Deutsche Redaktion

Landschaft nach der Schlacht

06.05.2021 10:39
Wie wird sich die Abstimmung über den Wiederaufbaufonds auf die politische Landschaft in Polen auswirken? Die Polen werden immer wählerischer, wenn es um Impfungen gegen Covid-19 geht. Und: die meisten Polen würden keine Anhebung der Gesundheitsabgabe befürworten, auch wenn dies die Qualität des Gesundheitswesens verbessert. Die Einzelheiten in der Presseschau.
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Zdjęcie ilustracyjneArthimedes/Shutterstock

Rzeczpospolita: Landschaft nach der Schlacht

Wie wird sich die Abstimmung über den Wiederaufbaufonds auf die politische Landschaft in Polen auswirken? Man könne davon ausgehen, dass die Linken und Polen 2050 in naher Zukunft ihre Zustimmungswerte verbessern werden, die Bürgerplattform dagegen weiter an Popularität verliert, schreibt in seinem Kommentar für die konservativ-liberale Rzeczpospolita der Publizist Michał Szułdrzyński. Gleichzeitig, so der Autor, bestehe kein Zweifel daran, dass der Sieger dieser Machtprobe im Sejm die regierende Recht und Gerechtigkeit ist. Premierminister Mateusz Morawiecki, der nicht nur das EU-Budget und das Hilfspaket ausgehandelt hat, sondern auch, trotz des Widerstands des Koalitionspartners Solidarisches Polen von Justizminister Zbigniew Ziobro, die Ratifizierung im Sejm durchsetzen konnte, gehe gestärkt aus den Verhandlungen hervor. Freuen könne sich auch PiS-Chef Jarosław Kaczyński. Nicht nur habe er sein Ziel erreicht, gleichzeitig habe die Debatte zu einer enormen Spaltung in der Opposition geführt. Und je zerstrittener die Opposition, desto besser für die PiS. 

Doch auch die Freude des PiS-Chefs könne nicht vollständig sein. Die Abstimmung habe gezeigt, dass die Rechte nur noch vom Namen her vereinigt sei. Justizminister Ziobro habe sich quergestellt und seine ganze Partei habe solidarisch gegen den Fonds gestimmt. Zudem hätten sich auch zwei weitere PiS-Politiker gegen die Ratifizierung ausgesprochen. Kaczyński sei daher künftig weiter darauf angewiesen, auf der Suche nach Unterstützung für jedes neue Gesetz, zwischen Ziobro und dem Chef der zweiten Koalitionspartei Verständigung von Jarosław Gowin zu manövrieren.

Aber auch die Opposition habe nun Stoff zur Reflexion. Die Linke habe, trotz enormem Druck von Seiten des liberalen Lagers, bis zum Ende ausgeharrt. Es habe sich gezeigt, dass es nicht mehr reiche, dass die Bürgerplattform jemanden als Verbündeten von Kaczyński beschimpft, damit dieser sich brav hinter Bürgerplattform-Chef Borys Budka einreihe. In dieser Hinsicht breche die Abstimmung symbolisch mit dem Monopol der Bürgerplattform in der Opposition. Die größten PiS-Gegner unter Wählern der Bürgerplattform werden deren “Nein” gegen die Ratifizierung vielleicht zu schätzen wissen. Doch es bleibe die Frage, ob diese Strategie für den Großteil der Wähler verständlich sei. Wenn man sich ansehe, wie die Bürgerplattform diese Debatte geführt habe, sei es schwer zu glauben, dass nicht einmal ein Jahr seit der wirklich guten und mit einem phänomenalen Ergebnis abgeschlossenen Präsidentschaftskampagne des Warschauer Stadtpräsidenten Rafał Trzaskowski vergangen ist. 

Grund zur Freude habe dafür eben die Linke, die sich entschieden habe, der PiS bei der Gelegenheit ein paar Zugeständnisse abzufordern. Und vor allem nicht gegen die EU-Mittel zu stimmen, denn dies habe für die meisten Wähler bei der Abstimmung auf dem Spiel gestanden. 

Dazu hätten auch Polen 2050 und ihr Chef Szymon Hołownia nun Chancen, viele der PiS-skeptischen Wähler zu übernehmen. Hołownia habe sich nicht mit Morawiecki an den Verhandlungstisch gesetzt, die Ratifizierung jedoch gleichzeitig unterstützt. Denn er wisse, dass die Oppositionswähler die EU-Mitgliedschaft Polens höher schätzen, als die Genugtuung, dass man der Vereinigten Rechten einen Strich durch die Rechnung machen konnte, so Michał Szułdrzyński in der Rzeczpospolita. 

Streit um Wiederaufbaufonds: Da ist was los!

Auch die Tageszeitung Dziennik Gazeta Prawna befasst sich mit dem unerwarteten parteiübergreifenden Abkommen über die Annahme des EU-Wiederaufbaufonds.

