RZECZPOSPOLITA: Vergeblicher Kampf um die Justiz
Die Regierungskoalition ist vor zwei Jahren mit dem Versprechen angetreten, die Rechtsstaatlichkeit in Polen wiederherzustellen. Nach zwei Jahren an der Macht habe die Regierung ihr zentrales Wahlversprechen jedoch nicht nur nicht einlösen können. Die Situation in der Justiz sei sogar noch chaotischer geworden als zuvor, schreibt Ewa Szadkowska in ihrem Kommentar für die konservativ-liberale Rzeczpospolita.
Experten, so die Autorin, hätten sich darum gestritten, was eine Heilung des Justizsystems eigentlich konkret bedeuten würde. „Das Resultat ist gerecht, denn egal wie wir die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit verstehen – es ist nicht gelungen", schreibt die Autorin. Die sogenannten Neo-Richter hielten sich hartnäckig, das Verfassungsgericht überschreite weitere Grenzen der Selbstkompromittierung, in der Staatsanwaltschaft herrsche Doppelherrschaft, und im Obersten Gericht tobe ein Krieg. Die Beschleunigung von Verfahren bleibe eine Illusion – selbst das sogenannte Franken-Gesetz, das Staus abbauen und Gerichte von repetitiven Fällen entlasten sollte, sei bis heute nicht verabschiedet worden.
Das Kernproblem, so Szadkowska weiter, liege in der Blockade durch Präsident Karol Nawrocki. Justizminister Waldemar Żurek habe im August erklärt, dass ihm „vor allem das Organisationsgesetz am Herzen liege, denn man müsse erst entscheiden, wer ein legaler Richter sei, und erst danach über die Anwendung des materiellen Rechts entscheiden". Ohne Durchsetzung des sogenannten Rechtsstaatlichkeitsgesetzes gebe es also offenbar keine Aussicht auf die anderen wichtigen Reformen. Nawrocki habe jedoch keine Zweifel daran gelassen, was er mit Vorschriften machen werde, die sich gegen Neo-Richter richten, wenn sie auf seinem Schreibtisch landen.
„Die Koalition ging ohne Plan B in die Wahlen und hat alles auf eine Karte gesetzt, in der Hoffnung, dass ‚ihr' Präsident das Feld räumen und die Schlüsselfragen erledigen würde", kritisiert die Autorin. Diese Politik räche sich nun. „Denn wer wird in weiteren zwei Jahren an das Versprechen glauben, das die Rechtsstaatlichkeit in Polen wiederhergestellt wird?", fragt Szadkowska abschließend in Rzeczpospolita.
DZIENNIK.PL/FORSAL: „Phase Null" – Moskaus Propagandafeldzug gegen die Balten
Das Portal dziennik.pl warnt unter Berufung auf Analysen des amerikanischen Institute for the Study of War (ISW) vor einer neuen russischen Propagandakampagne gegen die baltischen Staaten. Russland kehre zu bewährten Mustern der Informationsmanipulation zurück, die frappierend an die Narrative erinnerten, die früheren Aggressionen gegen die Ukraine, Georgien und Moldawien vorausgegangen seien.
Der Kreml, lesen wir, habe Propagandaschemata aktiviert, die zuvor als Rechtfertigung für militärische Aktionen außerhalb der Grenzen der Russischen Föderation gedient hätten. Diesmal stünden die baltischen Staaten im Zentrum dieser Narrative – vor allem Lettland. „Russland muss seine ‚Landsleute' in den baltischen Ländern schützen", habe der Duma-Vorsitzende Wjatscheslaw Wolodin verkündet. Leonid Sluzki von der Liberal-Demokratischen Partei Russlands habe sekundiert: „Die Russen in Lettland sind Teil der russischen Welt".
Das ISW habe keine Zweifel: Dies sei eine Rhetorik, die auf einem flexiblen Fundament aufgebaut sei. Der Begriff “Russkij Mir” („russische Welt") könne alles bedeuten – ehemalige Sowjetrepubliken, russischsprachige Menschen oder sogar jene, die lediglich „eine Verbindung zu Russland fühlen". Genau diese Flexibilität des Begriffs gebe Moskau freie Hand für politische und militärische Manipulationen.
Die Analysten erinnerten daran, dass Russland seit langem behaupte, die Verpflichtung zu haben, seine „Landsleute im Ausland" zu schützen, und diese Narrative genutzt habe, um Invasionen in Moldawien, Georgien und der Ukraine zu rechtfertigen. Heute könne dieselbe Formel gegen NATO-Staaten eingesetzt werden.
Wie das Portal erinnert, seien an der estnisch-russischen Grenze zuletzt bewaffnete Soldaten ohne Kennzeichen aufgetaucht. Tallinn habe sofort einen Grenzübergang geschlossen. Kurz zuvor hätten russische Flugzeuge den estnischen Luftraum verletzt. Das ISW spreche Klartext: Dies sei die „Phase Null" – die Etappe des Testens des Westens durch Provokationen und Informationschaos. „Russland spielt auf lange Sicht. Propaganda ist nur der Anfang. Und die Geschichte zeigt, dass das Ignorieren solcher Signale mehr kosten kann, als es scheint”, warnt das Portal.
