Deutsche Redaktion

"No-Fly-Zone nicht vom Tisch"

15.03.2022 11:54
Das Thema einer No-Fly-Zone über der Ukraine ist nicht vom Tisch, schreibt in der heutigen Ausgabe der Rzeczpospolita der Publizist Jędrzej Bielecki. In der Presse mehren sich in den letzten Tagen Appelle um entschiedenere Schritte der Regierung in Bezug auf die von Tag zu Tag zunehmende Migrationskrise. Auch Polen hat ein Problem mit der Abhängigkeit von russischen Rohstoffen. Und: Wollten die USA mit der Lieferung von Sowjetjets die Schwäche Putins auf Polens Kosten testen? Die Einzelheiten in der Presseschau.
Rosjanie zbombardowali m.in. szpital położniczy w Mariupolu
Rosjanie zbombardowali m.in. szpital położniczy w MariupoluCover Images/East News

Rzeczpospolita: No-Fly-Zone nicht vom Tisch

Das Thema einer No-Fly-Zone über der Ukraine ist nicht vom Tisch, schreibt in der heutigen Ausgabe der Rzeczpospolita der Publizist Jędrzej Bielecki. Über verschiedene Möglichkeiten, eine solche Flugverbotszone einzurichten, würde, wie der Autor betont, derzeit der US-Senat beraten. Während die Demokraten sich dabei eher für eine weitere Stärkung der ukrainischen Flugabwehr und für die Lieferung von Kampfdrohnen an Kiew aussprechen, würden die Republikaner gerne weitergehen und der Ukraine auch Kampfjets zur Verfügung stellen. Laut der demokratischen Senatorin Amy Klobuchar handle es sich aber eher um taktische Differenzen, das Ziel sei ähnlich. Die NATO-Führung schließt eine No-Fly-Zone bis dato zwar noch aus. Doch ein Angriff auf einen Humanitärkonvoi nahe der polnischen Grenze, könnte dies ändern, heiße es aus den Kreisen der polnischen Diplomatie. Eines sei sicher: über solche Schritte sollte das Bündnis einstimmig entscheiden, ebenso wie über eine eventuelle Lieferung von Kampfflugzeugen an die Ukraine, so Jędrzej Bielecki in der Rzeczpospolita.

Rzeczpospolita: Polen steht eine zweite, interne Migrationswelle bevor

In der Presse mehren sich in den letzten Tagen Appelle um entschiedenere Schritte der Regierung in Bezug auf die von Tag zu Tag zunehmende Migrationskrise. In den ersten Tagen, so der Tenor der Pressestimmen, sei die polnische Gesellschaft eingesprungen und habe viele Flüchtlinge bei sich aufgenommen. Doch auf Dauer sei das keine Lösung, betont die Rzeczpospolita in ihrem heutigen Aufmacher. 

Die Regierung, lesen wir in dem Artikel, habe den Kommunen in den letzten Tagen signalisiert, dass sie sich für eine freiwillige Relokation der Flüchtlinge vorbereitet, so dass diese nicht mehr, als ein Prozent der Einwohner der jeweiligen Gemeinde ausmachen. “In Muszyna wären das 120 Personen und wir haben schon jetzt 800”, sagt der Bürgermeister von Muszyna Jan Golba im Gespräch mit dem Blatt. Heute seien viele der Frauen und Kinder aus der Ukraine in Hotels und Pensionen untergebracht. Diese würden jedoch gleich, zu Saisonbeginn, wieder Touristen bei sich aufnehmen wollen. “Wenn die Gemeinde und Volontäre nicht wären, die Spenden bringen und mithelfen, wäre sogar die bisherige Unterstützung der Regierung in Höhe von 120 PLN pro Tag und Person zu wenig. Wie soll man eine Unterkunft für die nun angekündigte, dreimal niedrigere Unterstützung in Höhe von 40 PLN finden”, fragt der Bürgermeister. Auch die am Wochenende angekündigte Relokation der Flüchtlinge aus den polnischen Städten in den Westen, vor allem nach Deutschland, sei - wegen der zu großen Zahl von Personen - verschoben worden. Die Gemeinden Krakau, Olsztyn, Katowice und Wrocław würden daher auf Teufel komm raus leere Arbeiterhotels, Bürogebäude, Schulen, Studentenwohnheime und leerstehende Gebäude in Unterkünfte verwandeln. Nirgendwo gebe es noch freie Sozialwohnungen. 

Die Zeit dränge, so der Publizist des Blatts Adam Roguski. Denn wenn die Hoteliers ihre Pforten gleich wieder für Touristen werden öffnen wollen, würden wir es mit einer zweiten Migrationswelle innerhalb Polens zu tun bekommen. Der von der Regierung vorgeschlagene Zuschuss würde, wie die Unternehmer betonen, nicht einmal die Kosten decken. Und man dürfe nicht vergessen, dass wir es mit einer sehr zersplitterten Branche, ohne Finanzreserven zu tun haben, die zusätzlich von der Pandemie stark mitgenommen sei, so Roguski in der Rzeczpospolita. 

