Rzeczpospolita: Nawrocki verzichtet auf Rolle des gutmütigen Väterchens der Nation
In den Pressekommentaren zur ersten Ansprache von Karol Nawrocki als neuem Staatsoberhaupt dominieren heute weiterhin militärische Metaphern. Mehrere Autoren der konservativ-liberalen Rzeczpospolita beobachten, dass Nawrocki sich offenbar als alternativer Premierminister sehe und vergesse, welche Rolle der Staatspräsident laut Verfassung spiele. Zudem ist vom Beginn einer zweijährigen Wahlkampagne und von der Mobilisierung der PiS-Armee die Rede.
Karol Nawrocki habe in seiner allerersten Ansprache als Staatsoberhaupt „rasch darauf verzichtet, das gutmütige Väterchen der Nation zu mimen“ und stattdessen der Regierung von Donald Tusk unverblümt den Fehdehandschuh hingeworfen, schreibt etwa der Publizist und langjährige Chefredakteur des Blatts, Bogusław Chrabota in seinem Kommentar für die Rzeczpospolita. Schon mit den Eingangsworten – sein Sieg sei die „Stimme des Souveräns“ und „so kann man nicht länger regieren“ – habe er dem Kabinett Tusk eine schallende Ohrfeige verpasst.
Von da an, so Chrabota, sei der Ton „so konfrontativ wie in keiner bisherigen Antrittsrede“ gewesen. Besonders hart habe Nawrocki die Justiz ins Visier genommen: Polen befinde sich „nicht auf dem Pfad der Rechtsstaatlichkeit“, der Landesstaatsanwalt sei „illegal gewählt“, Richter seien „keine Götter“. Dies kündige ein erbittertes Ringen um die künftige Ordnung im Gerichtswesen an.
Auch bei Großinvestitionen blase Nawrocki zum Angriff: Tusk habe das „Werk“ seiner Vorgänger teils aufgegeben, teils verschleppt; deshalb wolle Nawrocki ein eigenes Gesetz zum Mega-Flughafen CPK vorlegen, dessen Inhalt allerdings noch im Dunkeln liege. In EU-Fragen bekenne sich der Präsident zwar zur Mitgliedschaft, lehne aber jede Vertiefung der Integration ab: Weder Euro-Beitritt noch Vertragsreformen oder die Abschaffung des Vetorechts kämen für ihn infrage.
Spielräume für Kompromisse erkennt Chrabota allenfalls bei Entwicklungs-, Sozial- und Rüstungsprojekten sowie in der Zusammenarbeit mit NATO und USA. Noch im August wolle Nawrocki eine Kabinettsratssitzung einberufen, um die Regierung „zu rezensieren“. Seine Ankündigung, bis 2030 eine neue Verfassung durchzusetzen, erscheine indes ohne breiten Konsens unrealistisch.
„Die Essenz der Demokratie besteht nicht darin, den Mehrheitswillen durchzusetzen, sondern die Interessen der Minderheiten zu berücksichtigen. Ob Nawrocki dieses Prinzip wohl schon begriffen hat“, fragt Chrabota zum Abschluss seines Kommentars für die Rzeczpospolita.
Rzeczpospospolita: Tödliche Gefahr für die Koalition
Die aggressive Linie von Nawrocki könne für die Regierungskoalition „tödlich“ werden, warnt auch der Redaktionskollege von Chrabota Artur Bartkiewicz in seiner Analyse.
Nawrocki verfüge mangels Parlamentsmehrheit zwar über keine echten Werkzeuge, um seine Versprechen umzusetzen, könne aber das Parlament mit Gesetzentwürfen überziehen und anschließend die Hände heben: Er habe den Willen zu handeln, doch „seht, wie sie sich verhalten“. Auf diese Weise lasse sich mühelos Handlungsfähigkeit simulieren, während die Verantwortung für unerfüllte Wahlzusagen auf die heutige Mehrheit abgewälzt werde. Gelinge es dem Präsidenten, die Koalition in die Defensive zu drängen, könne sie rasch in derselben Lage landen, in der sich nach 2023 Andrzej Duda befunden habe – als Kraft, die Reformen blockiere. Angesichts ohnehin schwacher Umfragewerte drohe dann nicht nur eine Wahlniederlage, sondern eine regelrechte „Klatsche“.
Die einzig wirksame Antwort des Kabinetts bestehe darin, den Präsidenten seinerseits mit eigenen Vorlagen zu überhäufen – vor allem in den schwierigsten Feldern wie Rechtsstaatlichkeit und Wirtschaft, in denen Nawrocki die Rolle des Blockierers übernehmen müsste. Bislang jedoch habe die Regierung, „um es euphemistisch auszudrücken“, keine besondere Schlagkraft in dieser Disziplin erkennen lassen, so Bartkiewicz in der Rzeczpospolita.
