Deutsche Redaktion

"Wie ich “Putins Stiefelknecht” wurde"

25.03.2022 10:04
Diesmal mit einem Blick auf die Wochenzeitungen. In der aktuellen Ausgabe der nationalkonservativen Wochenzeitung “Do Rzeczy” macht der Publizist Łukasz Warzecha auf die zunehmende Polarisierung der Debatte über den Krieg in der Ukraine in Polen aufmerksam. Außerdem geht es auch um die unterschiedliche Wahrnehmung der Kiew-Reise von Premierminister Morawiecki und Vizepremier Kaczyński.
Zdjęcie ilustracyjne
Zdjęcie ilustracyjneShutterstock/Darren Whittingham

Do Rzeczy: Wie ich “Putins Stiefelknecht” wurde

In der aktuellen Ausgabe der nationalkonservativen Wochenzeitung “Do Rzeczy” macht der Publizist Łukasz Warzecha auf die zunehmende Polarisierung der Debatte über den Krieg in der Ukraine in Polen aufmerksam. “Das ist Kreml-Propaganda”, “fahre nach Moskau”, “Du bist ein nützlicher Idiot” - das, so der Publizist, seien die häufigsten Kommentare zu jeder Meinung, die von der radikalsten Linie in Bezug auf den russischen Krieg in der Ukraine abweiche. Und um als Putins nützlicher Idiot abgestempelt zu werden, so der Autor, müsse man beileibe nicht Putins Vorgehen rechtfertigen. Oder an die bisher nicht verarbeiteten historischen Ereignisse in den Beziehungen zwischen der Ukraine und Polen erinnern. Es reiche, die Position zu vertreten, dass die NATO nicht in den Krieg eingreifen könne, daran zu erinnern, dass die Interessen Polens und der Ukraine nicht zu hundert Prozent identisch sind oder zu prognostizieren, dass es für die Polen schwer sein könnte, die ökonomischen Lasten der Situation zu schultern. 

Die Leichtigkeit, mit der man heute als “Putins Stiefelknecht” angeprangert werden könne, so Warzecha, sei beunruhigend. Denn schließlich gehe es um den Vorwurf des Staatsverrats. Leider sei eine solche Polarisierung der Debatte nichts Neues. Schon vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, erinnert Warzecha, hätten die damaligen polnischen Behörden Erfolgs-Propaganda auf bisher nicht gesehene Skala verbreitet. Skeptiker seien als gefährliche Defätisten angeprangert und bestenfalls zensiert worden, wie im Falle von Władysław Studnicki. Die ganze Auflage seines Buchs “Angesichts des nahenden Zweiten Weltkriegs”, in dem er davor gewarnt habe, dass Polen seine Unabhängigkeit nicht werde retten können, sei 1939 konfisziert worden, bevor es in die Büchereien gekommen sei. Schlimmstenfalls habe man auch eingesperrt werden können, wie der Autor Cat-Mackiewicz, der vor dem Krieg um eine Modernisierung der Armee appellierte. 

Ein aktuelles Beispiel sei die Zensur vieler Aussagen von Experten, die während der Pandemie Kritik an der offiziellen Linie der Regierung geübt hätten. Auch hier sei man sofort als Impfgegner eingestuft worden, wenn man auch nur um einen Millimeter von der offiziellen Linie abgewichen sei. Der große Unterschied im Falle des Kriegs in der Ukraine sei, dass wir es hier mit einem Thema zu tun hätten, das direkt die Sicherheit des polnischen Staates betreffe. Und auf Twitter scheine es ebensoviele von denjenigen zu geben, die anti-ukrainische Botschaften verbreiten, wie von denjenigen, die eine unbedachte Einmischung in den Krieg begrüßen würden. Zudem würden selbsternannte Zentren der Zensur wie Pilze aus dem Boden schießen, die angeblich Desinformation vorbeugen wollen. Dabei würden diese “Institute” oft Themen als vom Kreml inspiriert darstellen, die sich sowieso auf natürliche Weise zu einem Element der öffentlichen Debatte entwickeln würden, wie etwa die ökonomischen Folgen des Kriegs oder Spannungen rund um die Migration. Die Gegner solcher unbequemen Debatten könnten dann auf die entsprechenden Warnungen der selbsternannten Desinformations-Detektive zurückgreifen und all diejenigen, die diskutieren wollen als Verbreiter russischer Desinformation diskreditieren. Auch er selbst, so Warzecha, sei infolge seiner Warnungen vor einer direkten Teilnahme Polens am Krieg als Putins Stiefelknecht bezeichnet worden. Die Frage sei, wie man eine Verurteilung durch die Radikalisten vermeiden könne. Reiche es, über die Probleme zu schweigen, die mit der Massenmigration nach Polen zusammenhängen. Oder müsse man eher doch für eine direkte Einmischung der NATO in den Krieg plädieren? Oder sei auch das nicht genug und man sollte stattdessen die sofortige Einnahme von Kaliningrad durch Polen und Benzin für 7 Euro pro Liter fordern? Er wisse es nicht, aber das gegenseitige Überbieten läuft, so Łukasz Warzecha in “Do Rzeczy”.

