Beide Staatschefs haben sich am Freitag in Warschau getroffen. Selenskyj war zu einem eintägigen offiziellen Besuch nach Polen gereist. Nach dem feierlichen Empfang haben die Präsidenten ein Vieraugengespräch geführt und leiteten anschließend die Gespräche der Delegationen beider Länder. Die Gespräche der Präsidenten haben länger als vorgesehen gedauert. Der ukrainische Staatschef erschien in einem schwarzen Anzug. Nach dem Treffen traten beide Präsidenten gemeinsam vor der Presse auf.
Nawrocki hat den Besuch Selenskyjs in Warschau als gute Nachricht für Polen, Kiew und die gesamte Region gewertet, zugleich aber als schlechte Nachricht für Moskau. Darüber hinaus sei der Besuch des ukrainischen Präsidenten ein Beleg dafür, dass Polen, die Ukraine und andere demokratische Länder der Region in Fragen der strategischen sicherheitspolitischen Zusammenarbeit geschlossen zusammenstehen. Dies habe, wie er betonte, niemals zur Debatte gestanden.
Wie der Präsident erklärte, habe die russische Bedrohung lange vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Jahr 2022 begonnen. Moskau untergrabe mit seinem Handeln die internationale Ordnung, verletze die Grundsätze des Völkerrechts und trage seit vielen Jahren zur Destabilisierung politischer Systeme bei. „Dessen waren und sind wir uns in Polen bewusst“, sagte Nawrocki. Er erinnerte daran, dass Polen ebenso wie andere europäische Länder Ziel hybrider Angriffe, darunter Drohnenattacken und Angriffe auf die Infrastruktur sei.
Eingefrohrene, russische Gelder sollten an Ukraine gehen
Nawrocki erklärte, Polen unterstütze auf allen diplomatischen Foren Sanktionen gegen Russland sowie Maßnahmen gegen die sogenannte Schattenflotte, die russisches Öl unter Umgehung der Sanktionen transportiere. Er versicherte zudem, Polen unterstütze alle Bemühungen, eingefrorene russische Vermögenswerte an die Ukraine zu übertragen. „Wir unterstützen auch den diplomatischen Druck. Ich tue dies persönlich als Präsident Polens, ebenso wie die polnische Regierung“, sagte Nawrocki. Wie er betonte, habe Polen der kämpfenden Ukraine seit Beginn der russischen Aggression Hilfe geleistet.
Bei den Gesprächen sei der Umfang der polnischen humanitären, militärischen und verteidigungspolitischen Hilfe sowie die infrastrukturelle Unterstützung thematisiert worden. Seit 2022 seien 4,91 Prozent des polnischen BIP „zur Unterstützung unseres Nachbarn Ukraine“ aufgewendet worden, sagte Nawrocki.
Beide Länder seien sich auch einig in der Einschätzung Russlands als neoimperialen Staat, der nicht nur für die Ukraine und Polen, sondern für ganz Europa eine Bedrohung darstelle. Polen, die Ukraine und die gesamte Welt erwarteten einen Frieden, der dauerhaft und verbindlich sein müsse und Russland keine Möglichkeit zur Neuformierung seiner Kräfte geben dürfe, sagte er.
Polen erwartet Wertschätzung und Exhumierungen
Nach Angaben des polnischen Präsidenten sei auch eine „gewisse allgemeine Stimmung“ Gegenstand der Gespräche gewesen. Wie er sagte, spiegele sich diese in Umfragen wider. Viele Polen hätten den Eindruck, dass der Einsatz und die vielschichtige Hilfe Polens für die Ukraine seit Beginn der Großinvasion nicht ausreichend gewürdigt und verstanden worden seien, fügte Nawrocki hinzu. „Das habe ich Präsident Selenskyj in einem klaren, ehrlichen, zugleich aber sehr freundlichen und auf Augenhöhe geführten Gespräch vermittelt“, sagte er. Man sei sich bewusst, dass die Behörden in Kiew heute über Instrumente verfügten, um diese Stimmung und diesen Trend aufzuhalten und umzukehren, betonte Nawrocki.
