Deutsche Redaktion

Premierminister Tusk: “Wir leben in Vorkriegszeiten"

29.03.2024 10:03
„Wir müssen uns mental auf das Anbrechen einer neuen Ära einstellen. Die Zeichen sind unübersehbar“, betont Premierminister Tusk in seinem ersten Presseinterview seit Amtsantritt, das in führenden europäischen Zeitungen veröffentlicht wurde, darunter "Gazeta Wyborcza", "El Pais", "La Repubblica", "Die Welt", "Le Soir" und "Tribune de Geneve", die alle dem LENA-Medienverbund angehören.
Donald Tusk dla prasy o pakcie migracyjnym: to nie jest dobra odpowiedź na problemy w Polsce
Donald Tusk dla prasy o pakcie migracyjnym: to nie jest dobra odpowiedź na problemy w PolscePAP/DPA/Christoph Soeder

In dem Interview appelliert Polens Regierungschef an Europa, sich mit dem Gedanken an eine mögliche neue Kriegsbedrohung vertraut zu machen und entsprechende Vorbereitungen zu treffen. „Die nächsten zwei Jahre werden über alles entscheiden“, so Tusk.

Der Premierminister kritisiert die derzeitigen Verteidigungsausgaben in Europa und betont die Notwendigkeit, mindestens 2 Prozent des BIP für Verteidigungszwecke zu investieren. Während Polen 4 Prozent seines BIP für die Verteidigung aufwendet, erkennt Tusk an, dass die Sicherheitslage Polens anspruchsvoller ist als die anderer Länder, besteht jedoch darauf, dass ein Mindestaufwand unerlässlich ist.

"Es ist in unserem Interesse, die Ukraine in bestmöglicher Verfassung zu halten"

Ein zentrales Anliegen, so Tusk, sei die Unterstützung der Ukraine gegen die russische Aggression, um ihre Souveränität und territoriale Integrität zu bewahren. „Die Zukunft der Ukraine liegt größtenteils in unseren Händen – nicht nur Polens oder der EU, sondern des gesamten Westens“, erklärt der Regierungschef. Trotz der aktuellen Herausforderungen sieht er die Lage der Ukraine als deutlich verbessert im Vergleich zu Kriegsbeginn. Es liegt an uns, dafür zu sorgen, dass die Ukraine pessimistische Szenarien vermeiden kann. Die Lage der Ukraine ist heute viel schwieriger als vor einem Jahr, aber sie ist auch viel besser als zu Beginn des Krieges, als Putins Soldaten vor den Toren Kiews standen", argumentiert der Regierungschef.

Dabei weist er darauf hin, dass der Krieg in der Ukraine möglicherweise langfristig gedacht werden muss. "Das bedeutet für die europäischen Länder mehr und mehr neue Verantwortung. Es ist in unserem Interesse, die Ukraine in bestmöglicher Verfassung zu halten. In Polen ist sich jeder dessen bewusst, und es steht nicht zur Diskussion", so  Premierminister Tusk.

Zu den polnisch-ukrainischen Beziehungen und dem Streit über die Öffnung des EU-Marktes für ukrainische Lebensmittel erklärt der Premierminister: "Wir wollen der Ukraine so gut wie möglich helfen. Aber auf dem letzten Gipfel in Brüssel habe ich argumentiert, dass die Idee des Freihandels mit der Ukraine neu gestaltet werden muss. Ich möchte ein faires Abkommen, ich möchte einen gemeinsamen Nenner für die Interessen der Ukraine, Polens und der gesamten EU finden", betont Tusk.

"EU-Migrationspakt ist keine gute Antwort auf die Probleme Polens"

Zum Thema Migration und den von den Regimen Putins und Lukaschenkos orchestrierten Flüchtlingsströmen aus Asien und Afrika nach Europa betont der Regierungschef die Notwendigkeit einer Balance zwischen humanitärem Vorgehen und Effektivität. "Sie behandeln die Menschen wie ein Werkzeug. Sie wollen, dass wir an einen Punkt gelangen, an dem wir unsere eigenen Rechte und Werte verleugnen müssen. Pushbacks als Methode sind moralisch inakzeptabel. Wir müssen eine bessere Lösung finden." Die Alternative, so Tusk, könne jedoch nicht Hilflosigkeit oder Unsicherheit an unseren EU-Grenzen sein.

Der EU-Migrationspakt sei leider “keine gute Antwort auf die Probleme, die wir in Polen haben". "In unserem Teil Europas bedeutet Migration etwas anderes als im Mittelmeerraum. Hier ist sie kein spontanes Phänomen. Spontan sind Hunderttausende von ukrainischen Frauen und Männern vor dem Krieg zu uns geflohen und wir haben sie von Anfang an uneingeschränkt aufgenommen", betonte Tusk. 

Der polnische Regierungschef räumt ein, dass das Problem darin besteht, dass wir heute erneut Zeuge einer vorbereiteten und effizient organisierten Aktion des Lukaschenko-Regimes an der Grenze zu Belarus sind. "Ich werde einige der vom polnischen Grenzschutz angewandten Methoden nicht rechtfertigen, aber wir können Putin und Lukaschenko nicht hilflos gegenüberstehen, denn sie organisieren dies nicht nur, sondern nutzen es auch als Druckmittel", so der Regierungschef.

PAP/adn