Deutsche Redaktion

Clinch mit Brüssel: Ungarn wichtiger?

27.11.2020 12:30
Der Clinch mit Brüssel im Streit um den Rechtsstaatlichkeitsmechanismus bleibt auch heute ein wichtiges Thema in der Presse. Außerdem geht es auch um positive Signale aus der polnischen Klimapolitik.
Premier Węgier Viktor Orban
Premier Węgier Viktor OrbanPAP/Andrzej Lange

Gazeta Wyborcza: Ungarn wichtiger

Geht es nach der linksliberalen Gazeta Wyborcza, mache der EU das mögliche Veto Ungarns viel mehr Sorgen, als das polnische Veto. Polens Regierungschef, so die Zeitung in ihrem heutigen Aufmacher, habe seinen Brief an Merkel deutlich sanfter formuliert als Viktor Orban. Daher würden sich die Bemühungen der EU vor allem auf der Besänftigung des ungarischen Regierungschefs konzentrieren.

Orban, so die Befürchtung der EU-Spitzenpolitiker, könnte tatsächlich ernst machen, da unter seiner Führung in Ungarn 10 Mal mehr Unregelmäßigkeiten bei der Ausgabe von EU-Mitteln festgestellt worden seien, als der EU-Durchschnitt betrage. Die Firma von Istvan Tiborcz, des Schwiegersohns von Viktor Orban, habe beispielsweise für die EU-Fonds Straßenlampen in Ortschaften installiert, die von Orbans Partei regiert wurden. Lörinc Meszaros, der Bürgermeister von  Felcsut, dem Heimatdorf von Orban, habe durch Verträge für EU-dotierte Autobahnen, Brücken und Zuglinien, bei denen ebenfalls viele Unregelmäßigkeiten festgestellt worden seien, ein Vermögen gemacht.

Daher sei der Vorschlag der EU-Kommission, den Mechanismus beim Europäischen Gerichtshof anzuklagen und seine Anwendung für zwei Jahre zu suspendieren vor allem als Geste gegenüber Orban zu verstehen, der in dieser Zeit die meisten oder sogar alle Investitionen aus dem vorherigen Haushalt abrechnen könnte, und der Kommission somit nichts mehr zu blockieren bliebe. Wenn Orban einlenke, dann werde auch Polen nicht auf ein Veto beharren, prognostizieren die Publizisten Michał Kokot und Bartosz Wieliński in der Gazeta Wyborcza. 

 

Rzeczpospolita: Wieso Ziobro den Verhandlungstisch umwirft

Bogusław Chrabota und Michał Szułdrzyński von der konservativen Rzeczpospolita machen indes darauf aufmerksam, dass der größte Gegner des Rechtsstaatlichkeitsmechanismus in Polen Justizminister Zbigniew Ziobro sei. Der Grund: Ziobro, so die Autoren, befürchte, dass der Mechanismus den Abschluss der von ihm geplanten Änderungen im Gerichtswesen blockieren würde. Eventuelle Massenentlassungen in Gerichten, die Entfernung von trotzigen Richtern aus dem Beruf - solche Schritte könnten die Kommission und der EU-Rat als so weitgehende Politisierung des Justizwesens bewerten, dass eine Garantie der Kontrolle von Ausgabe von EU-Mitteln rein illusorisch wäre. Es sei also kein Zufall, so die Publizisten, dass der größte Gegner der vorgeschlagenen Regelungen Ziobro sei und dass er so stark auf ein Veto dränge. Der Rechtsstaatlichkeitsmechanismus könnte sich schließlich als Instrument erweisen, das ihm den Weg zur endgültigen Unterordnung des Justizwesens versperre. Und eben darum gehe es im aktuellen Kampf, dessen Symbol das polnische Veto gegen den EU-Haushalt sei, lesen wir in der Rzeczpospolita. 

 

Rzeczpospolita: Licht im Tunnel

Noch weit vor politischen Themen platziert sich in der heutigen Rzeczpospolita jedoch das Klima, dem sowohl die Titelseite, als auch die ersten zwei Kommentare der heutigen Ausgabe gewidmet sind. Anlass dafür ist die Abschlussgala des von der Zeitung angestoßenen Projekts “Kampf ums Klima”. 

Die polnische Energiebranche befindet sich in einer tiefen Krise. Gleichzeitig sei jedoch auch ein Licht im Tunnel zu sehen, schreibt in seinem Kommentar zum Thema der Publizist Michał Niewiadomski. Heute, erinnert der Autor, müssten polnische Unternehmen den teuersten Strom in der ganzen EU kaufen, da die polnische Energetik auf der Verbrennung von teurer und qualitativ minderwertiger Kohle basiere. Und dazu würden wir alle noch zusätzlich für CO2-Emmissionen zahlen müssen. Als ob das nicht genug wäre, habe sich die Kapazität der Windkraft seit 2016 um keinen Deut vergrößert, obwohl der Strom aus Windfarmen am billigsten sei. Wenn wir dazu die Millionen Tonnen von Kohle hinzunehmen, die niemand brauche, Import von Kohle aus aller Welt und von Windenergie aus Schweden, dann würden wir sehen, dass das System schwer krank sei.

Langsam, so Niewiadomski, ändere sich jedoch etwas. In der neuen Energie-Strategie der Regierung sei eine deutliche Reduktion von Kohle im Energiemix zu sehen, die Regierung habe sich mit den Kumpeln auf eine stufenweise Stilllegung von Gruben geeinigt und Vize-Minister Artur Soboń gebe erstmals öffentlich zu, dass wir es in Polen mit einer Überproduktion von Kohle zu tun haben.

Auch die Energie-Firmen hätten endlich begriffen, dass die Entwicklung von Kohle-Aktiva zu nichts führe. Aus den in diesem Jahr präsentierten Strategien sei zu entnehmen, dass grüne Energie in den kommenden Jahren der wichtigste Zweig der Entwicklung dieser Firmen sein werde, obwohl sie diese Energie noch vor Kurzem ausgelacht hätten. Erfreulich sei auch, dass die Polen im vergangenen Jahr eine auf europäische Skala zuvor nicht gesehene Zahl von Photovoltaikanlagen auf ihren Dächern installiert haben, so Michał Niewiadomski in der Rzeczpospolita.

Autor: Adam de Nisau