Deutsche Redaktion

„Polen wird als Ziel von Luftangriffen in Betracht gezogen“

22.12.2025 12:15
Der Besuch von Präsident Wolodymyr Selenskyj in Warschau ist ein wichtiges Thema der polnischen Pressekommentare. Während die einen von einer überraschend konstruktiven Atmosphäre und sogar „Chemie“ zwischen den Präsidenten Nawrocki und Selenskyj berichten, verschärft die nationalistische Konfederacja ihren antiukrainischen Kurs mit einem neuen Fünf-Punkte-Paket. Zudem werden offenbar zunehmend Falschnachrichten über Ukrainer in Polen verbreitet, mit potentiell gefährlichen Folgen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und: Sabotiert Brüssel den Bau einer EU-Gigafabrik für Künstliche Intelligenz in Polen? Mehr dazu in der Presseschau.
Władimir Putin
Władimir PutinVALERY SHARIFULIN/AFP/East News

DZIENNIK/GAZETA PRAWNA: Die Kulissen des Selenskyj-Besuchs in Warschau

Das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna berichtet ausführlich über die Kulissen des Selenskyj-Besuchs in Warschau am vergangenen Freitag. Das erste bilaterale Treffen der Präsidenten Karol Nawrocki und Wolodymyr Selenskyj sei in beiden Hauptstädten positiv bewertet worden, schreiben in ihrer Analyse Zbigniew Parafianowicz und Michał Potocki. Die ukrainische Delegation, lesen wir, habe einen deutlich konfrontativeren Charakter der Gespräche erwartet, doch diese seien in konstruktiver Atmosphäre verlaufen. „Zwischen den Präsidenten entstand eine gewisse Chemie“, zitieren die Autoren einen Mitarbeiter der ukrainischen Delegation.

Wie die Publizisten berichten, hätten beide polnischen Lager – sowohl das Präsidentenlager als auch die Regierung – während der Gespräche ihre Synergie und ihren gemeinsamen Standpunkt in der Ukraine-Frage betont. „Entgegen den Medienberichten fungiert die Ukraine bei Ihnen weiterhin als einigender Faktor für Ihre politischen Lager“, wird ein ukrainischer Diplomat zitiert. Das Präsidialamt und die Kanzlei des Premierministers hätten bei der Festlegung des Szenarios für das Treffen mit den Ukrainern zusammengearbeitet. Ziel der polnischen Seite sei es gewesen, den Eindruck zu vermeiden, dass der ukrainische Präsident „gegrillt“ werde.



Besonders interessant seien die Hintergründe der Rüstungskooperation, so die Autoren. Die angekündigte Übergabe weiterer polnischer MiG-29-Kampfflugzeuge an die Ukraine sei mit einem Angebot zur Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Drohnenproduktion verbunden worden. „Im Gegenzug für die Flugzeuge bot Selenskyj eine Reihe von Optionen zur Stärkung der militärischen Zusammenarbeit an, es wurde über Drohnen und Antidrohnensysteme gesprochen, darunter für die Verteidigung der Ostsee“, zitiert das Blatt einen Vertreter der ukrainischen Delegation.

Die ukrainische Seite erwarte jedoch keine Geschenke, sondern Investitionen. Die Autoren verweisen auf Dänemark als Vorbild: Kopenhagen habe einen „beispiellosen Schritt“ unternommen und baue für ukrainische Bedürfnisse eine Fabrik zur Herstellung von Raketentreibstoff. „Die Russen werden nicht in der Lage sein, sie anzugreifen und uns den Zugang zu einer strategischen Ressource zu nehmen“, so eine Quelle aus Kiew. Auch Polen sei ein Einstieg in ein solches Schema angeboten worden – Gespräche über eine ukrainisch-polnische Drohnenproduktion in Werken in Racibórz seien jedoch gescheitert.

Der Besuch sei in eine Zeit zunehmenden russischen Drucks auf Europa gefallen. General Kyryło Budanow, Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, habe erklärt, Russland beabsichtige, seine Aggression 2027 auf Europa auszuweiten. Der Plan sehe die Besetzung der baltischen Staaten vor. „Gemäß den uns bekannten Plänen wird Polen als Ziel von Luftangriffen in Betracht gezogen, ohne eine Militärkampagne zur Besetzung von Territorien“, zitiert Dziennik/Gazeta Prawna den ukrainischen General.

GAZETA WYBORCZA: Wettlauf im Radikalismus

Die linksliberale Gazeta Wyborcza widmet sich in ihrem Aufmacher dem verschärften antiukrainischen Kurs der rechtspopulistischen Konfederacja. Tomasz Nyczka erinnert an Sławomir Mentzens Aussage vor den Europawahlen 2019: „Wir wollen keine Juden, Homosexuellen, Abtreibung, Steuern und Europäische Union.“ Nun habe die Partei ein neues Fünf-Punkte-Paket vorgestellt, das sich diesmal vollständig gegen die Ukraine richte: „Nichts umsonst“, „Ohne polnische Soldaten“, „Ukraine außerhalb der EU“, „Ukraine außerhalb der NATO“ und „Ende der zusätzlichen Privilegien“, werde darin gefordert.

