Deutsche Redaktion

Ist die Istanbul-Konvention ein ideologisches Manifesto?

07.08.2020 09:00
Plant Polen mit einem Ausstieg aus der Istanbulkonvention, den Opfern häuslicher Gewalt den Rücken zu kehren? Wer steht hinter der Kampagne gegen die Konvention? Und: Droht dem polnischen Gesundheitssystem im Herbst der Kollaps? Mehr zu diesen Themen in der Presseschau.
Minister Zbigniew Ziobro prezentuje wniosek ws. wypowiedzenia konwencji stambulskiej
Minister Zbigniew Ziobro prezentuje wniosek ws. wypowiedzenia konwencji stambulskiejPAP/Wojciech Olkuśnik

Heute mit einem Blick in die Wochenzeitungen. Diese nehmen in ihren aktuellen Ausgaben unter anderem die neueste Diskussion über einen eventuellen Ausstieg Polens aus der Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt unter die Lupe.

 

Sieci: Die Konvention ist ein ideologisches Manifesto

Der Vorwurf, dass die polnische Regierung mit einem eventuellen Ausstieg aus der Instanbul-Konvention den Opfern häuslicher Gewalt den Rücken kehren würde, sei unbegründet, erklärt im regierungsnahen Wochenblatt Sieci Vize-Justizminister Marcin Romanowski. Der Grund: Geht es nach dem Politiker, würde polnisches Recht in vielen Bereichen höhere Standards vorsehen, als der Istanbul-Vertrag. Wie Romanowski erinnert, sei es die konservative Regierung gewesen, die die Pflicht der sofortigen Isolierung des Verursachers häuslicher Gewalt aus der gemeinsam mit dem Opfer besetzten Wohnung eingeführt habe. Dadurch müsse sich der Täter nun endlich um ein Dach über dem Kopf sorgen. Und nicht, wie es über Jahre hinweg unter den Liberalen gewesen sei, die betroffene Frau, die - oft mit ihren Kindern - die Wahl hatte zu flüchten oder die Wohnung weiterhin mit dem Täter zu teilen. Daher sei der Vorwurf der “Legalisierung häuslicher Gewalt” durch die polnische Regierung ekelhafte Manipulation. Ekelhaft, denn diejenigen, die auf ihn zurückgreifen, würden versuchen, das Leid der misshandelten Frauen dazu zu missbrauchen, politisches Kapital zu schlagen. Dabei gebe es beispielsweise nicht viele Staaten in Europa, in denen häusliche Gewalt automatisch die Polizei auf den Plan ruft. Es sei zudem auch ein umfangreiches, landesweites Hilfsnetzwerk und eine 24-Stunden-Hotline für die Opfer eingeführt worden.

Die Istanbul-Konvention selbst führe dagegen direkt keine neuen Rechte für Opfer ein. Dafür, so Romanowski, basiere sie auf einem gefährlichen Missverständnis, nämlich, dass häusliche Gewalt das Resultat der traditionellen Geschlechterrollen und damit auch des traditionellen Familienmodells ist. Daher, so die Diagnose der Autoren des Dokuments, müsse man - um das Problem zu lösen - vor allem diese Unterschiede abschaffen. Und dafür wieder werde die Gender-Ideologie herangezogen, die de facto die Ideologie homosexueller Gruppen ist.

Polen, lesen wir weiter, sei, laut Umfragen der Agentur für Grundrechte der EU, einer der Staaten, in denen es am seltensten zu häuslicher Gewalt komme. Und als Basis für den Schutz der Menschenwürde würde die christliche Tradition, auf die sich die polnische Verfassung berufe vollkommen ausreichen. Neue juristische Entitäten seien völlig unnötig, so Romanowski im Gespräch mit Sieci.

