Deutsche Redaktion

"Die Helden kehren nicht nach Hause zurück"

19.05.2022 11:14
Noch am Dienstag hat Putin versichert, dass die evakuierten Kämpfer aus Mariupol in Übereinstimmung mit internationalen Standards behandelt werden. Doch schon am Mittwoch haben sich die schlimmsten Befürchtungen bestätigt - Moskau hat es mit einem Austausch offenbar nicht eilig, schreibt die Gazeta Wyborcza. Außerdem: Sogar die Schweiz und Österreich hinterfragen Neutralitätsstatus. Und Abkopplung der EU von russischem Gas wird wohl langsamer verlaufen, als geplant.
Podolak: trwa trudny proces ewakuacji obrońców Azowstalu
Podolak: trwa trudny proces ewakuacji obrońców AzowstaluForum/ALEXANDER ERMOCHENKO

Gazeta Wyborcza: Die Helden werden nicht nach Hause zurückkehren

Nach drei Monaten erbitterten Widerstands sind die Verteidiger des Azovstal-Komplexes in Mariupol am Montag dem Befehl der Militärführung des Landes gefolgt und haben die Waffen niedergelegt, erinnert in ihrem heutigen Aufmacher die linksliberale Gazeta Wyborcza. “Das sind unsere Helden, wir brauchen sie lebend”, betonte Ukraines Staatspräsident Wolodymyr Selenskij. Laut der ukrainischen Regierung sei mit Russland, mit Hilfe der UN und des Internationalen Roten Kreuzes, ein Austausch der Kämpfer für russische Kriegsgeiseln vereinbart worden. Heute, so das Blatt, deute jedoch vieles darauf hin, dass die schon fast Tausend evakuierten Kämpfer ihr Zuhause wohl nicht schnell wiedersehen werden. Denn obwohl Putin noch am Dienstag versichert habe, dass die Soldaten in Übereinstimmung mit internationalen Standards behandelt werden, hätten sich schon am Mittwoch die schlimmsten Befürchtungen bestätigt - Moskau habe es mit einem Austausch offenbar nicht eilig. Stattdessen würden die russischen Propagandisten und Beamten die Verteidiger des Stahlwerks als Nazis bezeichnen, die man verurteilen und bestrafen müsse. So soll die Duma gestern einen Beschluss verabschiedet haben, der die Übergabe von “Nazi-Verbrechern” an die Ukraine verbietet, darunter auch die Soldaten des Azov-Regiments, die Azovstal verteidigt haben. Laut Reuters seien die Evakuierten in eine ehemalige Strafkolonie in der Donezk-Region transportiert worden, wo sie in Bezug auf angebliche Verbrechen des “ukrainischen Regimes an Zivillisten aus dem Donbass” verhört werden sollen. Das Büro des russischen Generalstaatsanwalts fordere zudem, das Azov-Regiment zu einer Terrororganisation zu erklären. Dies hätte zur Folge, dass seine Mitglieder nicht mehr als Geiseln behandelt werden müssten, lesen wir in der Gazeta Wyborcza. 

Rzeczpospolita: Sogar die Schweiz und Österreich hinterfragen Neutralität

Infolge des russischen Angriffskriegs, erwägen inzwischen sogar die Schweiz und Österreich einen NATO-Beitritt. Und Brüssel engagiert sich in Waffenkäufe, beobachtet im heutigen Aufmacher der Rzeczpospolita der Publizist Jędrzej Bielecki. 

Der Schweiz, so Bielecki, habe die Neutralität so gut gedient wie kaum einem anderen Staat. Umringt von kämpfenden Seiten im ersten und zweiten Weltkrieg, lebe der Alpenstaat schon seit 200 Jahren in Frieden. Aber angesichts der russischen Verbrechen in der Ukraine fühle sich nun auch Bern nicht mehr sicher. Das schweizer Verteidigungsressort bereite daher einen Bericht vor, in dem auch eine NATO-Mitgliedschaft zu den analysierten Möglichkeiten gehöre. Verteidigungsministerin Vila Amherd sei schon jetzt nach Washington geflogen, um eine engere militärische Zusammenarbeit mit den USA zu knüpfen. Zudem seien auch regelmäßige Treffen der schweizer Behörden und der NATO-Führung geplant. 

Auch in Österreich, das Neutralität in seiner Verfassung verankert habe, würden Forderungen nach einer Debatte über den Neutralitäts-Status lauter. Und schließlich erwäge auch die EU-Kommission gemeinsame Waffenkäufe und die Integration der Rüstungsindustrie der EU-Mitgliedsstaaten. 

Ein erster Lackmustest für die Einheit des Westens, so der Autor, werde jedoch das Tempo des NATO-Beitrittsverfahrens für Finnland und Schweden sein. Die Antwort der NATO auf die Anträge werde in zwei Wochen erwartet, eine eventuelle Ratifizierung durch die Parlamente der 30 Bündnisstaaten könnte in ein paar Monaten beendet sein. Ob all dies gelinge, hänge davon ab, ob die NATO-Führung es schaffe, den Widerstand der Türkei zu brechen. Erdogan fordere im Gegenzug für seine Zustimmung die Auslieferung von Mitgliedern der kurdischen PKK, die in Ankara als Terrororganisation gilt, erinnert Jędrzej Bielecki in der Rzeczpospolita. 

Dziennik/Gazeta Prawna: Derussifizierung der EU mit Problemen

Gestern hat die EU-Kommission die lang erwarteten Details der Strategie einer Abkopplung von russischen Gaslieferungen bekanntgegeben. Die Ankündigungen der Kommissare haben die brennenden Fragen jedoch nur in geringem Maße beantwortet, schreibt in der aktuellen Ausgabe das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna. Noch im März habe Brüssel, wie das Blatt erinnert, in Aussicht gestellt, dass die EU die Abhängigkeit von russischem Gas noch in diesem Jahr um zwei Drittel verringern kann. Aus Schätzungen gehe jedoch hervor, dass die Staatengemeinschaft schon Mitte dieses Jahres auf Lieferungen verzichten müsste, um dieses Ziel zu erreichen. “Der Widerstand eines Teils der Mitgliedstaaten wird zur Folge haben, dass eine schnelle Verringerung der Abhängigkeit von Gaslieferungen aus Russland schwer sein wird”, sagt im Gespräch mit dem Blatt dr Szymon Kardaś vom Zentrum für Oststudien. 

Autor: Adam de Nisau