hat sich der Lebensstandard der meisten Polen erheblich erhöht.

Ob es wirklich die «vielbewunderte Erfolgsgeschichte» sei oder sogar als «Musterbeispiel» gelten kann, sei dahingestellt. Die ersten Jahren nach 1989 waren eine sehr schwierige Zeit, nicht ohne vermeidbare schmerzhafte politische und wirtschaftliche Fehler. Wenn es am Ende gut ausgegangen ist, dann dankt der harten Arbeit und Anpassungsfähigkeit der Polen und der Öffnung des EU-Marktes nach 2004. Die EU-Fonds halfen beim Ausbau und Modernisierung der Infrastruktur, man soll jedoch ihre Bedeutung nicht überschätzen.

Aus dem Artikel erfahren wir jedoch nicht, wie gut sich Polen besonders in den letzten 5-6 Jahren entwickelt hat und, dass dieses Wachstum zum ersten Mal nach 1989 mit einer effektiven und großzügigen Sozialpolitik verbunden wurde. Dieser kleine Wunder ist durch die gute Wirtschaft- und Fiskalpolitik ermöglicht worden, insbesondere durch die Bekämpfung des Mehrwertsteuer-Betrugs, der lange vorher toleriert wurde – schätzungsweise hat Polen von 2008 bis 2015 ca. 61 Milliarden Euro an Einnahmen durch die sog.  „Mehrwertsteuer-Karusselle“ verloren.

Das vor allem erklärt, warum «Recht und Gerechtigkeit» (PiS) nach 2015 weitere sechs Wahlen gewonnen hat. Martin Polack hat völlig recht: die PiS-Regierung hat die Lage dieser breiten Schichten der Gesellschaft verbessert, «welche die liberalen Regierungen … sträflich vernachlässigt hatten». Mehr noch sie hat diesen Leuten durch ihre Wirtschafts- und Kulturpolitik ihre Würde zurückgegeben. Es ist zugleich ein wichtiger Schritt in der Demokratisierung, weil viele Menschen, die an den Staat gebunden wurden, in aktive Bürger einer politischen Gemeinschaft verwandelt wurden. Die rapid steigende Wahlbeteiligung ist der beste Beweis dafür. Wenn jemand das als «Populismus» bezeichnen möchte, dann sind wir – die PiS Anhänger und Unterstützer – tatsächlich Populisten.

Zugegeben, die wachsende Wahlbeteiligung ist auch das Ergebnis der starken politischen Polarisierung. Die Polen streiten heftig über die Politik.  Zwei politische Lager: «PiS» und «Anti-PIS» sind scharf getrennt. Rüde verbale Auseinandersetzungen machen die Politik zu einem wenig aufbauenden Spektakel. Die Wähler haben aber eine klare Wahloption – anders als in Deutschland, dem selbsterklärten Musterland der «liberalen Demokratie», wo die Bürger nach Wahlen am Ende immer das gleiche bekommen – eine mehr oder weniger große Koalition und seit 16 Jahren die gleiche Person als Kanzlerin.

Natürlich, bedeutet das nicht, dass alles in Polen perfekt ist. Ein scharfer, kritischer Blick von aussen ist nicht nur legitim, sondern wäre auch sehr hilfreich. Leider bekommen wir in den meisten Fällen aber, statt einer tiefgehenden Analyse oder einem sachlichen Kommentar, eine platte Karikatur. Auch der Artikel von Martin Pollack ist keine Ausnahme. Er stellt ein völlig verzerrtes Bild der polnischen Zustände dar.

Zum Bespiel lesen wir in diesem Artikel über « die luxuriöse Villa des PiS-Chefs ». In Wirklichkeit ist das ein kleines, bescheidenes Elternhaus, das seit Jahrzehnten eine Renovierung dringen gebraucht hätte. Weiter erfahren wir, dass in Warschau „Proteste niederknüppeln» werden. Wahrscheinlich verwechselte der Autor Warschau mit Paris, Wien oder Moskau. In Polen hat in den letzten Jahren die Polizei nie Gewaltmittel angewendet, auch nicht bei den letzten Demonstrationen, die in der Zeit der Pandemie mit hohen Infektionszahlen ohne amtliche Genehmigung stattfinden. Die «zunehmende Brutalität der …. Sicherheitskräfte» besteht darin, dass die Polizei zur Auflösung der illegalen Demonstration aufruft, Teilnehmer, die den Aufruf nicht folgen, registriert werden. In zwei oder drei Fällen, als die Menge sehr aggressiv wurde, musste leider auch Tränengas angewendet werden. Diese Aggressivität ist übrigens ein Teil des Plans. Eine der Parolen der Demonstranten lautet: «Das ist der Krieg». Noch entfernt von «westlichen» Standards verbrennen sie zwar keine Autos und rauben die Läden noch nicht aus, da sie jedoch gut international vernetzt und durch die «Antifa»  und den Schwarze Blok-Gruppen geschult sind, scheint es nur die Frage der Zeit zu sein. Vorläufig begnügen sich mit dem Beschmieren von Hausmauern mit Obszönitäten, der Demolierung von Bushaltestellen und Werbestangen, der Profanierung von Kirchen, sie versuchen Gottesdienste zu stören und die Gläubigen einzuschüchtern. Die steigende Aggressivität und die vulgären Sprachen der Anführer haben schon moderate Unterstützer der Proteste verscheucht.  Es blieben nur Gruppen der radikalen Aktivisten.

