Deutsche Redaktion

Sind Sanktionen wirkungslos?

07.04.2022 13:50
Die Sanktionen gehen immer noch nicht weit genug, sagt Jerzy Haszczyński von der Rzeczpospolita. Ein russischer Dissident dämpft Erwartungen an Wirtschaftsmaßnahmen gegen Moskau. Und der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan spricht von einer "Armee von Plünderern".
Biały Dom wprowadził sankcje przeciwko 120 firmom z Rosji i Białorusi
Biały Dom wprowadził sankcje przeciwko 120 firmom z Rosji i BiałorusiSandor Szmutko/Shutterstock

Rzeczpospolita: Immer noch zu wenig

Kein Zweifel. Noch nie in der jüngsten Geschichte hätten so viele Länder, Unternehmen, Institutionen und Bürger so viel geopfert, um einem angegriffenen Land zu helfen. Und trotzdem würden die Sanktionen immer noch nicht weit genug gehen, schreibt in der konservativ-liberalen Rzeczpospolita der Publizist Jerzy Haszczyński. Es, so der Autor, habe zu wenige Sanktionen gegeben, als dieser Krieg begonnen habe. Vielleicht weil man glaubte, dass er bald enden würde. Es habe zu wenige Sanktionen gegeben, als Millionen von verängstigten Ukrainern in den Westen strömten. Es habe zu wenige gegeben, nachdem man von den Hunderten von zivilen Opfern im belagerten Mariupol erfahren habe. Und auch jetzt, so Haszczyński, nach der Entdeckung der Massengräber in Butscha, werde es nicht genug Sanktionen geben.

Der Westen, so Haszczyński, habe sich das Prinzip der Dosierung von Sanktionen zu eigen gemacht. Die nicht-westliche Welt, die sechs Siebtel der Gesamtheit ausmache, beteilige sich überhaupt nicht an den Einschränkungen für Russland. Nach und nach würden weitere Russen mit Blut an den Händen auf die schwarze Liste gesetzt, weitere Banken gesperrt. Einfuhrverbote für weitere Waren und Rohstoffe verhängt. Doch all diese Schritte würden keine Wirkung zeigen.
Eigentlich, so Haszczyński, sei seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine so viel Zeit vergangen, dass die Auswirkungen der Sanktionen sichtbar werden sollten. Aber der Druck auf die russische Wirtschaft, auf eine russische Gesellschaft, die sich an der Ermordung ihrer Nachbarn berausche funktioniere offenbar nicht. Dem Rubel gehe es wieder so gut, wie vor Kriegsbeginn. Darüber hinaus habe der Kreml immer noch genug Schlupflöcher, um die Sanktionen zu umgehen. Für jedes Schlupfloch, lesen wir, sei jemand verantwortlich, der dieses zum Wohle seiner Wähler durchgesetzt habe. Und Russland werde auch die nächsten Kriegsmonate, dank all diesen Ausnahmen, finanzieren können.

Für den Westen sei offenbar noch nichts Neues passiert, das spektakulär genug wäre, um noch härtere Sanktionen einzuführen. Vielleicht werde man, nach einem weiteren Beispiel der russischen Brutalität, eine weitere russische Bank vom SWIFT-System ausschließen oder auf den Kauf eines weiteren Rohstoffs verzichten.

Doch auch nach Butscha werde man warten. Er, so Haszczyński, möchte gar nicht daran denken, was uns als Nächstes erwarte. Ein Angriff mit chemischen Waffen? Nuklearwaffen? Vielleicht werde man auch der Bilder der russischen Barbarei leid sein. Denn an Verbrechen könne man sich schnell gewöhnen. Vor allem, wenn sie weit weg stattfinden. Irgendwo in der ehemaligen Sowjetunion, so Jerzy Haszczyński in seiner Stellungnahme für die Rzeczpospolita.

niezależna.pl: Russischer Dissident dämpft Erwartungen an Sanktionen

Putin habe die Invasion in der Ukraine nicht durchdacht. Und diese Entscheidung werde ihn letztendlich viel kosten, sagt Gleb Pawlowski, der Putin viele Jahre lang beraten hat in einem Interview für Radio Freies Europa, dessen Zusammenfassung im regierungsnahen Nachrichtenportal niezależna.pl zu finden ist.

