Deutsche Redaktion

"In der ersten Liga der NATO"

19.04.2022 13:18
Der Krieg hat sich erneut den NATO-Grenzen genähert. Die Absicherung der Ostflanke des Paktes werde daher zu einem immer dringlicheren Problem. Dabei müsse man auch bisherige Abmachungen mit Russland über Bord werden, schreibt die Rzeczpospolita. Außerdem: Der Kreml schweigt weiterhin zu Opfern des Untergangs der "Moskwa". Und: Hat der Westen bei den Sanktionen eine Schlüsselgruppe von russischen Bürgern vergessen?
Stałe bazy NATO w Polsce?
Stałe bazy NATO w Polsce? Twitter/@Zelazna_Dywizja

Rzeczpospolita: In der ersten Liga der NATO

Der Krieg hat sich erneut den NATO-Grenzen genähert. Am Montag haben die Russen Gebäude in Lviv bombardiert, sieben Menschen sind dabei ums Leben gekommen. Es ist der dritte Angriff in der Nähe der polnischen Grenze gewesen, die Absicherung der Ostflanke des Paktes werde daher zu einem immer dringlicheren Problem, schreibt in seinem Autorenkommentar der Publizist der konservativ-liberalen Rzeczpospolita, Jędrzej Bielecki. Seit dem NATO-Beitritt 1999, so der Autor, versuche Polen, den Status eines Mitglieds zweiter Klasse im Pakt abzuschütteln. Bisher mit gemäßigtem Erfolg. Nach der Krim-Annexion habe sich das US-Kontingent an der Weichsel zwar auf 4,5 Tausend Soldaten vergrößert und nach dem 24. Februar noch einmal mehr als verdoppelt. Auf der Zukunft der US-Militärpräsenz in Polen würden allerdings immer noch Verpflichtungen lasten, der die NATO 1997 zugestimmt habe, wie etwa der Verzicht auf ständige NATO-Kontingente in den neuen Mitgliedstaaten. Die NATO-Truppen, so der Autor, würden sich also bis dato immer nur für befristete Zeit in Polen aufhalten. Gerade sei bespielsweise die Entscheidung gefallen, die Anwesenheit der 82. Division der amerikanischen Fallschirmjäger in Polen “für eine gewisse Zeit” zu verlängern. 

Diese Einschränkungen, so Bielecki, würden jedoch nun bald wegfallen. Vor dem Gipfel in Madrid am 29-30. Juni hätten die Staatschefs der Mitgliedstaaten Konsultationen zu Entscheidungen begonnen, die bisherige Verpflichtungen gegenüber dem Kreml annullieren sollen. “Die NATO arbeitet an Plänen einer militärischen Präsenz in vollem Umfang an seinen Grenzen, um sich künftigen Aggressionen Moskaus entgegenzusetzen”, habe im Interview mit “Daily Telegraph” Jens Stoltenberg gesagt. Der Pakt befinde sich inmitten einer fundamentalen Transformation, die die langfristigen Konsequenzen der Entscheidungen von Wladimir Putin in Betracht ziehe, so der NATO-Generalsekretär, laut dem der Gipfel mit einem Reset der NATO-Strategie gegenüber Russland einhergehen wird. General Mark Milley habe vor dem Kongress neulich unter anderem von ständigen US-Stützpunkten in Polen, Rumänien und den baltischen Staaten gesprochen. “Eine sofortige Aufstockung der Präsenz von alliierten Truppen auf der Ostflanke ist notwendig, damit Putin keine Zweifel hat, dass ihn bei einem Angriff auf die NATO brutaler Widerstand erwartet”, zitiert die Rzeczpospolita dazu den estnischen Vize-Außenminister Jonatan Vseviov. Tallinn zähle daher auf eine Verfünffachung der Soldatenzahl von einem Bataillon auf eine Brigade. Die NATO entscheide sich auch daher für eine fundamentale Änderung ihrer  Strategie, da sie einen langen Krieg in der Ukraine erwarte, der Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte dauern werde, so Jędrzej Bielecki in der Rzeczpospolita. 

Gazeta Wyborcza: Der Kreml schweigt zu Opfern von der “Moskau”

