Deutsche Redaktion

"Blutige Rohstoffe aus Russland"

14.03.2022 11:43
Die Sanktionen gegen Russland werden von der EU überraschend schnell und mit großer Einigkeit eingeführt. Auch den Rückzug vieler westlicher Unternehmen aus dem russischen Markt würde die russische Gesellschaft spüren. Gleichzeitig habe Russland jedoch seit dem Kriegsausbruch knapp 10 Milliarden Euro durch den Verkauf von Gas, Öl und Kohle an die EU verdient, so Rzeczpospolita. Außerdem geht es auch um die Strategie der USA gegenüber Putin, die Notwendigkeit einer Gasunion in der EU und um die Frage, ob die russische Gesellschaft Putins Kurs stützen wird.
Politycy CDUCSU chcą rezygnacji z dostaw gazu do Niemiec z Rosji przez Nord Stream 1
Politycy CDU/CSU chcą rezygnacji z dostaw gazu do Niemiec z Rosji przez Nord Stream 163ru78/shutterstock.com

Rzeczpospolita: Blutige Rohstoffe aus Russland

Die Sanktionen gegen Russland werden von der EU überraschend schnell und mit großer Einigkeit eingeführt. Auch den Rückzug vieler westlicher Unternehmen aus dem russischen Markt würde die russische Gesellschaft spüren. Ein Schlüsselbereich bleibe jedoch weiterhin von den Maßnahmen ausgeschlossen: die Energieimporte, betont in ihrem heutigen Aufmacher die konservativ-liberale Rzeczpospolita. Seit dem Kriegsausbruch, so die Zeitung, habe Russland knapp 10 Milliarden Euro durch den Verkauf von Gas, Öl und Kohle an die EU verdient. “Die Handlungen der EU sind inkongruent. Wir koppeln die russische Zentralbank von  Währungsreserven ab, schicken aber gleichzeitig auch täglich 600-700 Millionen Euro nach Russland”, sagt im Interview mit dem Blatt der Experte des Centre for European Reform in London, Zach Meyers. “Wenn man Russland tatsächlich von  Finanzierungsquellen trennen will, dann muss ein Energie-Embargo eingeführt werden. Und zwar nicht stufenweise, denn das lasse sich leicht umgehen, indem man neue Absatzmärkte findet. Sondern sofort”, so Meyers. 

Polen und die baltischen Staaten, erinnert das Blatt, würden auf einen sofortigen Importstopp drängen, aber der Widerstand sei zu groß. Deutschland würde 55 Prozent seines Gases, 55 Prozent seiner Kohle und 35 Prozent seines Öls aus Russland importieren. Und obwohl schon 60 Prozent der Deutschen ein solches Embargo befürworten, wäre ein Abbruch der Lieferungen aus dem Osten laut Bundeskanzler Scholz ein schwerer Schlag für die deutsche Wirtschaft. 

Brüssel schlage zwar eine Verringerung der Gasimporte aus Russland um zwei Drittel bis Jahresende vor. Doch dies wäre eben eine stufenweise Maßnahme, die man leicht umgehen könne. Radikalere Entscheidungen würden der EU dagegen großen Schaden zufügen, aber auf asymmetrische Weise. So importiere Spanien etwa überhaupt kein Gas aus Russland, während Deutschland in hohem Maße von den russischen Lieferungen abhängig sei. Ein eventuelles Embargo könnte Deutschland laut Experten, zwischen 1 und 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts kosten. 

Im Falle einer weiteren Eskalation der Kriegshandlungen, komme man jedoch um ein solches Szenario nicht herum. “Ja, die Kosten werden enorm sein. Aber aus moralischer Sicht, kann man dies nicht verhindern. Sonst werden wir Blut auf den Händen haben”, zitiert den Direktor des brüsseler Think Tanks Guntram Wolff die Rzeczpospolita. 

Rzeczpospolita: USA könnten eine Strategie gegen Putin haben

Laut dem Internationalen Währungsfonds werde die russische Wirtschaft infolge der Sanktionen in diesem Jahr um 15 Prozent schrumpfen, um das ganze Wachstum also, das Russland seit Putins Machtübernahme Ende 1999 erreicht habe, schreibt in seiner Einschätzung für die Rzeczpospolita der Publizist Jędrzej Bielecki. Seit den Sanktionen nach der Krimannexion sei die russische Wirtschaft, wie der Autor beobachtet, eh nicht mehr gewachsen.Wegen der Einfrierung von etwa der Hälfte der Währungsreserven der russischen Zentralbank tue es sich Moskau zudem schwer, den Einbruch des Rubels zu stoppen. Dieser würde indes die Inflation ankurbeln, die trotz einer Verdopplung der Zinssätze auf 20 Prozent in diesem Jahr voraussichtlich mindestens 30-40 Prozent betragen werde. 