Charakteristischerweise berufen sie sich nicht mehr auf die Verfassung, weil sie für ihre Ziele nicht mehr brauchbar ist – in  ihr ist nämlich den Schutz des menschlichen Lebens und die Definition der Ehe als bestehend aus einem Mann und einer Frau eingeschrieben. In der Tat ging es ihnen nie um die Verfassung und die Rechtstaatlichkeit – es war nur bequemer Vorwand. Es ging und geht um die Durchsetzung der linksliberalen Ideologie – wenn nötigt auch gegen die Verfassung und gegen das Recht.

Sie überschütten ihre politischen Gegner mit unflätigen Ausdrücken, verursachen Chaos in der Stadt, schmieren vulgäre Parolen an die Wände, greifen die Polizei an – aber der Mob sind sie nicht, sondern Vertreter der «Zivilgesellschaft». Der Mob sind diejenigen, die für PiS ihre Stimme abgegeben haben, traditionelle Berufe ausüben, ihre Kinder nach bewährten Mustern großziehen, noch sonntags zur Kirche gehen usw. Und diejenigen, die ihre Stimme erhalten haben und die sich ihnen gegenüber verantwortlich fühlen, sind Populisten.

Ist das eine polnische Version des „Trumpismus“? Unsere Einschätzung der Präsidentschaft von Donald Trump ist differenzierter als die, der meisten Europäer. Wir danken ihm für die Stärkung der Ostflanke der NATO und der Präsenz der amerikanischen Truppen in Polen, für die Verhängung von Sanktionen gegen Unternehmen, die NS2 bauen. Seine Rede während seines Besuchs in Warschau hat einen sehr großen Eindruck gemacht. Und es ist nicht abwegig zu behaupten, dass trotz allem seine Bilanz in der Außenpolitik besser ist, als die des allgemein beliebten Barack Obamas.  Dennoch, wenn unter „Trumpismus“ gewisse Verhaltensweisen der amerikanischen Anhänger von Donald Trump zu verstehen wären, dann findet man sie in Polen häufig gerade auf der anderen politischen Seite. Wenn jemand z. B. in Warschau auf der Straße ohne Maske herumläuft, wenn ein Restaurant trotzt Verbots öffnet, wenn jemand eine „rave party“ organisiert, dann ist das ein sicheres Zeichen der Zugehörigkeit zum „Anti-PiS“- Lager. Diese Ähnlichkeit besteht in einem noch wichtigeren Aspekt. Die Polnische Opposition hat genauso wie Donald Trump erhebliche Schwierigkeiten mit der Anerkennung von Wahlergebnissen. In 2015 hat man das Wahlresultat nicht akzeptieren wollen und hoffte es durch „Strasse und Ausland“ schnell zu annullieren. Da unsere Liberalen international gut vernetzt sind, glaubten viele im Ausland an das, was ihnen über „das Ende der Demokratie und der Rechtstaatlichkeit“ souffliert wurde.

Martin Pollack zitiert eine polnische Soziologin, die politische und soziale Spaltung in Polen auf den Unterschied zwischen «frequent fliers», «smarten, weltoffenen Aufsteigern», und «infrequent fliers», den einfachen Leuten, die sich an den Rand gedrängt fühlen, zurückführt. Das Problem mit diesen «frequent fliers» besteht gerade darin, dass sie sich für viel mehr «smart» als die Mehrheit der Polen halten und dass sie glauben, dass es in der Staatsführung darauf ankommt, von anderen, die genauso «smart» sind, im Ausland gelobt zu werden. Kann man sich wundern, dass die Mehrheit sie nicht wählen möchte?

Und eine Trennung in «urbane Eliten» und «rabiate Populisten», die sich durch ihren »kruden Anti-Intellektualismus und Anti-Elitismus» auszeichnen, ist gelinde gesagt eine Vereinfachung. Ohne Sprachbarriere und ideologische Augenklappen würde man schnell entdeckten, dass sich führende Vertreter der Opposition sich nicht gerade durch brillanten Intellekt, politische Vernunft und urbanes Benehmen auszeichnen, während auf der anderen Seite, in der PiS-Fraktion im Parlament und in der Regierung zahlreiche angesehene Wissenschaftler sitzen, wie z. B der Historiker Ryszard Terlecki, der Soziologe Piotr Gliński, oder der Jurist und Politologe und jetzige Aussenminister Zbigniew Rau. Alle ziemlich renommiert. Aber eine solche Einschätzung – ob jemand renommiert ist oder nicht – ist sehr relativ, oft eine Geschmacksache. Martin Pollack beruft sich auf einen «renommierten» Politikwissenschaftler. Jedoch in den Augen vieler Polen ist dieser Politikwissenschaftler eher kompromittiert als renommiert – und zwar nicht nur durch seine langjährige Mitgliedschaft in der Polnischen Vereinigten Arbeiter Partei. Seit fast 6 Jahren, seitdem sein damaliger Chef unerwartet die Präsidentschaftswahlen verloren hat, ist er in der ersten Front im Kampf gegen das „Phantom des Autoritarismus“. Kein Wunder, dass sich Martin Pollack, durch solche Autoritäten gestützt, nach fünf Jahre der sterilen Aufregung und ständiges Alarm-Schlagens nicht entmutigen lässt, und warnt: «Der Weg hin zu einem autoritären Staat scheint klar vorgezeichnet».