Do Rzeczy: Keine zwei Brüderlein

Die Wochenzeitungen diskutieren weiterhin intensiv über die Reise von Premierminister Mateusz Morawiecki und Vizepremier Jarosław Kaczyński nach Kiew. In der nationalkonservativen Presse wird die Reise generell als mutige Geste mit wichtigem Symbolcharakter gefeiert. Der Chefredakteur von “Do Rzeczy” kontrastiert den Besuch der vier Politiker etwa mit dem zeitgleich zur Reise organisierten Friedensmarsch von Viktor Orban. Nichts, so Lisicki, zeige besser und eindeutiger die drastischen Unterschiede zwischen der Haltung Polens und Ungarns zum Krieg in der Ukraine. Die Reise von Morawiecki und Kaczyński zeige, ebenso wie alle anderen Schritte Polens seit Kriegsausbruch, dass Polen absolut und uneingeschränkt auf der Seite Kiews stehe. Polens Regierung lasse keine Zweifel offen, dass sie im Kampf der Ukrainer gegen die Russen einen Krieg sehe, in dem es um ganz Europa und auch die polnische Sicherheit gehe. In Ungarn sei die Haltung völlig entgegengesetzt gewesen. Der Tenor beim Marsch des Friedens: Es sei nicht Ungarns Krieg. Und man müsse sich so weit entfernt halten, wie möglich. 

Die Antwort auf die Frage, wessen Haltung rationaler sei - die Polens oder Ungarns - sei nicht einfach und hänge von zwei Faktoren ab, so Lisicki. Erstens davon, wie der Krieg für Russland ende. Sollte Russland verlieren und in die Arme Chinas driften, wäre dies für Polen von Vorteil. Andernfalls könne die aktuelle Politik der Regierung aber auch schnell zu einer Belastung werden. Zweiter Faktor sei die reale Stärke der beiden Staaten. Orban sei zu dem Schluss gekommen, dass Ungarn keine ausreichenden Kräfte und Ressourcen hat, um als Subjekt in dem Krieg aufzutreten. Er wolle daher alles tun, damit sich das Leben der Ungarn nicht verschlechtert. Die polnischen Politiker würden sich indes weniger um das aktuelle Wohlbefinden der Polen und mehr um den Wunsch nach einer großen Zukunft kümmern. Wenn ihr Plan aufgehe, dann könnte dies ein historischer Moment für Polen sein, so Paweł Lisicki in “Do Rzeczy”. 

Newsweek: Was schützt uns vor Putins Bomben?

In einem sind sich die nationalkonservativen und linksliberalen Kommentatoren einig. Die  Reise sei ein waghalsiges Unterfangen gewesen. Aber hier enden auch schon die Gemeinsamkeiten. Denn, so der Tenor der oppositionsnahen Medien, mit effektiver Politik hätten solche Gesten nicht viel zu tun. 

Mit der Reise nach Kiew hätten die Regierenden aus seiner Sicht drei Ziele verfolgt: ein militärisches, ein diplomatisches und eines aus dem PR-Bereich, sagt im Gespräch mit Newsweek der Politologe Marek Migalski. Das erste, militärische, sei nicht erreicht worden. Die Ukrainer, so Migalski, würden von Polen Flugzeuge und Panzerabwehrwaffen erwarten. Stattdessen hätten sie Kaczyński und Morawiecki erhalten. Diejenigen, die meinen, dass die Anwesenheit von ein paar zweitrangigen EU-Politikern den Ukrainern Mut machen wird, würden die Ukrainer beleidigen. Und die Appelle um eine NATO-Friedensmission - von ihrem Sinn mal ganz abgesehen - sollte Kaczyński nicht in Kiew verkünden, sondern bei geheimen Absprachen mit den westlichen Staats- und Regierungschefs, mit denen er, wie alle wüssten, zerstritten sei. Kurz gesagt: das militärische Ziel der Visite sei ein absolutes Fiasko und habe die polnische Isolation auf internationaler Arena bestätigt. Kaczyński, der alleine an die NATO appelliere, etwas zu tun. Im diplomatischen Bereich könne man von einem minimalen Profit sprechen, der darin bestehe, dass Präsident Selenskyj, drei Wochen nach Kriegsbeginn, westliche Delegationen bei sich aufnimmt. Das zeige, dass der ukrainische Staat weiterhin existiert und ein Partner für die Welt bleibt. Doch, so Migalski, er mache sich keine Illusionen darüber, dass Morawiecki und Kaczyński vor allem das Image der PiS im In- und Ausland aufpolieren wollten. Und auch dieser Plan werde vermutlich nicht aufgehen. Denn das Engagement für die Ukraine würde die bisherigen Konflikte mit der EU nicht ausradieren. Und die Polen würden vielleicht bald auch verstehen, wer tatsächlich für die Sicherheit Polens arbeite. Die nämlich, die sich für eine Stärkung der Beziehungen zur EU und NATO einsetzen, so Marek Migalski im Gespräch mit Newsweek. 

 

Autor: Adam de Nisau