Wie er hinzufügte, ging es bei den Gesprächen auch um die Exhumierungen der Opfer des Wolhynien-Massakers. Der Präsident erinnerte, dass 26 Anträge des Instituts für Nationales Gedenken (IPN) auf Exhumierungen noch auf eine Entscheidung der ukrainischen Seite warten. Diese Fragen müssten noch geklärt werden. Aus diesem Grund hätten an dem Treffen auch die Leiter des polnischen IPN sowie der entsprechenden ukrainischen Institution teilgenommen.
Nawrocki dankte Selenskyj zudem für die Gespräche über die polnisch-ukrainische wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie für die Erklärungen zum möglichen Engagement polnischer Unternehmen beim Wiederaufbau der Ukraine nach dem Abschluss des erhofften Friedens.
Frieden ohne Trump unmöglich
„Ich habe den starken Eindruck, dass wir auch hier gemeinsame Auffassungen vertreten: Dass dieser Frieden ohne ein Engagement nicht zu erreichen ist, das ich als Präsident Polens sehr schätze – das Engagement des Präsidenten der Vereinigten Staaten, Donald Trump, der tatsächlich eine Garantie für eine Lösung dieser Fragen darstellt. Selbstverständlich unter Beteiligung der Ukraine, unter Wahrung ihrer territorialen Integrität und der Sicherheit der gesamten Region“, sagte Nawrocki. Wie er betonte, sei man sich bewusst, dass der US-Präsident der einzige Staatschef weltweit sei, der bereit sei, „Wladimir Putin, der – wie wir wissen – Vereinbarungen nicht einhält, zum Abschluss eines Friedens zu zwingen“.
Seine Gespräche mit Selenskyj hätten auch die Möglichkeit betroffen, dass Polen dank seiner engen Beziehungen zu den USA zu einem Energie-Drehkreuz für die gesamte Region Mittel- und Osteuropas werden könnte. Rund 15 Prozent der Energie über das LNG-Terminal in Świnoujście würden in die Ukraine geliefert. Dies stelle ein großes Potenzial für die polnisch-ukrainische Zusammenarbeit dar.
Die Präsidenten wurden auch zu der Stationierung des ballistischen Systems Oreschnik in Weißrussland sowie zu der Bedrohung befragt, die dieses Land für Polen und die Ukraine darstelle. Nawrocki betonte, dass Polen von den Erfahrungen der Ukraine unter anderem im Bereich der Drohnenabwehr profitieren sollte. Polen stehe seit vielen Jahren in einem hybriden Krieg mit Russland und Weißrussland. Selenskyj erklärte, die Ukraine informiere ihre Partner über die Gefahren, die vom Oreschnik-System ausgehen. Zudem habe die Ukraine die Verhängung von Sanktionen gegen Unternehmen beantragt, die Komponenten für das System herstellen.
Polen sollte an Friedensverhandlungen teilnehemen
Eine weitere Frage betraf, ob Polen bei den Verhandlungen über das Ende des Krieges in der Ukraine am Verhandlungstisch sitzen sollte. Dies wurde im Zusammenhang mit der Abwesenheit eines polnischen Vertreters bei den Gesprächen Ende November in Genf aufgeworfen.
Wie Nawrocki betonte, würden sowohl er selbst als auch die Regierung in Sicherheits- und Diplomatiefragen umsichtig vorgehen und bestimmte bisher praktizierte Gepflogenheiten respektieren wollen, trotz – so fügte er hinzu – politischer Diskussionen zwischen beiden Machtzentren. Er unterstrich, dass Polen in der Koalition der Willigen durch Premierminister Donald Tusk vertreten sei. Polen sollte seiner Ansicht nach als führendes Land der gesamten mittel- und osteuropäischen Region zu Treffen eingeladen werden, die diese Region betreffen.
Selenskyj versicherte seinerseits, die Präsenz Polens am Verhandlungstisch sei für die Ukraine sehr wichtig. Bisher habe es zahlreiche Treffen der Koalition der Willigen gegeben, an denen polnische Vertreter teilgenommen hätten. Er fügte hinzu, dass die Gespräche in Genf in einem anderen Format stattfanden und auf Anregung der USA durchgeführt worden seien.
PAP/IAR/ps