GAZETA WYBORCZA: „Putin ist gefangen in seinen eigenen Entscheidungen"
Putin sei de facto zum Gefangenen seiner eigenen Entscheidungen seit der Annexion der Krim 2014 geworden, sagt indes Grzegorz Cieślak, Experte am Zentrum für Sozial- und Wirtschaftsrisiken der Universität Civitas, im Interview für die linksliberale Gazeta Wyborcza.
„Putin weiß, dass die Entlassung von Hunderttausenden Soldaten aus der Armee und ihre Rückkehr nach Hause als Folge ‚irgendeines' Kriegsendes in der Ukraine für Russland gefährlich ist", erklärt Cieślak. Die Soldaten würden in ein Land ohne Perspektiven, ohne Geld, ohne Arbeit zurückkehren – aber mit Front-Erfahrungen. „Das wird eine außergewöhnliche Welle der Gewalt sein. Das werden Morde sein, die von Soldaten begangen werden, die über mehr als zehn Jahre militärischer Operationen vergessen haben, dass das überhaupt etwas Schlechtes ist. Sie behandeln es bereits als Lebensweise. Eine andere kennen sie nicht."
Wie der Experte betont, würden Armeen demokratischer Länder dafür sorgen, dass Soldaten Programme haben, die sie davor schützen, “die aus der Teilnahme an Spezialoperationen oder militärischen Aktionen resultierenden Gewohnheiten in die zivile Welt zu übertragen, bevor sie nach Hause zurückkehren." In Russland gebe es nicht einmal Pläne oder Vorschläge für konkrete Maßnahmen zur Unterstützung der Soldaten. „Von einem Tag auf den anderen werden sich diese Menschen in einer anderen Realität wiederfinden und sich diese selbst organisieren müssen. Wird das bedeuten, dass sie das Gesetz brechen? Ohne Zweifel", so Cieślak.
Wojna spustoszyła szeregi rosyjskiej policji. Na wschód od Uralu całe miasteczka żyją bez jednego policjanta #Wyborcza wyborcza.pl/7,75399,3175...
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— Gazeta Wyborcza (@wyborcza.pl) March 11, 2025 at 11:08 AM
Der Krieg gebe in Russland Unterhalt, führt Cieślak weiter aus. Im bedeutenden Teil des fernöstlichen Teils der Russischen Föderation erhielten die Menschen zum ersten Mal seit Jahren irgendwelches Geld vom Staat – nämlich vom Sold. Wenn Russland nun aufgrund einer Aussetzung oder Beendigung des Krieges in der Ukraine die Einheiten auflöse und die Soldaten nach Hause zurückkehrten, würde auch der Geldzufluss für sie und ihre Familien abgeschnitten. „Der Staat wird wanken, und Putin ist sich bewusst, dass er zu einem von innen zusammenbrechenden Russland verdammt ist", analysiert der Experte.
Russland gehe sozial und wirtschaftlich bankrott, deshalb werde es umso schneller angreifen und versuchen, sich vom ‚Weg ohne jegliche Perspektiven' zu befreien. Putin werde zuschlagen, „wenn er denkt, dass er gewinnt, und das muss überhaupt nicht auf Logik basieren. Aber er muss die Überzeugung haben, dass ihm dafür nicht mehr droht als für den Überfall auf die Ukraine."
Krieg könne man nicht lernen. “Aber die Bürger müssen lernen, auf Experten zu hören, einschließlich Menschen in Uniformen." Wenn man zur Vorbereitung auf die ersten drei Tage eines potenziellen Konflikts aufrufe, sage man buchstäblich: „Der Staat wird nichts für dich tun, du musst es selbst tun."
Cieślaks düsteres Fazit: „Wenn in Polen nach drei Jahren jemand nicht versteht, dass sie auch für uns sterben, ist das ein Versagen des Staates und von uns allen." Auf die Frage seines Sohnes, ob er ein Haus bauen solle, wenn an der Grenze Krieg herrsche, habe er geantwortet: „Lebe so wie bisher, aber du musst einen Plan B haben." Und dieser Plan B bedeute nicht die Flucht aus Polen, sondern Vorbereitung: Streuung der Finanzen, einen Ort zum Schutz, Regeln für den Kontakt mit den Nächsten. „Wir können jetzt nicht aufhören, Pläne, Familien, Träume und Ziele zu haben. Ohne das verschwindet die Nation, wird schwach und verliert ihre Widerstandsfähigkeit – und Russland freut sich", so Grzegorz Cieślak im Interview für die Gazeta Wyborcza.
Autor: Adam de Nisau