Laut dem ehemaligen Kreml-Berater und heutigen Dissidenten würden die Russen die Auswirkungen der westlichen Sanktionen allerdings erst im Sommer zu spüren bekommen. Und auch dann würden seiner Meinung nach weder die wirtschaftlichen Folgen, noch die zunehmenden russischen Verluste in der Ukraine die Öffentlichkeit dazu bringen, Putin die Unterstützung zu entziehen. Es, so Pawłowski, drohe sogar das Gegenteil. Wenn die Russen Putins Propaganda Glauben schenken, laut der diese Sanktionen vor allem darauf abzielen, Russland zu zerstören, würden sie sich im Widerstand vereinen. "Werden sie Putin oder sich selbst dafür verantwortlich machen? Hat irgendein Russe, der 1941 deutsche Panzer sah, Stalin und Molotow die Schuld gegeben?", zitiert das Portal Pawłowski.

Auch der Glaube des Westens, die Oligarchen würden sich gegen Putin stellen, sei seiner Meinung nach naiv, so der Dissident. Es lasse sich natürlich nicht auszuschließen, dass sich sein innerer Kreis gegen ihn aussprechen könnte. Denm Putins Gefolgsleute seien keine Idealisten. Sie hätten ihre eigene Vorstellung vom russischen Thron und würden alle auf den Moment einer Veränderung warten. Und genau dieser Zustand, so Pawlowski, mache Putin nervös. Er sei sich bewusst, lesen wir, dass er von Mitstreitern umgeben sei, die auf seinen Posten lauern. Gleichzeitig würde laut Pawłowski jedoch auch ein Machtwechsel letztlich nicht viel ändern. Denn Putin sei ein Kind dieses Systems. Er werde so oder so gehen müssen, aber das System werde bleiben, so Gleb Pawłowski im Interview für Radio Freies Europa.

Dziennik Gazeta Prawna: Armee der Plünderer

Russland und das Imperium, das Putin aufzubauen versuche, sei definitiv kein moderner Staat, sagt in einem Interview für Die DGP der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan. Es, so Zhadan, sei, als ob Putin nicht verstehen würde, wie sehr sich die Welt verändert habe. Russland nähre sich mit Konzepten aus dem 20. Jahrhundert. Daraus würden sich auch die Gräueltaten ergeben, die russische Truppen in der Ukraine begehen. Die russischen Besatzer, lesen wir, seien wirklich davon überzeugt, dass die Ukrainer zu Russland und seiner Lebensweise gehören wollen. Daran sei ersichtlich, wie wenig der Kreml davon wüsste, wie sehr sich die Ukraine seit den 1990er Jahren verändert habe. Nach der Annexion der Krim, beobachtet der Schriftsteller, habe sich die Ukraine weiterentwickelt, einen Staat aufgebaut. Russland hingegen sei zusammengeklappt. Putin sitze in seinem Bunker, so Zhadan, und sehe das alles nicht. In dieser Haltung gegenüber der Ukraine, lesen wir, stecke eine Menge Xenophobie. Eine Menge von groß-russischem Chauvinismus.

Obwohl der Eiserne Vorhang gefallen sei, würden die Russen weiterhin ein Leben in Isolation bevorzugen und sich der Propagandamaschine unterwerfen. Gehe es nach der russischen Bevölkerung repräsentiere Russland eine große Kultur, große humanitäre Traditionen, große politische Ideen. Stattdessen sei die die Ukraine von einer Armee von Dieben überfallen worden, die Fernseher stehle. Die Rote Armee, lesen wir, habe dasselbe 1945 getan und tue es heute wieder. Russen würden zwar vielleicht Dostojewski lesen. Das ändere jedoch nichts daran, dass sie, wenn sie einen Drucker sehen, diesen stehlen müssen. Es sei halt nach wie vor eine Armee von Plünderern, so Serhij Zhadan in Dziennik Gazeta Prawna.


Autor: Piotr Siemiński