Treibstoff für die Konfederaten sei der Freitagsbesuch Selenskyjs in Polen gewesen. Mentzen habe bei einer Kundgebung vor dem Sejm vor einem Transparent mit dem Bild des ukrainischen Präsidenten und der Aufschrift „Selenskyj, gib unsere 100 Milliarden zurück“ gestanden. Er habe behauptet, polnische Politiker hätten gesagt, sie seien „Diener des ukrainischen Volkes“, und „Ukrainer hätten bei Ärzten größere Rechte als Polen“.



Der Politologe Prof. Szymon Ossowski erkläre die Verschärfung des Kurses mit der Konkurrenz der Partei zu Grzegorz Brauns Partei Korona. „Das ist eine Antwort auf die Bedrohung durch Grzegorz Braun. Die Korona ist neben antisemitischen Parolen auch sehr stark antiukrainisch. Das ist ein Wettlauf der Konfederacja mit der Korona um Radikalismus“, analysiert der Wissenschaftler. Die Einstellung der Polen gegenüber Ukrainern verändere sich; Umfragen zeigten eine zunehmend kritische Haltung. „Erstens spielt die Konfederacja also auf die antiukrainischen Stimmungen in der polnischen Gesellschaft an, und zweitens kämpft sie mit Braun“, so Prof. Ossowski im Gespräch mit der Gazeta Wyborcza.

GAZETA WYBORCZA: Vom Gerücht zum Pogrom

In einem eindringlichen Kommentar warnt Michał Olszewski in der Gazeta Wyborcza vor den gefährlichen Folgen von Falschnachrichten. Nach dem Mord an einer Elfjährigen in Jelenia Góra habe der TikToker Marcin Bugaj mit dem Nickname „Hugo“ die Lüge verbreitet, die Täterin sei eine Ukrainerin gewesen. Tatsächlich handele es sich um ein polnisches Kind. „So fängt es an, ukrainische Kinder ermorden unsere Kinder. Und ihr? Ihr schlaft, verdammt noch mal“, habe Bugaj mit einem säuerlichen Lächeln gesagt.



Der Autor beschreibt dies als „klinischen Fall einer Krankheit, die nicht nur die polnische Gesellschaft befällt“. Diese Krankheit zwinge dazu, ungeprüfte Informationen zu verbreiten, und sei umso gefährlicher, als dank der sozialen Plattformen jedes noch so absurde Gerücht sich mit rasender Geschwindigkeit ausbreite. Die Richtigstellung des Innenministeriums werde ein Teil der Polen als Versuch betrachten, „die Wahrheit zu vertuschen“.

In der Parallelwelt der Verschwörungstheoretiker, so der Autor, „ermorden Ukrainer Polen, für den Krieg sind die Ukrainer verantwortlich, und unser größter Feind ist Wolodymyr Selenskyj“. Keine Dementis und keine Fakten könnten dieses Netz aus Unsinn und Lügen zerreißen. Der polnische Staat sei gegenüber solchen Gerüchten wehrlos. „Es mag eine zu weit hergeholte Analogie sein, aber in diesem Fall drängt sie sich auf. Die meisten Pogrome begannen mit einem Gerücht“, warnt Olszewski und verweist auf das Pogrom von Kielce 1946. „Die Lüge über die Nationalität der Täterin kann ebenfalls ein solcher Funke sein“, warnt der Publizist in der Gazeta Wyborcza.

RZECZPOSPOLITA: Brüssel wirft Knüppel vor Polens KI-Gigafabrik

Die konservativ-liberale Rzeczpospolita berichtet über eine besorgniserregende Entwicklung bei den EU-Plänen für KI-Gigafabriken. Wie Michał Duszczyk schreibt, plane die Europäische Kommission, die Regeln für die Auswahl der Konsortien zu ändern, die diese gewaltigen Rechenzentren bauen sollen. Dies sei eine schlechte Nachricht für Polen.



Polen, so der Autor, habe es geschafft, eine starke Allianz von Staaten zu bilden, die um eine der fünf EU-Gigafabriken kämpfen wollten. Gemeinsam mit den baltischen Staaten und Tschechien wolle man die Baltic AI Gigafactory errichten, bestehend aus zwei durch Glasfaserkabel verbundenen Zentren – eines in Prag und eines in Polen. Das Problem sei, dass rund 20 Länder um den Bau konkurrierten, darunter Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien.
„Ich habe mit Vertretern der EK gesprochen und wir haben einige ernsthafte Einwände. Die neuen Regelungsvorschläge gehen in Richtung Ausschreibungen, bei denen Unternehmen und nicht Staaten die Führung übernehmen sollen. Das ist eine grundsätzliche Änderung des Konzepts, die die bereits gegründeten Konsortien ihrer Anreize zur Zusammenlegung von Anträgen berauben könnte“, wird Vizeminister für Digitalisierung Dariusz Standerski zitiert.

Die endgültigen Entscheidungen sollen Mitte Januar fallen, dann beginne der Auswahlprozess. Die Entscheidung werde im ersten Quartal des kommenden Jahres erwartet. Im Ministerium für Digitalisierung betone man, dass man mit „allen spricht, die investieren wollen, denn eine solche Fabrik für künstliche Intelligenz wäre für Polen ein gewaltiger Entwicklungssprung“. Das Projekt Baltic AI Gigafactory soll 3 Milliarden Euro kosten, wobei 65 Prozent aus dem Privatsektor und 35 Prozent aus öffentlichen Mitteln stammen sollen, so die Rzeczpospolita.

Autor: Adam de Nisau

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