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Tucker Carlson, Russland und der Krieg der Narrative

03.11.2025 12:39
Um zu verstehen, warum Carlson sagt, was er sagt, muss man sich nicht nur die Fakten ansehen, sondern auch die Motivationen und die breitere Landschaft der amerikanischen Medien, schreibt Tomasz Ferenc in seiner Analyse für den Auslandsdienst des Polnischen Rundfunks. 
Американський «журналіст» Такер КарлсонWikimedia Commons/Gage Skidmore from Peoria, AZ, United States of America - Tucker Carlson/CC BY-SA 2.0


Was er wirklich sagte, warum er es tat und welche Bedeutung dies für Polen hat

Der amerikanische Journalist und Kommentator Tucker Carlson – jahrelang eine der lautesten Stimmen des Fernsehsenders Fox News – befindet sich erneut im Zentrum einer Debatte über die Grenzen der Meinungsfreiheit, Propaganda und den Einfluss des Kremls in der westlichen Welt. In seinem jüngsten Auftritt im russischen Fernsehen bezeichnete Carlson Wladimir Putin als den „beliebtesten Politiker der Welt", behauptete, dass die Ukraine und ihre europäischen Verbündeten „nicht in der Lage seien, Russland zu besiegen", und dass die Ukrainer selbst „bald als Nation aufhören werden zu existieren". Dazu fügte er eine Verschwörungstheorie hinzu, wonach die Behörden in Kiew planten, die durch den Krieg dezimierte männliche Bevölkerung durch Migranten aus der „Dritten Welt" zu ersetzen.

Das klingt wie ein lehrbuchmäßiges Set russischer Propagandathesen – und genau das ist es größtenteils auch. Um jedoch zu verstehen, warum Carlson sagt, was er sagt, muss man sich nicht nur die Fakten ansehen, sondern auch die Motivationen und die breitere Landschaft der amerikanischen Medien.
Zwischen Fakten und Fiktion

Putins Popularität. Carlson behauptete, Putin sei der „beliebteste Anführer der Welt". Laut unabhängigen Daten ist diese Behauptung schlichtweg falsch. In einer Studie des Pew Research Center aus dem Jahr 2025 bewerteten 79 Prozent der Befragten in 25 Ländern Russland negativ, und 84 Prozent äußerten mangelndes Vertrauen in Putin. Zwar sind seine Zustimmungswerte innerhalb Russlands hoch (obwohl auch den dortigen Umfragen nicht vollständig vertraut werden kann) – aber global ist das Bild das genaue Gegenteil. Von „größter Beliebtheit" zu sprechen ist eine Manipulation, die inländische Unterstützung mit globaler Reichweite vermischt.

Die Ukraine ist zum Scheitern verurteilt. Carlson behauptet, die Ukraine und der Westen hätten keine Chance, und die „Ukrainer werden aufhören zu existieren". Dies ist eine fatalistische These ohne Grundlage in militärischen Analysen. Der Krieg verläuft mit wechselndem Erfolg, und das Ergebnis hängt von Waffenlieferungen, Moral, politischen Entscheidungen und Logistik ab. Weder NATO-Experten noch die ukrainische Militärführung bestätigen die Unvermeidlichkeit des Zusammenbruchs des Staates. Dies ist ein psychologisches Narrativ – es soll entmutigen, nicht informieren.

Die „Ersetzung" der Ukrainer durch Migranten. Dies ist eine klassische Verschwörungstheorie aus dem Umfeld der sogenannten Great Replacement Theory, also des Mythos vom „Bevölkerungsaustausch" durch die Eliten. Es gibt keinerlei Beweise für einen Plan, Migranten zu holen, um die Kriegsopfer zu „ersetzen". Solche Behauptungen tauchten zuvor in russischer und rechtsextremer Propaganda in Europa und den USA auf und verbinden die Angst vor Migration mit antiwestlicher Rhetorik.

Der Niedergang des Westens, die Macht Russlands. Carlson sagt, die USA erleben einen Zusammenbruch „wie Russland in den 90er Jahren", während Russland eine „starke Industriemacht und enger Verbündeter Chinas" sei. Dies ist ein stark überzeichnetes Bild. Zwar kämpft der Westen mit der Energiekrise, Inflation und sozialen Spannungen. Russland hat tatsächlich die Militärproduktion erhöht und die Zusammenarbeit mit China vertieft. Aber seine Wirtschaft bleibt durch Sanktionen belastet, ist vom Rohstoffexport abhängig und weit von westlichen technologischen Standards entfernt.
Carlson lügt also nicht direkt, sondern setzt Fragmente der Wahrheit zu einer Erzählung zusammen, die zu einer falschen Schlussfolgerung führt: dass die liberale Welt zusammenbricht und Russland triumphiert.




Warum macht Carlson das?

Ideologie, Identität und Kalkül

1. Anti-Interventionismus und Rebellion gegen die Eliten. Carlson präsentiert sich seit Jahren als Kritiker des amerikanischen Establishments. Er lehnt Globalismus, „ewige Kriege" und die NATO-Erweiterung ab. In seinen Augen ist Russland nicht der Feind, sondern die Antithese des westlichen Liberalismus – ein souveräner Staat, der traditionelle Werte und nationale Interessen verteidigt. Wenn er also von „Sympathie für Putin" spricht, geht es oft nicht um Putin selbst, sondern um ein Symbol: Widerstand gegen die Dominanz liberaler Eliten.

