Deutsche Redaktion

„Über Cholera, Migranten und politischen Hass"

22.07.2025 13:30
Vor Migranten könne man Angst schüren – vor Wahlen, nach Wahlen und selbst nach dem Machtverlust. Denn es geht hier nicht um reale Problemlösungen. Ein ehemaliger nationalistischer Politiker warnt die Rechte: Migration sei die größte Herausforderung. Der polnische Staat muss ein Nationalstaat der Polen bleiben und darf nicht dem Weg der westlichen Rechten folgen. Die Geschichte kenne solche Fälle nur zu gut. Könnte Berlin durch seine rasche Aufrüstung noch dominanter in Europa werden? Und birgt das für den Kontinent womöglich neue Risiken? Mehr dazu in der Presseschau.
Vor Migranten knne man Angst schren  vor Wahlen, nach Wahlen und selbst nach dem Machtverlust. Denn es geht hier nicht um reale Problemlsungen. Die Geschichte kenne solche Flle nur zu gut, schreibt die liberal-konservative Rzeczpospolita.
Vor Migranten könne man Angst schüren – vor Wahlen, nach Wahlen und selbst nach dem Machtverlust. Denn es geht hier nicht um reale Problemlösungen. Die Geschichte kenne solche Fälle nur zu gut, schreibt die liberal-konservative Rzeczpospolita.Shutterstock/Vera Agency

Rzeczpospolita: Über Cholera, Migranten und politischen Hass

In der Rzeczpospolita schreibt Michał Szułdrzyński eingangs über eine ältere Frau aus der Woiwodschaft Westpommern, bei der Cholera festgestellt worden sei. In den sozialen Medien kursierten daraufhin sofort Spekulationen, sie habe sich bei Migranten angesteckt, die – so heißt es – von Deutschland illegal nach Polen gelangt seien, während die Behörden die Wahrheit verschwiegen.

Wie der Autor erinnert, habe PiS-Chef Jarosław Kaczyński schon im Wahlkampf 2015 vor Flüchtlingen gewarnt, die gefährliche Parasiten und „seit Langem in Europa nicht mehr gesehene“ Krankheiten einschleppten; auch Cholera habe er damals genannt. Seinerzeit sei die Krankheit bei einem indischen Matrosen nachgewiesen worden. Zehn Jahre später zeige sich die Saat dieser Worte: eine wachsende Ernte an Fremdenfeindlichkeit. Heute, so Szułdrzyński, erlebe Polen erneut einen Höhepunkt von Xenophobie, Rassismus und Panikmache vor Migranten. Eine Panik, die rein politisch motiviert sei.

Brisant, so Szułdrzyński, werde der Fall dadurch, dass in denselben zehn Jahren die Zahl der Migranten aus Afrika und Asien deutlich gestiegen sei. Unter der Regierung von Jarosław Kaczyński hätten Menschen mit anderer Hautfarbe die Straßen polnischer Großstädte gefüllt. Viele Branchen – etwa Lieferdienste oder Gastronomie – würden heute fast ausschließlich von Zuwanderern getragen. Und nun seien es ausgerechnet Politiker der PiS, die gemeinsam mit der nationalistischen Konföderation den „Grenzschutzbewegungen“ Applaus spendeten, zu Protestmärschen gegen illegale Migration aufriefen und mit harter Rhetorik um Aufmerksamkeit ringen würden.

Nur wenige würden es wagen, sich diesem Trend entgegenzustellen. Außenminister Radosław Sikorski habe vor einigen Tagen offen gegen die zunehmende Fremdenfeindlichkeit protestiert. Er sei es auch gewesen, der nach dem Regierungswechsel die Visapolitik deutlich verschärft habe; dadurch sei die Zahl missbrauchter Studien- und Arbeitsvisa zurückgegangen. Auch Kardinal Grzegorz Ryś warne vor wachsender Ausgrenzung. In einem Hirtenbrief an die Gläubigen seiner Diözese Łódź habe er daran erinnert, das Christentum sei keine Stammesreligion, sondern eine Offenbarung der Einheit der ganzen Menschheit. Ryś wende sich damit gegen den Missbrauch des Glaubens zur Rechtfertigung von Nationalismus und Fremdenhass.

Leider blieben solche Stimmen Ausnahmen, heißt es weiter. Am Wochenende seien in mehreren polnischen Städten Tausende Menschen auf die Straße gegangen, überzeugt davon, dass Migranten die größte Bedrohung darstellen: als Krankheitsüberträger, Feindbild und politisches Werkzeug. Das Beispiel Jarosław Kaczyńskis zeige, man könne mit der Angst vor Migranten Politik machen – in der Opposition ebenso wie in der Regierung. Es gehe dabei nicht um echte Lösungen, sondern darum, Ängste zu schüren und so die öffentliche Meinung zu mobilisieren. Diese Angst diene ausschließlich als Waffe im politischen Kampf, so Michał Szułdrzyński in der Rzeczpospolita.