Ich muss ihn zumindest in einem beruhigen – wir lassen uns nicht von «Feindbildern» leiten, sondern durch Polens Interessen und historischen Erfahrungen. Was z. B. «das deutsche Schreckgespenst» angeht, fällt es Polen, aus verständlichen historischen Gründen, besonders schwer den Anspruch der Bundesrepublik ein paneuropäischer Hüter der politischen Moral und historischer Erinnerung zu sein zu akzipieren. Ein Staat, der milliardenschwere Gas-Geschäfte mit Putin macht und so energisch seine nationalen Interessen durchsetzen kann, ist kein glaubwürdiger Moralprediger. Auch Angela Merkels Immigrationspolitik hat in Polen keinen Enthusiasmus hervorgerufen – nicht anders als in Österreich oder in der Schweiz. Das alles hindert uns aber nicht, mit den Deutschen gut zusammenarbeiten, besonders wenn sie von ihrem hohen Ross herunterkommen. Premierminister Mateusz Morawiecki hat neulich die deutsche Präsidentschaft in der EU de facto gerettet, indem er ein für uns sehr schwierigen Kompromiss akzeptiert hat. Auch die Kritik an der Europäischen Union ist keine „Europafeindlichkeit“. Mehr noch: solche Kritik des EU-Zustandes kann gerade aus der echten Liebe zu Europa herrühren –   zu Europa, wie es noch vor kurzem war, mit seinen Nationen, mit seiner Geschichte, mit seinem kulturellen Erbe. Bedeutet eine freundliche Haltung gegenüber Europa, dass jede EU-Entscheidung fügsam akzeptiert wird? Oder sind nur einige – „bessere Europäer“ – dazu berechtigt ihre Meinung zu äußern?

Was den Vorwurf bezüglich der fundamentalkatholischen Haltung der PiS-Anhänger angeht: ja, wir sind fundamentalkatholisch, in dem Sinne, wie es Johannes Paul II oder Kardinal Franz König waren. Das, was Karol Woytyła «Zivilisation des Todes» genannt hat, ist seit seinem Tod, weit fortgeschritten. Gewiss, für viele Europäer ist diese «new brave world» – mit der aktiven Sterbehilfe, der Euthanasie, des Postulat der Abtreibung auf Wunsch, , mit gleichgeschlechtlichen Ehen mit  der Reproduktionsrechten, mit Leimüttern und Samenspendern, mit unverhohlener Eugenik auf jedem Schritt – das längst ersehnte Reich der Freiheit, die «liberale Demokratie» in voller Blüte.  In  Polen ist keine Person wegen ihrer Homosexualität verfolgt, es gibt auch keine «LGBT-freien Zonen». Es geht um den Schutz der grundlegenden Institutionen unserer Zivilisation, nicht um die Einmischung in die individuelle private Sphäre. Wir hoffen aber, dass nicht nur in Polen sich Leute finden werden, die « für die Erhaltung der wahren christlichen Werte … furchtlos die Stirn bieten», weil auf dem Spiel die menschliche Würde steht.

Ich kann verstehen, dass Martin Pollack eine andere Meinung darüber hat. Ich frage mich jedoch, wie jemand der «ein radikales Schwarz-Weiß-Denken» kritisiert und betont, man soll die politischen Gegner nicht als Feinde betrachten, einen solchen Text schreiben kann, der voller Hass und ein Musterbeispiel gerade solcher Einstellung ist? Woher kommen solche Gefühle?  Ist das eine enttäuschte Liebe nach einem Akt der Sühne? Oder haben wir es hier mit einer versteckten, unbewussten Kontinuität zu tun? Schließlich bekämpft, trotzt aller Berufung auf Liberalität, auf Toleranz, auf ein freies und demokratisches Europa, Martin Pollack das, was auch im 20 Jahrhundert kommunistische und nationalsozialistische Regime «beseitigen» wollten: den Patriotismus, den Katholizismus, die Traditionsgebundenheit der Polen und unser Recht souveräne Entscheidungen zu treffen.

 

Prof. Zdzisław Krasnodębski


Der Text entstammt aus dem Magazin Wszystko co Najważniejsze. Weitere Feuilletons und Interviews finden Sie hier