Wie Jakub Dymek für die Tageszeitung schreibt, habe ihn seit langem nichts in der polnischen Politik so erfreut, wie die Schlägerei um die Unterstützungserklärung der Linken für die rechts-konservative Regierung von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki bezüglich des Wiederaufbaufonds. In der emotionalen Diskussion, die seit dem die polnische Medienwelt in Aufruhr gebracht habe, in Dutzenden von Interviews, Polemiken und Zankereien, lesen wir, sei schließlich das wahre Gesicht der Politik ins Rampenlicht gerückt. Und wie sich herausgestellt habe, spielen letzten Endes keine Kulturkriege, kein Identitätsstreit, oder Gekläff um Symbole und Narrativen, die in den letzten Monaten die öffentliche Debatte in Polen beherrscht haben, irgendeine signifikante Rolle. Es bleibe, so Dymek, der wahre Streit um Interessen, Loyalität und Wege zum Erreichen des Ziels, der im Hintergrund alltäglicher Themen verborgen liege.

Paradoxerweise habe dieser große, geht es nach dem Autor, übertriebene Streit zwischen Journalisten und Parteiberatern um das nicht alltägliche Bündnis etwas Erfrischendes, weil es endlich um etwas Reales gehe. Der linke Flügel, heißt es abschließend, habe die Nabelschnur mit den Liberalen durchtrennt, die PiS-Regierung habe davon profitiert, während im Hintergrund eine ziemlich nüchterne Diskussion über die Entwicklungs- und Krisenbekämpfungspolitik geführt werde. Mit einem Wort, so Jakub Dymeks Fazit für Dziennik Gazeta/Prawna: Da ist was los!

Gazeta Wyborcza: Immer weniger Freiwillige für AstraZeneca

Die Polen werden immer wählerischer, wenn es um Impfungen gegen Covid-19 geht, berichtet in der aktuellen Ausgabe die linksliberale Gazeta Wyborcza. Es, so das Blatt, steige vor allem die Zahl derjenigen, die sich nicht mit AstraZeneca impfen wollen. So seien im Universitäts-Krankenhaus in Wrocław 70 Prozent der Termine für Impfungen mit AstraZeneca frei. “Um Stillstand zu vermeiden, befreien wir die Termine für Pfizer und Moderna”, so Krankenhaussprecherin Monika Kowalska. Im Gesundheitszentrum für Polnische Mütter in Łódź würden 10-15 Personen täglich auf eine Impfung mit dem Impfstoff von AstraZeneka verzichten. Im städtischen Krankenhaus in Gliwice sei nur die Hälfte der Termine belegt. Anderswo sehe die Situation ähnlich aus. 

Das, so die Zeitung, könne ein Fiasko der geplanten Impfungen in Unternehmen bedeuten. Denn die Arbeitgeber, die ihre Angestellten impfen wollen, müssen mindestens 300 Freiwillige finden. Und dies sei nicht einfach, denn im Vorfeld sei nicht bekannt, welchen Impfstoff der jeweilige Betrieb erhalten werde. Wer sich indes über die Hotline registriere, habe die Wahl. Geht es nach dem Chef des Polnischen Epidemiologen-Verbands Professor Robert Flisiak, werde das Gesundheitsministerium nun auf Impfpässe oder andere Anreize setzen müssen, um die Situation zu verbessern. Die Politik der Karotte sei wirksamer, als die des Stocks, lesen wir in Gazeta Wyborcza.


Dziennik Gazeta Prawna: Mehr für die Gesundheit? Ungern.

Die meisten Polen sind nicht bereit, höhere Steuern zu zahlen, um die Qualität des Gesundheitssystems zu erhöhen und Warteschlangen zu verkürzen. Das berichtet das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna unter Berufung auf eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts United Surveys. Insgesamt, lesen wir, würden 31,4 Prozent der Befragten einer solchen Lösung zustimmen, 61,3 Prozent seien indes dagegen. Die Frage, so das Blatt, sei im Kontext der vom Regierungsprogramm Neue Ordnung vorgesehenen Anhebung der Gesundheitsabgabe gestellt worden. Die größte Offenheit auf eine höhere Gesundsheitsabgabe würden Personen aus der Altersgruppe 50-59 vorweisen. In dieser Gruppe würde fast die Hälfte eine solche Lösung befürworten. In der Altersgruppe 18-29 Jahre würden indes nur 20 Prozent einen solchen Schritt akzeptieren. 

Wie der Public Policy Experte Wojciech Wiśniewski beobachtet, sei die entscheidende Frage, ob wir einfach nicht zahlen wollen, oder ob wir nicht glauben, dass eine solche Investition die gewünschten Resultate bringen wird. Man müsse im Hinterkopf behalten, so der Experte, dass laut Eurostat der Anteil von Steuern am Bruttoinlandsprodukt in Polen schneller wächst, als in den meisten anderen EU-Staaten. In dieser Zeit hätten die Polen jedoch keine Verbesserung des Zugangs zu öffentlichen Dienstleistungen, darunter dem Gesundheitswesen, gespürt. Es sei also nicht verwunderlich, dass die Öffentlichkeit mit wenig Enthusiasmus auf den Vorschlag weiterer Steuererhöhungen reagieren wird, so Wojciech Wiśniewski im Gespräch mit Dziennik Gazeta Prawna.  

Autor: Adam de Nisau/ Piotr Siemiński