Deutsche Redaktion

Keinen Schritt zurück

28.10.2020 09:39
Es geht um die Verschärfung des Abtreibungsgesetztes, Attacken auf Kirchen und Straßenproteste.
Presseschau
PresseschauShutterstock.com

RZECZPOSPOLITA: Keinen Schritt zurück

Verfolge man die letzten Proteste in Polen, bekomme man den Eindruck, dass es hier in erster Linie um die Folgen der fünfjährigen konfrontativen Politik der Regierungspartei gehe. Man sehe zugleich, dass die PiS nicht dazu bereit sei, das Feuer zu löschen – ganz im Gegenteil, schreibt in seinem Kommentar in der Tageszeitung Rzeczpospolita Michał Szułdrzyński. Das, was sich momentan in Polen abspiele sei die Krönung einer jahrelangen Strategie. Die Partei habe vor einem Dialog gescheut, man habe das Gespräch als Zeichen der eigenen Schwäche empfunden. Man habe mit vielen gesellschaftlichen oder beruflichen Gruppen gekämpft: von Richtern über Ärzte, Lehrer, Journalisten bis hin zu den so genannten Eliten und Kommunisten. Die Massenproteste die man heute in Polen beobachtet, seien ein neues Kapitel dieser Geschichte. Das wohl heftigste Kapitel müsse man hinzufügen. Viele schließen sich diesen Protesten an, um einfach ihre Unzufriedenheit mit dieser Regierung zu manifestieren. Er habe gedacht, dass die Ereignisse der letzten Tage Vertreter der Regierungspartei zum Umdenken bewegen würden, meint der Publizist. Verantwortliche Politiker würden in solch einer Situation zu Beruhigung aufrufen. Verantwortliche ja, aber nicht Politiker der Partei Recht und Gerechtigkeit, stellt Michał Szułdrzyński fest.

Man habe es bei der parlamentarischen Debatte sehen können: einige Politiker der PiS-Partei hätten sich in einem äußerst konfrontativen Stil über politische Gegner ausgesprochen. Das Symbol der Protestierenden – einen roten Blitz – habe Vize-Sejmmarschall Ryszard Terlecki mit Symbolen der Waffen-SS verglichen. Am Abend habe dann Vizepremier Jarosław Kaczyński Stellung zu den Ereignissen der letzten Tage bezogen. Denjenigen die sich an Märschen beteiligen habe er Verstöße gegen das aktuell geltenden Recht vorgeworfen. Der Parteichef habe, darüber hinaus, über eine Attacke auf Polen gesprochen.

Nein, schreibt der Publizist weiter, ihm würden Attacken auf Kirchengebäude und Geistliche ebenfalls nicht gefallen. Aber wenn Kaczyński die Parteimitglieder und Sympathisanten dazu auffordere, sie mögen die Gotteshäuser vor aggressiven Protestierenden beschützen, bedeute das, dass er eine brutale Konfrontation herbeiführe. Als für die Sicherheit verantwortlicher Vizepremierminister könnte er weitere Polizeikräfte zu Verfügung stellen. Wieso tue er das nicht? - fragt abschließend Michał Szułdrzyński. Entweder gebe er zu, dass der Staat indolent sei, oder er wolle seine Anhänger mobilisieren und den politischen Konflikt verstärken.

DZIENNIK/GAZETA PRAWNA: Neue Ordnung

Auf die heftigen Proteste gegen die geplante Verschärfung des Abtreibungsgesetzes bezieht sich auch die Tageszeitung Dziennik/Gazeta Prawna in einem Gespräch mit dem Politikwissenschaftler Rafał Matyja. Es sei ein Prozess, der eine Änderung mit sich bringen werde, sagt der Politologe. Er werde mehr als nur die eng verstandene Politik verändern. Die Umwandlungen würden sich auch auf die Schule, Medien und das Funktionieren der Kirche im öffentlichen Leben beziehen. Eine neue Welt habe begonnen, urteilt Matyja.

Der Streit um Abtreibung sei ein Ausgangspunkt. Im Grunde gehe es um mehr: und zwar um die Rolle, die die katholische Kirche in Polen im öffentlichen Leben spiele und zweitens um das Ende der PiS-Regierung. Die gesellschaftliche Dynamik werde mit Sicherheit die politische Situation in Polen verändern. Inwieweit könne man momentan noch nicht beurteilen. Nach dem Korruptionsskandal, den wir als die Rywin-Affäre kennen, konnten die Postkommunisten ihre Macht noch bis zum Ende der Amtszeit erhalten. Doch diese Affäre habe das Ende dieser Formation als eines wichtigen politischen Spielers in Polen gebracht. Ähnlich könnte sich die jetzige Situation entwickeln. Die PiS werde wahrscheinlich die Macht in den kommenden drei Jahren noch ausüben können. Doch die jetzigen Proteste würden diese Macht in Frage stellen. Der Zorn sei jetzt gegen die Regierungspartei gerichtet. Außerdem gäbe es viel mehr Unzufriedene, zum Beispiel die Landwirte. Noch vor den Wahlen schien ein Konflikt der Regierenden mit den Bauern unmöglich zu sein. Das Tierschutzgesetz habe das bislang gute Verhältnis zerstört, urteilt Matyja.

Geht es nach dem Politologen hätten die Regierenden keine Idee, wie man die Situation im Land beruhigen könnte. Er könne sich eine versöhnliche Geste nicht vorstellen. In anderen Ländern würde es wohl zu einer Demission kommen. Eine solche Lösung werde es aber in diesem Fall nicht geben, so der Politologe Rafał Matyja über die letzten Unruhen in Polen.

GAZETA POLSKA CODZIENNIE: Skandal im Sejm

Von einem Skandal schreibt indes die Tageszeitung Gazeta Polska Codziennie. Die Opposition habe gestern im Parlament eine Chuzpe veranstaltet, heißt es. Oppositionelle Abgeordnete hätten eine Manifestation organisiert, die an die seit mehreren Tagen dauernden Straßenproteste erinnern sollte. Mit einer zivilisierten Debatte habe ihr Verhalten nichts gemeinsam gehabt, urteilt das Blatt. Die Zeitung erinnert auch, dass die Proteste in Polen seit Donnerstag dauern, nachdem das Verfassungstribunal das seit 1993 geltende Recht als verfassungswidrig eingestuft habe. Nach dem Urteil des Gerichts müssten Frauen dann auch Kinder austragen, die kleine oder gar keine Überlebenschancen nach der Geburt hätten.

 

Jakub Kukla