Newsweek: Fundamentalisten in der Offensive

Auch die linksliberale Wochenzeitung Newsweek widmet sich in ihrem Aufmacher dem Streit um die Instanbul-Konvention. Geht es nach dem Blatt, stehe hinter dem neulichen Vorstoß der Regierung vor allem die erzkatholische Juristen-Organisation Ordo Iuris. Die Einflüsse von Ordo Iuris, sagt im Interview mit dem Blatt ein langjähriger Mitarbeiter des Justizministeriums, seien überall im Ressort zu sehen. “Sie beurteilen Gesetzesentwürfe, schreiben eigene, bereiten Analysen und  Berichte vor und sammeln Unterschriften unter Petitionen. Sogar diejenigen, die ihre Ansichten nicht teilen, setzen zunehmend auf Kooperation mit der Organisation. Einen solchen Koniunkturalismus habe ich noch nicht gesehen”, so der Informant aus dem Ministerium. Das Ressort von Justizminister Ziobro, lesen wir weiter, sei gar eine Kaderschmiede für die Organisation. Viele der wichtigsten Leute in Ordo Iuris hätten im Ministerium von Zbigniew Ziobro gearbeitet.

Die Stiftung Institut für Juristische Kultur Ordo Iuris, erklärt das Blatt, sei offiziell 2013 registriert worden, inoffiziell habe sie ihre Tätigkeit im September 2012 aufgenommen. Ihre ideologische Basis sei die brasilianische Organisation Tradition, Familie, Eigentum (TFP), die allgemeinhin als Sekte gelte, da sich die katholische Kirche von ihr distanziert habe. Während 2014 noch vier Personen in der Stiftung angestellt gewesen seien, lesen wir weiter, seien es heute 31.

Die Finanzierungsquellen des Instituts seien unklar. Nach dem ersten Jahr habe Ordo Iuris 840 Tausend Zloty auf seinem Konto gehabt, während der Durchschnittshaushalt von polnischen NGO´s bei 27 Tausend Zloty jährlich liegt. 2015 habe Ordo Iuris 1,7 Millionen, 2016 3,3 Millionen, 2018 fast 4,5 Millionen und 2019 über 6,3 Millionen Złoty an Spenden erhalten. Zum Vergleich, eine der höchsten Einnahmen unter den polnischen NGO’s verzeichne die 2001 gegründete Kampagne gegen Homophobie, die 2016 130 Tausend Złoty erhalten hat, also 25 Mal weniger, als Ordo Iuris, das erst seit 2013 funktioniere. Laut der Autorin des Buches “Das ist Krieg”, in dem sie Ordo Iuris unter die Lupe nimmt, sei unter den Stiftern unter anderem die Stiftung der BZWBK Bank gewesen, als der aktuelle Premierminister noch Chef der Bank gewesen ist. Außerdem habe die Organisation durch ihre Mutterstiftung - dem Piotr Skarga Institut für Sozial- und Religionsbildung - und über dessen Verbindungen zum Weltfamilienkongress Konnexionen zum Kreml und dessen Finanzierung, lesen wir in Newsweek.

Polityka: Die Masken sind gefallen

Die linksliberale Polityka warnt in der aktuellen Ausgabe indes vor einem Zusammenbruch des Gesundheitssystems im Herbst. Schon jetzt, lesen wir in dem Leitartikel, würde das System im Kampf gegen das Coronavirus nicht richtig funktionieren. Eigentlich, so das Blatt, sollten Patienten mit dem Verdacht einer Covid-Infektion zuerst von der Sanitärbehörde Sanepid abgefangen werden, dann unter ärztliche Betreuung gelangen und nur im Ernstfall im Krankenhaus behandelt werden. Heute sehe es indes so aus, dass Patienten weder die Sanitärbehörde, noch Kliniken telefonisch erreichen können und daher direkt in der Notaufnahme von Krankenhäusern Hilfe suchen. Das sei schon seit März so. “Wenn die Zahl der hospitalisierten 14 Tausend überschreitet, wird das System zusammenbrechen, denn in den Krankenhäusern für Infektionskrankheiten gibt es nur 13 Tausend Plätze”, warnt der Virologe und Berater des Hauptsanitärinspektors, Prof. Waldemar Gut. Und man müsse im Hinterkopf behalten, so Polityka, dass im Herbst zur aktuellen Belastung 100 Tausend Grippe-Infektionen täglich hinzukommen werden.

Was notwendig sei, damit sich die Kliniken und Krankenhäuser nicht stauen, seien daher spezielle Aufnahmezelte für Patienten mit Covid-Verdacht. Und Impfungen gegen Grippe, um Doppelinfektionen zu vermeiden und das Immunsystem zu stärken. In Polen würden sich jedoch derzeit nur 4,4 Prozent der Population gegen Grippe impfen, in Deutschland seien es 60 Prozent, so Polityka. 

 

Autor: Adam de Nisau