Do Rzeczy: Nicht dem Weg der westeuropäischen Rechten folgen

Auch die nationalkonservative Wochenzeitung Do Rzeczy befasst sich mit Migration – in einem Gespräch mit Robert Winnicki, dem Mitbegründer der Konföderation und ehemaligen Vorsitzenden der Nationalen Bewegung. Der Ex-Politiker, heute politischer Kommentator, ist überzeugt, es gehe nicht nur um den Schutz Polens vor illegaler, sondern vor allem vor legaler Migration. Polen müsse die Vergabe von Arbeitsvisa radikal einschränken, so Winnicki.

Winnicki glaubt, dass die Auseinandersetzung um Migration die polnische Politik noch lange dominieren und spalten werde. Polens Bevölkerung schrumpfe, die Zahl der Arbeitskräfte sinke – und damit wachse der Druck, Migranten ins Land zu holen. Angesichts der Folgen der Massenzuwanderung im Westen dürfe Polen jedoch nicht nachgeben. Zugleich räumt der ehemalige Nationalist ein, die demografische Lage sei ernst und einfache Lösungen seien kaum möglich.

Von der „radikalen Linken“ dürfe man sich jedoch nicht beirren lassen, so Winnicki: Diese stempele jede Ablehnung von Migration sofort als „Faschismus“ ab. Christdemokratische Parteien in Westeuropa hätten nach Jahrzehnten kultureller Umwälzungen ihre konservative Identität verloren, würden sich kaum noch von der Sozialdemokratie unterscheiden und die Verantwortung für die Massenzuwanderung mittragen. Diesen Weg dürfe die polnische Rechte nicht einschlagen, heißt es im Interview.

Während die Konföderation in dieser Frage konsequent sei, müsse die PiS ihre Glaubwürdigkeit bei der legalen Migration erst noch beweisen; nur im Kampf gegen illegale Zuwanderung habe sie sich bereits bewährt.

Winnicki schließt mit dem Appell, alle politischen Kräfte müssten darauf achten, dass der Anteil ethnischer Polen niemals unter 90 oder 80 Prozent sinke. In Europa gebe es bereits Städte, in denen die einheimische Bevölkerung in der Minderheit sei. Die Dominanz der polnischen Sprache und Kultur müsse bewahrt werden; der polnische Staat müsse ein Nationalstaat der Polen bleiben, appelliert Robert Winnicki im Gespräch mit Do Rzeczy.

Dziennik Gazeta Prawna: Könnte Deutschland Europa militärisch dominieren?

Deutschland treibt die Aufrüstung der Bundeswehr zügig voran und will einen Teil seiner NATO-Verpflichtungen bereits binnen drei Jahren erfüllen, berichtet das Wirtschaftsblatt Dziennik Gazeta Prawna. Wirtschaftsexperten würden im Ausbau der Rüstungsindustrie zudem eine Chance sehen, die schwächelnde Konjunktur anzukurbeln. Wie General Bogusław Pacek im Gespräch mit dem Blatt betont, zeigten die Deutschen damit klar, dass sie nicht nur wirtschaftlich und politisch, sondern auch militärisch führende Macht in Europa sein wollten. Schon heute sei Deutschland der weltweit viertgrößte Waffenexporteur.

Gleichzeitig würden sich Stimmen mehren, die vor einer zu starken militärischen Rolle Berlins warnen. Könnte die rasche Aufrüstung Deutschland noch dominanter machen – und würde das neue Risiken für den Kontinent bringen, fragt das Blatt.

Nach Ansicht des früheren polnischen Botschafters in Armenien und Lettland, Jerzy Marek Nowakowski, führe die deutsche Aufrüstung zwangsläufig zu größerem politischem und militärischem Gewicht. Trotz strikter Sparpolitik verfüge Berlin weiterhin über das weltweit viertgrößte Verteidigungsbudget. Ohne deutsche Industrie und deutsches Engagement sei der Aufbau europäischer Verteidigungskapazitäten allerdings kaum vorstellbar. Grundsätzlich sei ein solcher Beitrag positiv, so Nowakowski, doch müsse eine Bedingung erfüllt sein: Die deutschen Verteidigungsanstrengungen müssten – wörtlich – „in europäische Strukturen verpackt“ sein. Berlin dürfe nicht im Alleingang handeln, sondern klar im Rahmen der EU-Partnerschaften.

Polen solle daher intensiv mit Deutschland zusammenarbeiten, dabei jedoch stets nach dem Prinzip „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ verfahren, lesen wir weiter. Deutschland besitze nicht das Potenzial, Europa zu dominieren, solange die EU solidarisch und geschlossen auftrete. Sei Europa jedoch schwach und gespalten, erhalte der stärkste Akteur automatisch größeres Gewicht. Gerade deshalb seien die Europäische Union und die europäische Integration entstanden: um sicherzustellen, dass kein einzelner Staat die Kontrolle über den Kontinent gewinne, schließt Nowakowski im Interview mit Dziennik Gazeta Prawna.

Autor: Piotr Siemiński


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