Deutsche Redaktion

Politische und soziale Spannung steigt

27.04.2020 10:51
Die politische Lage in Polen spitzt sich zu. Auch in polnischen Familien wird die Atmosphäre immer angespannter. Die Einzelheiten im Pressespiegel. 
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SUPER EXPRESS: Die politische Spannung steigt

Die Tageszeitung Super Express überlegt, ob ein plötzliches Ende der Regierung schon im Mai möglich wäre. Den Grund für derartige Überlegungen liefert die äußerst angespannte Lage im Parlament. Alles habe mit der Äußerung eines oppositionellen Senators begonnen. Jan Maria Libicki meinte, die Entstehung einer neuen Mehrheit im Sejm wäre möglich. Diese Mehrheit wäre imstande die für Mai angekündigte Präsidentschaftswahl zu blockieren und einen neuen Parlamentsvorsitzenden zu wählen. Die Emotionen seien hochgekocht – die Briefwahl stelle für die regierende Partei PiS eine absolute Priorität dar. Die Wahl des ehemaligen Vizepremierministers Jarosław Gowin zum neuen Sejm-Marschall würde zugleich das Ende der Regierungskoalition und für die PiS den Verlust der Mehrheit bedeuten. Dies würde höchstwahrscheinlich zum Fall der Regierung beitragen.

Geht es nach dem oppositionellen Senator, herrsche momentan Panik in den Reihen der Regierungspartei. Die Abgeordneten würden langsam die Nerven verlieren. Stanisław Terlecki, ein führender Politiker der PiS-Partei, habe wütend festgestellt, das ein einfacher Abgeordneter wie Jarosław Gowin die Politik der Regierenden nicht blockieren werde. Sein Verhalten habe Terlecki als ein Resultat von krankhaften Ambitionen gedeutet.

Im Streit um eine Verlegung der für den 10. Mai geplanten Präsidentschaftswahl sei Polens stellvertretender Ministerpräsident Jaroslaw Gowin vor wenigen Wochen zurückgetreten, erinnert das Blatt. Er habe andere Politiker im Lager der konservativen Regierungspartei PiS nicht davon überzeugen können, dass die Wahl verschoben werden müsse, und habe sich zuletzt mit Vertretern der Opposition zu Gesprächen getroffen. Die meisten Politiker der kleinen Koalitionspartei "Porozumienie" aber seien bislang der PiS-Linie treu geblieben.


DZIENNIK/GAZETA PRAWNA: Große Welle des Egoismus

In seinem Kommentar in der Wochenzeitschrift Dziennik/Gazeta Prawna bezieht sich der Publizist Piotr Wójcik auf die gesellschaftlichen Folgen der andauernden Isolierung. Es sei verständlich, so der Autor, dass in Krisenzeiten die Bürger sich mehr an den Staat und seine Organe orientieren würden. Er gehe zugleich aber davon aus, dass nach dem Höhepunkt der Pandemie eine entgegengesetzte Tendenz zu verzeichnen sein werde: im wirtschaftlichen Bereich werde es zu einer weitgehenden Privatisierung kommen, in sozialen Kontakten zu einer sichtlichen Individualisierung des Lebens. Die neue Wirklichkeit werde nicht unbedingt einen neuen, auf Zusammenarbeit orientierten Alltag bringen, vielmehr solle man nach der Pandemie eine Art Cyberpunk-Dystopie erwarten, in der die gesellschaftliche Solidarität von brutaler Dominanz der eigenen Interessen dominiert wird.

Wozu solle man sich um das Öffentliche (Wälder, Parkanlagen, Schwimmbäder) kümmern, wenn es nur schwer oder gar nicht erreichbar ist und man es sowieso nicht frei nutzen könne. Dementsprechend werde man dem Privaten den Vortritt leisten. Individuelle Lebensmodelle - konzentriert vor allem auf dem eigenen Ich oder der eigenen Familie - würden in den Vordergrund treten, weil sich eben diese Lebenseinstellung während der Isolierung als hilfreich und wirksam erwiesen habe, schreibt der Publizist Piotr Wójcik in Dziennik/Gazeta Prawna.


RZECZPOSPOLITA: Polen zu streng für Pendler

Die Tageszeitung Rzeczpospolita zitiert den sächsischen Ministerpräsidenten, der die entschlossenen Sicherheitsvorkehrungen der polnischen Regierung kritisiert. Der Politiker sei besorgt darüber, was an der geschlossenen deutsch-polnische Grenze passiere. Er glaube, dass die polnische Regierung über das Ziel hinausgeschossen sei. Die EU habe geschafft, dass die Grenze kein Ende eines Wirtschafts- und Lebensraums mehr sei und daran hätten sich die Menschen in der Region gewöhnt und pendelten zum Wohnen und Arbeiten hin und her. Durch die rigorose Grenzschließung in der Corona-Krise sei daraus eine große Not geworden, meint Kretschmer. Seiner Ansicht nach seien die wirklich Leidtragenden die polnischen Staatsbürger.

Die Regierung in Warschau habe Mitte März im Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie die Grenzen für Ausländer geschlossen. Berufspendler müssen nach ihrer Rückkehr nach Polen in eine zweiwöchige häusliche Isolierung.


PLUS MINUS: Isolierung bringt Frustration

Vom Einfluss der Isolierung auf die zwischenmenschlichen Beziehungen spricht der Soziologe, Professor Janusz Czapiński im Gespräch mit der Wochenzeitschrift Plus Minus. Die angeordnete Isolierung gekoppelt mit einer Ungewissheit über die Zukunft, resultierten mit einer enormen Frustration, stellt der Wissenschaftler fest. Viele Menschen könnten das, was die geplant hätten nicht realisieren. Viele Karrieren seien gebrochen worden. Die Stimmung in vielen polnischen Häusern sei schlecht. Und dagegen gäbe es kein Heilmittel. Solange die Isolierung angeordnet sein werde, müsse man mit einer steigenden Spannung in den Familien rechnen. Auch die neusten Technologien seien für längere Zeit keine Alternative. Instinktiv spüre man doch, dass diese Art von Kontakten nicht hundertprozentig echt sei, dass sie die emotionale Intensität einer direkten Begegnung nicht ersetzen könnten, sagt Professor Janusz Czapiński.

Jakub Kukla