Den Untergang des Flaggschiffs “Moskwa” habe der Kreml noch am Donnerstag bestätigt. Doch in Bezug auf die Zahl der dabei ums Leben gekommenen Soldaten hülle sich Russland weiterhin in Schweigen, beobachtet in ihrem heutigen Aufmacher die linksliberale Gazeta Wyborcza. Putin habe keine Nationaltrauer ausgerufen und plane, offiziellen Angaben zufolge, vorerst auch keinen Besuch in Sewastopol. Eines der wenigen Signale von Seiten der Behörden, dass es nicht gelungen sei, die ganze Crew zu evakuieren, sei ein während der Abschieds-Zeremonie mit dem Schiff niedergelegter Trauerkranz. In der Aufschrift auf der Schärpe habe es “Dem Schiff und den Matrosen” geheißen. Gleichzeitig würden sich jedoch in unabhängigen russischen Medien Berichte von Eltern von Matrosen der “Moskwa” mehren, die vergeblich nach ihren Söhnen suchen. Fast alle Familienmitglieder würden über das Fehlen jeglicher Informationen von Seiten des Kremls und der Befehlshaber klagen. So beschreibe etwa die unabhängige Redaktion von The Insider, wie die Eltern des 20-jährigen Wehrpflichtigen Jegor Szkrebiec vergeblich etwas über das Schicksal ihres Sohnes erfahren wollten, der in der Küche der “Moskwa” gearbeitet habe. Über ihren Sohn habe niemand im Militär sprechen wollen, sie hätten ihn auch nicht in den Krankenhäusern gefunden, in denen verwundete Soldaten aus dem Flaggschiff behandelt werden. “In dem Krankenhaus waren nur 200 Personen, auf dem Kreuzer haben über 500 gedient. Wo sind die restlichen”, fragt die Mutter von Szkrebiec im Interview mit The Insider. Anderen Berichten zufolge, seien infolge der Attacke mindestens 40 Matrosen ums Leben gekommen, viele seien verwundet worden. Laut einer der Mütter, würden die Behörden aus Prestigegründen einfach nicht zugeben wollen, dass ein solcher Raketenkreuzer von den Ukrainern versenkt worden sei, lesen wir in der Gazeta Wyborcza. 

Gazeta Wyborcza: Ideologen von Putins Russland entgehen Sanktionen

Die Gazeta Wyborcza veröffentlicht in der heutigen Ausgabe eine kritische Analyse der bisherigen Sanktionen gegen Russland des russischen Wirtschaftsexperten, Politologen und Putin-Kritikers Władysław Inoziemcew. Es beunruhige ihn, so Inoziemcew in dem Artikel, dass eine Gruppe bisher allen westlichen Sanktionen gegen Russland entgangen ist. Und zwar gehe es um diejenigen, die die aktuelle russische Ideologie geschaffen und seit Jahren verbreitet hätten. Wenn Putin heute die fundamentalen Regeln der internationalen Ordnung ablehne, dann wolle er, so der Autor, daran erinnern, wer als erster die Vision einer “Welt ohne Regeln” vorgeschlagen habe, zu der es kommen werde, wenn russische Interessen gefährdet würden. Es seien Siergiej Karaganow, Fiodor Lukjanow, Timofiej Boraczow und ihre Kollegen vom Rat für Außen- und Verteidigungspolitik sowie vom Waldai-Klub gewesen. So habe dr Karaganow etwa seit Jahren das Recht Russlands auf eine Revision der post-sowjetischen Grenzen verteidigt und überzeugt, dass die NATO ein “politisches Krebsgeschwür” sei, das den “gesunden russischen Staat töten soll” und die Ukraine keine Souveränität verdiene. 

Das erwähnte Trio, lesen wir weiter, habe seit Jahren die Wende nach Osten glorifiziert und behauptet, dass eine Allianz zwischen Moskau und Peking der amerikanischen Domination ein Ende bereiten wird. Damit nicht genug. Der Waldai-Klub habe westliche Forscher und Politiker seit 15 Jahren mit alljährlichen Einladungen zu “wissenschaftlichen Debatten” korrumpiert, die stets von Treffen mit Sergiej Lawrow, Dmitrij Medwedew und Wladimir Putin gekrönt worden seien. Keiner dieser Visionäre und Denker, betont der Autor, habe jedoch jemals ein Einreise-Verbot in die EU erhalten. Sie würden alle immer noch häufige Gäste in den westlichen Medien sein, wie etwa Karaganow, der in einem neulichen Interview für den britischen “New Statesman” argumentierte, dass der Widerstand der Ukraine Russland keine andere Wahl lässt, als einen Nuklearschlag gegen den angegriffenen Staat. Er erinnere daran, so Inoziemcew, dass diese Experten mit Stolz davon sprechen, dass sie die wahren Autoren von “Putins Doktrin” sind, im Westen studiert haben, seit Jahren am akademischen Leben des Westens teilnehmen und - soweit er wisse - nun versuchen würden, sich Posten für den Fall einer Niederlage Putins zu sichern. 

Alles in allem sei die seit Jahren für Aufsehen sorgende russische Propaganda aus seiner Sicht nicht mehr als ein Echo einer neuen revanchistischen, antiwestlichen und expansiven russischen Ideologie. Und eben diese Ideologie sollte das erste Ziel von Sanktionen sein. Westliche akademische Institutionen, wie das New Yorker Council on Foreign Affairs, das Russland die Zeitschrift “Russia in Global Affairs” sponsern würde, sollten ihre Zusammenarbeit mit Russland abbrechen und verhindern das solche russischen “Forscher” an westlichen Hochschulen und in Think Tanks angestellt und mit Sympathie von westlichen Medien zitiert werden. Ihr Beitrag zur Schaffung eines “perfekten Russlands” sei ausreichend dafür, dass sie das Land, das ihre Träume nun endlich erfülle, nicht verlassen müssen, so Władysław Inoziemcew in der Gazeta Wyborcza. 

Autor: Adam de Nisau