Deutsche Redaktion

"Papst Franziskus Worte über Ukraine heilen ungesunden Papst-Kult"

05.05.2022 20:35
Die links-liberale Gazeta Wyborcza schreibt über die Aufruhr, die nach Papst Franziskus Aussage über eine "bellende NATO vor Russlands Tür" in einer italienischen Tageszeitung hervorgerufen wurde. Auch die Rzeczpospolita schreibt, dass Franziskus, Oberhaupt der westlichen Kirche, gnädig gegenüber dem Diktator des anti-westlichen Russlands und unfair gegenüber dem Westen sei.
Papst Franziskus
Papst Franziskusshutterstock.com/AM113

Die links-liberale Gazeta Wyborcza schreibt über die Aufruhr, die nach Papst Franziskus Aussage über eine "bellende NATO vor Russlands Tür" in einer italienischen Tageszeitung hervorgerufen wurde. Wie wir lesen, gebe es keinen Hinweis darauf, dass der Papst über ausreichende Kenntnisse verfüge, was in Russland passiere. Es sehe so aus, als würde er in einer Welt leben, die von einer kleinen Gruppe von Beratern erfunden wurde, die selbst an ihren Beziehungen zu Russland ersticken, sagt Tomasz Terlikowski, Kolumnist und katholischer Philosoph in einem Gespräch mit der Zeitung. Solche Äußerungen des Papstes würden beweisen, dass sich das Kirchenoberhaupt so verhalte, als wäre ihm der situative Kontext nicht bewusst, was den Autor mit großer Sorge fülle.

Die Worte des Papstes seien darüber hinaus sehr gefährlich. Für die Kirche, die Ukraine, Polen und den Papst selbst. Solche Aussagen, überzeugt Terlikowski, würden die Ignoranz des Heiligen Vaters, einem gebürtigen Argentinier, in Sachen europäischer Geopolitik beweisen. Aus den Kommentaren des Papstes gehe hervor, lesen wir, dass er „etwas hier und etwas dort" gehört habe, Es sei somit schwer, sich nicht zu fragen, glaubt der katholische Philosoph, wo die diplomatischen Dienste des Vatikans verbleiben. Wenn diese Dienste wie bisher funktionieren würden, so Terlikowski, dann müsste der Papst einer der bestinformierten Menschen der Welt sein.

Die Aussagen des Papstes, heißt es weiter, würden aber noch mehr enthüllen. Terlikowski nach scheine es, als ob die gesamte vatikanische Diplomatie, wahrscheinlich als Ergebnis der Entscheidung von Franziskus, nur darauf ausgerichtet sei, ein Ziel zu erreichen - Putin zu treffen. Johannes Paul II., heißt es weiter, habe sich einst regelmäßig mit US-Präsident Ronald Reagan getroffen. Genauso die Außenminister des Vatikans und der Vereinigten Staaten. Inzwischen seien aber zwei Monate des Krieges vergangen, und man höre von keinem Treffen des Vatikans mit den Vertretern von Präsident Biden.

Der Papst führe weder Gespräche mit den USA noch Großbritannien. Stattdessen bevorzuge er weitere Gespräche mit dem russischen Patriarch Kyrill oder Außenminister Sergej Lawrow. Auf die Frage, wie ein polnischer Katholik auf die Worte des Papstes reagieren sollte, sagt Terlikowski, der Papst sei keine Autorität auf dem Gebiet der Geopolitik oder der internationalen Politik. Ein Katholik in Polen müsse sich daher nicht von seiner Meinung leiten lassen. Man habe jetzt die Gelegenheit, von den Knien aufzustehen, um zu verstehen, dass der Papst nicht Gott ist. Dass er nur Autorität über Glauben und Moral habe. Katholiken müssten in Sachen Politik oder Diplomatie ihre Autonomie bewahren. So habe es einst auch Papst Johannes Paul II. gesehen, überzeugt der katholische Publizist am Schluss. Es seien säkulare Politiker, die für die Sicherheit des Staates und dafür verantwortlich seien, anderen Ländern zu helfen, nicht der Papst, so Terlikowski in der Gazeta Wyborcza.

Rzeczpospolita: Papst und Putin, Verteidiger der Christen

Auch die Rzeczpospolita schreibt, dass Franziskus, Oberhaupt der westlichen Kirche, gnädig gegenüber dem Diktator des anti-westlichen Russlands und unfair gegenüber dem Westen sei. Der Grund? Geht es nach Jerzy Haszczyński, könne man ihn im Nahen Osten finden. Franziskus' Ansichten über den Krieg in der Ukraine, besonders gekleidet in Sorge um die Ermordeten aber mit einer fehlenden Verurteilung des Hauptverbrechers, schockieren und empören viele, heißt es. Und das zu Recht, so der Autor. Es sei ein Krieg, in dem die Einteilung in Täter und Opfer eindeutig sei. Auch wenn der Papst dies nicht sehen wolle und mehr noch versuche, den Täter zu rechtfertigen.

Die Berechtigung für seine Ansichten, die einige Katholiken zum Vatikan wahrscheinlich schon endgültig abneigen werden, so der Autor, sei in grundlegenden Angelegenheiten für das gesamte Christentum zu finden. Und zwar im Nahen Osten. In Putin habe der Papst einen Partner für die Verteidigung der Christen im Nahen Osten gefunden. Niemand im Westen sei an dieser Rolle interessiert gewesen. Und das obwohl der Westen einen großen Einfluss darauf  hatte, lesen wir, dass der Nahe Osten zu einem Ort geworden ist, an dem es Christen immer schwerer falle, zu überleben. Putin hingegen habe Truppen nach Syrien geschickt und den Diktator von Damaskus vor dem Sturz gerettet. Zugleich rettete er auch syrische Christen. Obwohl das mit Sicherheit nicht sein Hauptziel war, heißt es in der Tagezeitung.

Franziskus sei deshalb Putin dankbar und verurteile ihn nicht. Nur wenige Christen hätten in Syrien überlebt. Genauso im benachbarten Irak. Dort, erinnert Haszczyński, habe Franziskus einen Pakt mit dem irakischen Schiitenführer Ayatollah Sistani während seines ersten historischen Besuchs in Bagdad geschlossen.

Verglichen mit 2.000 Jahren Christentum im Nahen Osten und der Gefahr, dass es dort für immer verschwinde, schreibt der Autor am Schluss, habe der aktuelle Krieg in Osteuropa, zwischen christlichen Ländern, eine andere Dimension. Haszczyński versuche den Papst nicht zu rechtfertigen sondern ihn einfach zu verstehen. Aber Tausende von Jahren, die Ewigkeit, eine andere Dimension - das sei nicht leicht zu begreifen, gibt der Autor am Ende seines Kommentars in der Tageszeitung zu.



Piotr Siemiński