Gazeta Wyborcza: Eine solche Präsidentschaft hat bereits Wałęsa angestrebt
Präsident Karol Nawrocki benehme sich, „als verfüge einzig er über ein Volksmandat zur Führung Polens“, warnt der Historiker und frühere Sejm-Vizepräsident Tomasz Nałęcz im Gespräch mit der linksliberalen Gazeta Wyborcza.
Nawrockis Antrittsrede sei die konfrontativste seit 1990: Er erkenne einen völlig anderen Verfassungsrahmen an als Regierung und Mehrheit im Sejm – nämlich den von PiS „demolierten“ Rechtszustand, der den EuGH-Urteilen zum Trotz weiterbestehe, lesen wir im Blatt. Mit nur 370 000 Stimmen Vorsprung besitze der Präsident zudem „den schwächsten Wahlsieg in der Geschichte“, während auf die Koalition vom 15. Oktober mehr als 11,5 Millionen Stimmen entfielen; gleichwohl habe Nawrocki keinerlei Respekt für deren Mandat gezeigt, so Nałęcz.
"Wybaczałem i jako chrześcijanin wybaczam to, co działo się w czasie wyborów" wyborcza.pl/7,75398,3215... #wyborcza #Nawrocki #karolnawrocki #prezydent
[image or embed]
— Gazeta Wyborcza (@wyborcza.pl) August 6, 2025 at 11:59 AM
Der Historiker sieht den Präsidenten in einem gefährlichen Rollenmix aus „Initiativ- und Wahlkampfpräsidentschaft“ nach dem Muster Lech Wałęsas. Nałęcz erinnert daran, dass bereits Lech Wałęsa zu Beginn seiner Amtszeit eine „initiierende Präsidentschaft“ versucht habe – mit großem Getöse, Reise-Touren und reichlich Versprechungen. Weil er aber keine Durchsetzungsmacht besessen habe, „endete das Modell in einer spektakulären Klatsche“: Die versprochenen Reformen blieben liegen, Wałęsa verlor rasch Popularität und glitt in Dauerstreit mit Regierung und Sejm ab, so der Historiker. Nawrocki drohe nun ein ähnliches Schicksal, nur mit deutlich geringeren Kompetenzen als diejenigen, die seinerzeit Wałęsa, noch vor der Verfassung von 1997 besessen habe.
Auch die angekündigte neue Verfassung im Jahr 2030 solle faktisch die nach 2015 eingeführten PiS-Änderungen zementieren – ein „historisch unsensibler“ Plan, da das Datum an die autoritären Brześć-Wahlen von 1930 erinnere. Mit dem Gleichsetzen von Roman Dmowski und Lech Kaczyński demonstriere Nawrocki zudem Geschichtsignoranz. Dmowski habe das polnische Volk strikt ethnisch definiert und Minderheiten wie Ukrainer, Belarussen oder Juden ausgeschlossen; Kaczyński hingegen habe – ähnlich wie Józef Piłsudski – die Nation als staatsbürgerliche Gemeinschaft verstanden, erläutert Nałęcz. Wer beide Ideen in einem Atemzug nenne, offenbare historische Ignoranz und riskiere, in einem zunehmend multiethnischen Polen Ressentiments gegen Migranten, Ukrainer oder Menschen anderer Religionen zu schüren, warnt der Professor im Interview mit der Gazeta Wyborcza.
Niezalezna.pl: Positive Reaktionen auf Vereidigung in den sozialen Medien
Die Nutzer der Sozialen Medien sind offenbar mehrheitlich anderer Ansicht als die von den liberalen Medien zitierten Experten. Erstmals seit 2015 habe ein Politiker aus dem rechten Lager in allen polnischen Social-Media-Kanälen einen klaren Überhang positiver Reaktionen erzielt, berichtet das nationalkonservative Portal niezalezna.pl unter Berufung auf eine Auswertung des Analyseunternehmens Res Futura.
Demnach habe das Thema „Vereidigung von Karol Nawrocki“ online eine „sehr große Reichweite“ erreicht; zugleich seien Angriffe auf den neuen Staatschef seit Jahresbeginn auf ihren niedrigsten Wert an Engagement und Verbreitung gesunken, so das Blatt. In den Netzwerken dominiere vielmehr die Parole, „endlich“ gebe es einen Präsidenten, der Donald Tusk nicht zuhöre und „Ordnung in das ganze Durcheinander“ bringe.
Nawrocki selbst habe in seiner Antrittsrede versichert, er werde „die Stimme derer sein, die ein normales Polen wünschen“, und der Regierungskoalition deutlich widersprochen. Dieses Signal, kombiniert mit dem ungewöhnlich günstigen Online-Echo, sei nach Ansicht der Analysten eine Premiere seit dem Wahlsieg der PiS vor zehn Jahren, lesen wir bei niezalezna.pl.
„Zum ersten Mal seit dem 1. Januar 2025 verzeichnen Angriffe auf Karol Nawrocki das geringste Engagement, die geringste Reichweite und die geringste Distribution im Netz“, lesen wir auf niezalezna.pl.
Autor: Adam de Nisau
.