Deutsche Redaktion

Wähler kreischen, der Westen wird schwächer

27.01.2021 12:56
Wie wird der Westen aussehen, wenn die Pandemie eines Tages endlich vorbei ist?
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Rzeczpospolita: Wähler kreischen, der Westen wird schwächer

In der Rzeczpospolita fragt sich Jerzy Haszczyński, wie der Westen aussehen werde, wenn die Pandemie eines Tages endlich vorbei ist. Die Prognosen seien leider nicht gut. Die menschlichen und wirtschaftlichen Verluste seien zwar noch nicht absehbar, aber klar sei bereits, dass man sie mit nichts vergleichen könne, was wir aus Friedenszeiten kennen. Der Westen, fährt der Autor fort, sei zudem gespalten, streite sich und suche einen Schuldigen, während die autoritären Länder im Osten, die an den Verlust von Menschenleben gewöhnt seien, davon profitieren.

Allem voran denke der Westen nicht in Kategorien einer Gemeinschaft westlicher Werte oder gar der Europäischen Union. Kein Wunder, stellt Haszczyński fest, denn das Wahlvolk schreie schon nach Impfschutz, und Impfungen seien derzeit eine Mangelware. Selbst im reichen und technologisch fortgeschrittenen Deutschland soll die wichtigste Zeitung die Regierung unter Druck setzen, indem sie darauf hinweist, dass sie zu einem Impfstoffdesaster geführt habe. Was sollte man somit erst über ärmere EU-Ländern sagen, fragt sich der Kolumnist im Blatt.

Politiker, heißt es weiter, sollen sich vor allem um Impfstoffe für ihre eigenen Wähler kümmern. Potentielle Virusträger von außerhalb der eigenen Grenze, seien erst an zweiter Stelle. Zum Wohle der Nation könne man sogar zu der geheimen Medizin greifen, die zur Zeit, als sie vom "bösen Trump" genommen wurde, für Empörung gesorgt habe. Natürlich reiche dieses Wundermittel auch nicht für alle aus. Die Pandemie, heißt es weiter, zeige schmerzhaft, dass es bessere und schlechtere Länder gebe, sowie Gruppen von besseren und schlechteren Bürgern.

Die Pandemie, fährt der Autor fort, habe zu dem schlechte Emotionen und Ängste ausgelöst. Im Westen wüssten ein paar Generationen bis jetzt nicht, was der Kampf ums Überleben sei. Fast alle würden zu Hause sitzen, einige demonstrieren, weil sie nicht darauf warten wollen, dass ihre Jobs verschwinden oder überflüssig werden. Westliche Regierungen hingegen, sollen immer härter auf solche Proteste reagieren. Man höre nichts von den EU-Milliarden für den Wiederaufbau, Anti-Krisen-Schutzschilde sollen auslaufen. Länder wie Ungarn sollen dem Kreml für russische Impfstoffe Tribut zollen und ein Auge bei der Besetzung der Krim zudrücken. Das Europäische Parlament erweise sich als hilflos - es fordere zwar einen Stopp des Baus von Nord-Stream 2, aber denjenigen, die wirklich die Entscheidungen treffen, soll das egal sein. Sie wollen für Jahrzehnte an Russland gebunden sein, überzeugt der Autor abschließend. In diesem Zeitraum, werde man sich bereits über den Schaden bewusst sein, den das Virus, das sich von China aus auf die ganze Welt ausgebreitet hat, im Westen angerichtet habe.

DGP: Polen ist Meister im Tauziehen

In ihrer heutigen Ausgabe schreibt die Tageszeitung Dziennik/Gazeta Prawna, dass die Regierung auf der einen Seite versuche, die Pandemie zu stoppen, indem sie das tue, was sie am besten könne: Verbote und Anordnungen zu erlassen. Auf der anderen Seite sollen Unternehmer versuchen zu überleben, lautet das Gegenargument, indem sie ein bisher unbekanntes Einfallsreichtum freisetzen, um diese Verbote zu umgehen. In dieser Hinsicht, grenzen die Aktionen der polnischen Fitnessbranche an Genialität. Die Idee, mit einer Lizenz des Polnischen Seilziehverbandes ins Fitnessstudio gehen zu können, sei das Musterbeispiel für das ständige Tauziehen zwischen der Regierung und polnischer Unternehmer während der Pandemie.

Der unbestreitbare Vorteil dieses Verfahrens sei, dass die Organisatoren der Aktion bei dieser Gelegenheit Geld verdienen und Polen Sport treiben können. Der Fall habe auch eine komisch-symbolische Dimension, bemerkt das Blatt, denn Tauziehen habe die Chance, in dieser Saison eine polnische Nationaldisziplin zu werden. Der ganze Schabernack höre allerdings auf lustig zu sein, wenn man merke, dass wieder einmal jemand den Institutionen des Staates auf der Nase herumtanze. Und das sei schlecht, überzeugt das Blatt, denn die Demokratie sei nur so stark wie ihre Institutionen, was sich wiederum aus der Einhaltung der Gesetze ableite.

Wenn die Regeln von allen befolgt werden, argumentiert die Tageszeitung, dann vertraue der Bürger einerseits darauf, dass der Staat ihn nicht ausplündere und im Bedarfsfall beschütze. Der Staat wiederum, könne sich in solch einem Idealfall darauf verlassen, heißt es abschließend im Kommentar, dass der Bürger gewissenhaft seine Steuern zahle und auch alle anderen Gesetze respektiere. 


DoRzeczy: Russisches Regime schwächer denn je 

In einem Interview mit der Wochenzeitung DoRzeczy.pl stellt Grzegorz Kuczyński, ein Experte für russische Angelegenheiten, fest, dass der Kreml schon seit langem nicht mehr so schwach gewesen sei. Grund dafür seien allem voran wirtschaftliche Faktoren. Zweifelsohne sei Putins Regime in eine Phase der Stagnation eingetreten, und Nawalny, so der Russlandkenner, könnte den Prozess der Erosion der derzeitigen Regierung beschleunigen. Nawalny habe das mit seiner Rückkehr bewiesen, indem er dem Kreml den Ort und die Zeit dieser Auseinandersetzung aufgezwungen habe. Aber auch, indem er Putins früheren Plan für den Oppositionsführer, aus ihm einen politischen Emigranten zu machen, den man im Laufe der Zeit vergessen würde, zunichte gemacht habe.

Nawalny, so Kuczyński, schade dem Kreml in dem Sinne, dass er ein Symbol sei, das die Russen dazu bringen könnte, wieder auf die Straße zu gehen. Und das obwohl der Autor überzeugt ist, dass viele der Demonstranten nicht so sehr für Nawalny protestieren, sondern gegen Putin. Trotzdem könnte dies zum Zusammenbruch der Macht in Russland beitragen.

Man sehe derzeit, dass Putins Regime weitere Grenzen der Gewalt gegen seine Bürger überschreite. Aus der Sicht des Kremls, überzeugt der Experte, scheine die beste Lösung darin zu bestehen, Nawalny von seinen Anhängern abzuschneiden und ihn von der Außenwelt zu isolieren. Er werde daher wahrscheinlich in einer Strafkolonie enden, glaubt Kuczyński. Es sei denn, am 2. Februar werde ein Urteil zur Verlängerung seiner Haft gefällt.


Piotr Siemiński