Gazeta Wyborcza: Unser blutiges Öl

Premierminister Mateusz Morawiecki habe Recht, wenn er die EU zu einem Embargo für russische Rohstoffe dränge. Bei allen Tiraden gegen Nord Stream 2 und die deutsche Politik gegenüber Russland, die heute von der Regierung zu hören seien, sollte man jedoch auch nicht die polnische Abhängigkeit von russischen Rohstoffen vergessen, betont in der linksliberalen Gazeta Wyborcza der Publizist Michał Olszewski. Allein 2021, so der Autor, habe Polen für Energieimporte knapp 40 Milliarden PLN ausgegeben. Laut Business Insider sei etwa die Hälfte der Summe in die russische Staatskasse geflossen. Ungefähr ein Zehntel davon habe die russische Armee erhalten. Es, so der Autor, gebe mehr solche unbequeme Statistiken. So sei Polen laut dem Think Tank Forum Energii Polska in den letzten Jahren auf der Liste der EU-Staaten zu finden, die am stärksten von Rohstoffimporten abhängen würden. Und der Großteil dieser Importe stamme aus dem Osten. Dies bedeute, so der Autor, dass nicht nur nach Deutschland das Blut unschuldiger Menschen fließe. Dank diesem Blut sei es auch in den polnischen Einfamilienhäusern warm und die Autos stünden nicht in den Garagen. Und von diesem Blut würde es in Polen weitaus weniger geben, wenn die Regierung PiS beispielsweise die Windkraft-Energetik nicht auf Eis gelegt und die EU-Klimapolitik nicht untergraben hätte, die von den Regierenden nicht selten als feindliche Politik Berlins dargestellt worden sei. Daher wäre die Regierungspartei gut beraten, auf anti-deutsche Rhetorik verzichten und stattdessen nach Ideen für eine schnelle Transformation suchen, dank der russische Rohstoffe künftig nicht mehr das Fundament der europäischen Wirtschaft bilden, so Michał Olszewski in der Gazeta Wyborcza. 

Do Rzeczy: Wollten die USA Putins Schwäche auf Polens Kosten testen?

Der Chefredakteur des nationalkonservativen Wochenblatts “Do Rzeczy”, Piotr Lisicki kehrt im Vorwort zur aktuellen Ausgabe der Zeitung zum medialen Tauziehen zwischen Polen und den USA zur Lieferung von Kampfjets aus Sowjetzeiten an die Ukraine zurück, zu dem es vergangene Woche gekommen war. Zuerst hatten die USA Polen “grünes Licht” für die Lieferung von Kampfjets an die Ukraine gegeben, den polnischen Vorschlag, diese vom Militärstützpunkt Ramstein aus zu liefern, abgelehnt. 

Es sei interessant, so Lisicki, wie schnell die Amerikaner den polnischen Vorschlag, die Jets vom Militärstützpunkt in Ramstein aus an die Ukraine zu liefern, als “unvernünftig” und “riskant” abgelehnt haben. Dabei, so der Publizist, sei genau das Gegenteil der Fall. Polen habe gezeigt, was vorher nicht immer klar gewesen sei, dass es auch an seine Interessen denke. Aus seiner Perspektive, so Lisicki, zeige die ganze Geschichte erstens, dass die Amerikaner sehr gerne die Verantwortung für Risiken auf ihre Verbündeten schieben. Das sollte für Polen eine ernsthafte Warnung sein. Zweitens stelle er sich auch die Frage, wieso es Washington so daran gelegen gewesen sei, dass die polnischen MiG´s aus Polen in die Ukraine geliefert werden. Moskau habe schon zuvor angekündigt, dass es einen solchen Schritt als Teilnahme am Krieg interpretieren wird. Hätten die USA also die Stärke Russlands auf Polens Kosten testen wollen? Wenn die Jets von Ramstein aus gestartet wären, lesen wir, dann könnte die russische Antwort ein Angriff auf Deutschland oder die USA gewesen sein. Wenn sie jedoch von Warschau aus gestartet wären, dann wäre die Situation, aus Sicht einiger der US-Strategen wenigstens eine andere. 

Viele von ihnen seien der Meinung, dass Russland schon verloren habe und bald kapitulieren werde. Die Entsendung von Flugzeugen aus Polen und nicht aus Deutschland hätte helfen können, diese These zu prüfen. Wenn Russland tatsächlich so schwach sei, wie die US-Geheimdienste berichten, so das Kalkül, dann würde Russland nicht reagieren. Und beispielsweise sagen, dass es nicht auf Provokationen antworten werde, da dies nicht eine Initiative der ganzen NATO, sondern eines aufmümpfigen Mitgliedstaats sei. Die USA würden dann gleichzeitig die Ukraine militärisch stärken und sich von Putins Schwäche überzeugen können. Auch die Entscheidung über eine No-Fly-Zone wäre dann einfacher. Und wenn Russland doch antworten und Polen angreifen würde? Dann könnte man behaupten, dass die NATO mit der Operation nichts zu tun gehabt habe und die Polen es selbst so gewollt hätten. Ein Teil der US-Strategen habe ein solches Risiko vielleicht eingehen wollen. Gut, dass wir uns, dank der Entscheidung der polnischen Regierung vorerst nicht überzeugen müssen, ob das tatsächlich die Logik der USA gewesen sei, so Piotr Lisicki in “Do Rzeczy”.  

Autor: Adam de Nisau