Deutsche Redaktion

"Die Versuchung, den Gegner zu beschmutzen"

30.08.2023 07:43
Angreifbar aber dafür attraktiv für Medien - Wird der Start des Anwalts und ehemaligen Vizepremiers Roman Giertych von den Listen der oppositionellen Bürgerplattform der Opposition mehr schaden oder nutzen. Und: Was sind die derzeit wichtigsten Herausforderungen für das polnische Bildungssystem?
Giertych w nurcie silnych razem, czyli mowa nienawiści wobec przeciwników politycznych i symetrystów
Giertych w nurcie "silnych razem", czyli mowa nienawiści wobec przeciwników politycznych i symetrystówAndrzej Hulimka / Forum

DO RZECZY: Das neue Schuljahr beginnt

Kurz vor Beginn des neuen Schuljahres fragt die nationalkonservative Wochenzeitschrift Do Rzeczy den stellvertretenden Bildungsminister Tomasz Rzymkowski, was aus seiner Sicht die größten Herausforderungen für das Ministerium in den kommenden Monaten sind? Das Wichtigste, so der Politiker, sei es, alle bisherigen guten Praktiken fortzusetzen und das Bildungsniveau der vergangenen Jahre aufrechtzuerhalten. Es sei auch wichtig, bei den Absolventen von Grundschulen die Tendenz zu festigen, sich für eine Berufs-, oder für eine technische Ausbildung zu entscheiden. Damit sich der Trend, der in diesem Jahr bei über 54 Prozent gelegen habe, auch in den Folgejahren fortsetze und immer höher ausfalle. Mitten im Wahlkampf wünscht sich Rzymkowski zudem eine tiefe Diskussion über Bildung, Schule und konkrete Vorschläge einzelner Parteien. Nach seiner Ansicht schlage die Partei Recht und Gerechtigkeit gigantische Bildungsausgaben vor, um die polnischen Schulen zu modernisieren und das derzeit hervorragende Bildungsniveau aufrechtzuerhalten und nicht, um ideologische Kriege zu führen. Die Schule sollte ideologisch neutral sein, nach den besten Praktiken unterrichten, den Erziehungsprozess unterstützen, den Beruf und das Leben im Erwachsenenalter lehren.

Er empfehle zugleich, die Ideen der linksliberalen Gruppierungen unter die Lupe zu nehmen, um zu erfahren, was sie zu diesem Thema meinen. Sie würden oft bei verschiedenen Veranstaltungen und Pressekonferenzen mit Leuten auftreten, die er als professionelle Demoralisierer der jungen Generation bezeichnen würde. Die Linken würden in erster Linie eine sehr aggressive Sexualerziehung in der Schule fordern, mit der viele Eltern nicht einverstanden seien, unterstreicht der Vize-Bildungsminister. Der Ausbruch des Krieges in der Ukraine und die Ankunft Hunderttausender ukrainischer Kinder in Polen seien zu einem großen Test für das polnische Bildungssystem geworden. Inzwischen sei die Situation unter Kontrolle, meint der Politiker. Das letzte Jahr habe dies bestätigt. Die Zahl der Kinder aus der Ukraine im polnischen Bildungssystem nehme ab, dadurch würden auch die Probleme im Zusammenhang mit der Sprachbarriere und den unterschiedlichen Lehrplänen nach und nach verschwinden. Kinder, die sich für polnische Schulen entschieden hätten, würden nun dem polnischen Kernlehrplan folgen, sagt Vize-Bildungsminister Tomasz Rzymkowski im Gespräch mit do Rzeczy.

RZECZPOSPOLITA: Die Versuchung, den Gegner zu beschmutzen

Der Start des Anwalts und ehemaligen Vizepremiers Roman Giertych von den Listen der oppositionellen Bürgerplattform sorgt für großes Aufsehen, schreibt die Rzeczpospolita. Die Bürgerkoalition habe nicht gewagt, die Entscheidung ihres Chefs zu kommentieren. Die Neue Linke hingegen freue sich darüber – jetzt werde sie niemand mehr fragen, worin sie sich von der PO unterscheiden würde. Auch Politiker der Regierungspartei scheinen zufrieden zu sein. Man sehe, dass dieser Gegner ihnen sehr gut passe, da er leicht anzugreifen sei. Giertychs Start sei ein weiterer Beweis dafür, dass die Partei völlig programmlos sei, weil sie nur eine Ansammlung von Hassern auf ihrer Liste schaffe, deren einziges Programm der Kampf gegen die PiS-Partei sei, kommentierte die Entscheidung der stellvertretende Kulturminister Jarosław Sellin.

Die Polarisierung sei in Polen in vollem Gange. Die Versuchung, den Feind zu beschmutzen, sei viel stärker als die Reflexion über eventuelle Folgen dieser Sucht. Das konkrete politische Angebot für die Wähler scheint dabei zweitrangig zu sein, lesen wir in Rzeczpospolita.

DZIENNIK/GAZETA PRAWNA: Medien-Mensch Giertych

Der Politikwissenschaftlerin von der Universität Warschau, Renata Mieńkowska-Norkiene, sehe aber den Start des ehemaligen erzkonservativen Politikers von der oppositionellen Liste in einem positiven Licht. Giertych auf dieser Liste sei das Ergebnis einiger Faktoren, zu denen wahrscheinlich auch eine persönliche Beziehung zwischen Tusk und Giertych gehöre, meint sie. Und wahrscheinlich ein Versprechen, das Tusk Giertych gegeben habe. Giertych sei ehemaliger stellvertretender Ministerpräsident in der Regierung von Jarosław Kaczyński, erinnert Prof. Mieńkowska-Norkiene. Ein weiterer Aspekt dieser Nominierung sei, betont die Expertin, dass Roman Giertych „medienattraktiv“ sei. Er sei kein Mann, der durch Dörfer und Städte reisen werde, um Picknicks zu machen, aber in den Medien könnte er Jarosław Kaczyński einen großen Schaden hinzufügen. Das sei gar keine so schlechte Idee, denn je mehr Kaczyński in den Medien in spöttischem Ton dargestellt werde, desto mehr werde es ihm schaden. Kaczyński diene dieser Kampagne überhaupt nicht, urteilte sie. Zugleich könne Giertych ein Mann sein, der den konservativeren Flügel der Bürgerkoalition ansprechen werde, urteilt die Politikwissenschaftlerin, Prof, Renata Mienkowka-Norkiene in der Tageszeitung Dziennik/Gazeta Prawna.

Autor: Jakub Kukla