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Spectator: “Berlins “nein” zu Reparationen beruht auf einer schändlichen Fehlinterpretation der Geschichte”

22.06.2023 10:33
"Berlins Versuch, das Thema abzuschließen, basiert auf einer schändlichen Fehlinterpretation der Geschichte. Das polnische Volk hat seinen Anspruch auf Reparationen nie aufgegeben, und es hat auch noch keine Reparationen erhalten", schreibt die britische Kolumnistin Georgia L. Gilholy in “The Spectator”.
Mularczyk: jeśli PiS wygra, dostaniemy reparacje od Niemiec
Mularczyk: jeśli PiS wygra, dostaniemy reparacje od NiemiecŻdżarski Wacław / Narodowe Archiwum Cyfrowe

In einer aktuellen Analyse für “The Spectator” kritisiert die Publizistin Georgia L. Gilholy die Haltung Berlins in der Debatte über Kriegsentschädigungen für Polen. Anlass für den Artikel ist das neuerliche Treffen polnischer und griechischer Anwälte in Athen, bei dem es um Pläne ging, gemeinsam Druck auf Deutschland wegen der Reparationen auszuüben. “Berlin hat andere Staaten bei Themen wie Brexit und Rindfleisch belehrt, aber bei diesem unbequemen Thema ist Deutschland viel stiller. Wie lange kann es die Forderungen noch ignorieren?", fragt die Publizistin. 

"Versuch, die Debatte zu beenden beruht auf schändlicher Fehlinterpretation der Geschichte"

Die Autorin erinnert an den Tod von fast sechs Millionen Polen während der deutschen Besatzung und urteilt, dass die von polnischer Seite genannte Zahl von einer Billion Pfund eine vorsichtige Schätzung der materiellen Kosten der Besatzung sei, bei der die von Polen an die Sowjetunion verlorenen Gebiete nicht berücksichtigt worden seien.

"Die deutschen Minister haben sich klar ausgedrückt: Die Angelegenheit sei abgeschlossen. Aber der Berliner Versuch, die Debatte zu dem Thema zu beenden, beruht auf einer beschämenden Fehlinterpretation der Geschichte. Das polnische Volk hat seinen Anspruch auf Reparationen nie aufgegeben und auch noch keine Entschädigung erhalten", so Gilholy.

"Abgetretene Gebiete keine gerechte Lösung"

Die Kolumnistin bezieht sich auch auf das Argument, laut die Abtretung von Gebieten durch Deutschland an Polen im Jahr 1945 eine ausreichende Entschädigung für Polen gewesen sei. "Deutschland hat eine bedingungslose Kapitulation mit den alliierten Mächten unterzeichnet, die daraufhin beschlossen, Polen einen Teil der ehemaligen deutschen Gebiete von der Oder bis Pommern zu überlassen. Diese Beschlüsse wurden auf den Konferenzen von Jalta, Teheran und Potsdam als Teilkompensation für die von der UdSSR Polen entzogenen Gebiete in Litauen, Weißrussland und der Ukraine vereinbart. Polen war bei diesen Gesprächen nicht vertreten, und der Landtausch war ein kaum verhüllter Trick Stalins, um den Westen weiter von seinem Machtzentrum in Moskau zu distanzieren", schreibt die Autorin und fügt hinzu, dass kein ehrlicher Historiker dies ernsthaft als eine gerechte Lösung des Problems polnischer Leiden ansehen könne. 

Zudem würde Berlins Reaktion auf den polnischen Bericht zur Kriegsschäden nicht mit der Reaktion Berlins auf ähnliche Forderungen anderer Länder übereinstimmen. Nur ein Beispiel seien die Gespräche mit Namidia und die Entscheidung der Bundesrepublik, mehr als eine Milliarde Euro für Projekte in seiner ehemaligen Kolonie zu spenden.

Juden spielen laut deutschem Beamten in anderer Liga als Polen

“Ein britischer Delegierter erzählte mir entsetzt, wie ein deutscher Beamter ihm gegenüber unter vier Augen andeutete, dass Juden in Bezug auf Reparationen in einer anderen Liga spielten als Polen. Diese bizarre Bemerkung verkennt auf erschütternde Weise die Tatsache, dass viele Holocaust-Opfer und ihre Familien aufgrund der schlechten Beziehungen zwischen Deutschland und Warschau und nicht trotz dieser Beziehungen bis heute keine Entschädigung erhalten haben."

Gilholy widerspricht in ihrem Artikel auch der Behauptung, die konservative Regierung in Polen habe das Thema Reparationen nur für den Wahlkampf aufgeworfen. "Sind Kriegsopfer weniger entschädigungswürdig, weil sie aus der Perspektive Berlins zu konservativ sind?"

"Diese Geschichte”, so die Autorin, “zeigt vor allem, dass Berlin seine Rolle bei den Gräueln des 20. Jahrhunderts nach wie vor verleugnet." Abschließend weist Gilholy darauf hin, dass viele Kunstwerke, die von den Nazis aus Polen gestohlen und nach Deutschland exportiert wurden, noch immer in deutschen Galerien zu sehen sind.

pap/adn