1986, erinnert Bielecki, habe der US-Kongress, trotz des Widerstands von Reagen, der eine weitere Verarmung der dunkelhäutigen Bevölkerung fürchtete, Sanktionen verabschiedet, die 230 führende globale Konzerne zum Rückzug aus dem Markt der RPA verpflichteten. Die Isolierung des Regimes in Pretoria habe schon 1994 zur Wahl von Nelson Mandela zum Staatspräsidenten geführt. Heute, so der Autor, scheine das Kalkül in Washington ähnlich zu sein. Obwohl Joe Biden sorgfältig Deklarationen darüber vermeide, dass das Ziel der US-Politik die Abschiebung von Putin von der Macht und eine Rückkehr der Demokratie in Russland ist, führe die Logik der US-Politik in diese Richtung. Besonders, da auch die Liste der größten Unternehmen der Welt, die sich unter dem Druck der Öffentlichkeit aus dem russischen Markt zurückziehen, immer länger werde, so Jędrzej Bielecki. 

Auch, wenn Putin den Sanktionen nicht tatenlos zusehe - er behalte Einfluss auf den Westen unter anderem durch den riesigen Anteil Russlands an den Rohstoffmärkten und habe eine Nationalisierung von westlichen Unternehmen angekündigt. Eine Übernahme von Aktiva westlicher Unternehmen werde eine weitere Isolierung Russlands nach sich ziehen und das Land in einen Paria verwandeln, mit dem niemand zusammenarbeiten will, so Jędrzej Bielecki in der Rzeczpospolita. 

Polityka: Quadratur eines Kreises

Die erneute Aufrüstung Europas ähnele zum Teil der Quadratur eines Kreises, beobachtet in einer Stellungnahme für die linksliberale Wochenzeitung Polityka Polens Ex-Außenminister Radosław Sikorski. Es gehe unter anderem darum, wie die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands aussehen könne, damit seine Nachbarn sich nicht wieder fürchten müssten. Außerdem, so Sikorski, sollte Deutschland sich auch für Jahrzehnte strategischer Blindheit gegenüber Putin rehabilitieren, unter anderem durch eine Revision von Entscheidungen im Bereich der Kernkraft und indem es eine Führungsrolle in einer neuen Gas-Union übernehme. Wenn wir Gas von Russland gemeinsam kaufen würden, genauso wie Uran, dann würden wir sichere Lieferungen und wettbewerbsfähige Preise erhalten. Auch die europäische Industrie und Konsumenten würden profitieren: Und die Erpressung der Ukraine würde für Russland weitaus schwieriger werden, so Sikorski in Polityka. 

Polityka: Wird der nächste Putin genauso sein, wie dieser?

Viele Kommentatoren fragen sich derzeit, wie die russische Gesellschaft auf die Aggression auf die Ukraine reagieren wird. Werden die Russen gegen den Krieg demonstrieren und sich gegen die Machthaber stellen? Er habe in Russland insgesamt fünf Jahre lang gewohnt - zu den besten Zeiten der Sowjetunion und in der Zeit ihres absoluten Niedergangs, sagt dazu in einem Interview für die Polityka der US-Historiker Timothy Snyder. Und er habe gelernt, dass die Russen zu vielen persönlichen Opfern bereit sind, nur damit Russland ein Imperium bleibt. Das unabhängige Lewada-Zentrum, so der Historiker, habe einmal danach gefragt, wofür die Russen Präsident Putin schätzen. Die meisten Befragten hätten geantwortet, dass sie ihn dafür respektieren, dass alle vor ihm Angst haben. An zweiter Stelle habe den Russen gefallen, dass er unberechenbar ist. Seiner Meinung nach sei daher das Risiko hoch, dass der nächste Putin genauso sein wird, wie dieser, da dies den Bedürfnissen in der Gesellschaft entspreche. Dort müsse sich nicht nur die Staatsspitze ändern, sondern auch die Gesellschaft, so Timothy Snyder im Gespräch mit Polityka.

Autor: Adam de Nisau