2. Kultur und Männlichkeit als Politik. Carlson baut seine Medienidentität auf der Erzählung von der „Krise der Männlichkeit" und dem „Niedergang des Westens" auf. In dieser Vision erscheint Russland als Welt der „echten Männer", ein Staat fester Prinzipien und Disziplin – das Gegenteil des verweichlichten, progressiven Amerikas. Das ist natürlich ein Mythos, aber für einen Teil seines Publikums äußerst attraktiv.

3. Kontrarianismus als Marke. Carlson lebt von Kontroversen. In einer Welt, in der Medien um Aufmerksamkeit kämpfen, ist es ein Geschäftsmodell, „derjenige zu sein, der die Wahrheit sagt, vor der andere sich fürchten". Die Verteidigung Russlands und Angriffe auf die Ukraine sind in diesem Sinne ein Medienprodukt: Sie schockieren, spalten, ziehen Klicks und treue Fans an.

4. Trumpismus und die neue Rechte. Carlson war eine der wichtigsten Stimmen zur Unterstützung von Donald Trump und der Idee von America First. In den letzten Wochen hat Trump jedoch seinen Ton gegenüber der Ukraine gemäßigt, was Carlson in eine unangenehme Position brachte. Aber seine Linie – isolationistisch, anti-ukrainisch und anti-establishment – bleibt attraktiv für einen Teil der republikanischen Basis, die die Hilfe für Kiew als „einen weiteren Krieg, der nicht unserer ist" betrachtet.

5. Gegenseitige Vorteile der Propaganda. Man kann noch eine weitere Ebene nicht ignorieren: Carlson ist für die russischen Medien zum Geschenk geworden. Der Kreml hat sich wiederholt auf seine Aussagen in der internen Propaganda bezogen, und das russische Fernsehen sendete Ausschnitte aus seinen Sendungen. Beide Seiten haben etwas davon: Er – globale Bekanntheit und den Status eines „unabhängigen Denkers", sie – eine westliche Stimme, die ihre Botschaft legitimiert.

Russland als politische Fantasie

Das Ergebnis ist ein Phänomen, das man als Mythologisierung Russlands bezeichnen kann. Für Carlson und ähnliche Kommentatoren ist Moskau kein konkreter Staat mit einem repressiven Regime und autoritärem System, sondern eine Projektion: eine „echte" Nation, die sich dem Liberalismus widersetzt und an Traditionen festhält. Dies ist eher eine kulturelle als eine geopolitische Vision, aber propagandistisch sehr wirksam.
Das Problem ist, dass eine solche Mythologie die Grenze zwischen Analyse und Agitation verwischt. Wenn russische Medien die Aussagen eines amerikanischen Journalisten als „Beweis" für den westlichen Niedergang nutzen, hört es auf, eine private Meinung zu sein – es wird zu einem Einfluss-Instrument..

Was bedeutet das für Polen

1. Erosion der Unterstützung für die Ukraine. Wenn sich in der öffentlichen Meinung – auch in Polen – die Überzeugung festsetzt, dass „die Ukraine sowieso verlieren wird", könnte dies die Unterstützung für militärische und humanitäre Hilfe schwächen. Und das wirkt sich direkt auf die Sicherheit der östlichen NATO-Flanke aus.

2. Verstärkung von Spaltungen. Narrative über den „Niedergang des Westens" und die „Ersetzung der Bevölkerung" erreichen dieselben Gruppen, die anfällig für anti-flüchtlings- und antieuropäische Botschaften sind. In Polen, wo Migration und Sicherheit politisch explosive Themen sind, können solche Theorien leicht an polnische Verhältnisse angepasst und in internen Kampagnen genutzt werden.

3. Test der Informationsresilienz. Polen war und bleibt eines der Hauptziele russischer Desinformation. Carlson – als laute amerikanische Stimme, die russische Thesen wiederholt – wird für diese Maschinerie nützlich. Die Fähigkeit, die Absichten und den Kontext seiner Aussagen zu erkennen, ist Teil einer breiteren gesellschaftlichen Resilienz.


Fazit: Zwischen Mikrofon und Megafon

Tucker Carlson ist kein russischer Agent. Aber er ist Teil eines größeren Puzzles geworden, in dem Ideologie, persönliche Ambitionen und medialer Zynismus auf die Bedürfnisse des Kremls treffen. In seinem Narrativ ist Russland kein Land, sondern ein Symbol: der Rebellion gegen das liberale Amerika, der Sehnsucht nach einer einfachen Welt, in der Stärke und Tradition mehr bedeuten als Kompromiss und Gemeinschaft.
Für Polen ist dies eine Erinnerung daran, dass der Informationskrieg nicht nur östlich des Dnipro geführt wird. Er wird auch im Netz, im Fernsehen und in den Köpfen der Zuschauer geführt, die zunehmend Lautstärke mit Wahrheit verwechseln. Und dass Propaganda manchmal nicht auf Russisch sprechen muss, um wie ein Echo aus Moskau zu klingen.

Tomasz Ferenc, Auslandsdienst des Polnischen Rundfunks


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