Deutsche Redaktion

"Polen muss sich von Orbán trennen"

26.05.2022 13:15
Ungarn sei bei der Unterstützung von Putins Interessen in Europa so weit gegangen, dass es nicht ausreiche, nur die Beziehungen Warschaus zu Budapest abzukühlen, schreibt die Rzeczpospolita am Donnerstag. Und: Paris und Berlin können Washington nicht ersetzen.
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Rzeczpospolita: Polen muss sich von Orbán trennen 

Ungarn sei bei der Unterstützung von Putins Interessen in Europa so weit gegangen, dass es nicht ausreiche, nur die Beziehungen Warschaus zu Budapest abzukühlen, schreibt die Rzeczpospolita am Donnerstag. Polens Behörden müssten den ungarischen Anführer eindeutig verurteilen. Auf der Linie Warschau-Budapest herrsche zwar seit drei Monaten Stille, bemerkt das Blatt. Die Zusammenarbeit der Visegrad-Gruppe sei eingefroren. Während Polen der Ukraine helfe, erweise sich Ungarn jedoch weiterhin als Putins größter Verbündeter in der Europäischen Union. Ein solch dramatischer Unterschied, heißt es, mache es unmöglich, die polnisch-ungarischen Beziehungen aufrechtzuerhalten. Weitere Schritte seien nötig, die Ungarn diesen Zustand bewusst machen würden. Nach dem kürzlichen Besuch der ungarischen Präsidentin Katalina Novák habe das Büro des Präsidenten trotzdem versichert, dass die Beziehungen zwischen den beiden Ländern „ausgezeichnet“ seien.

Seit vielen Wochen blockiere Orbán zudem auch, die wichtigste Strafe, die die EU gegen Russland zu verhängen bereit sei: ein Embargo für Ölimporte. Orbans Selbstsicherheit in seinem Widerstand habe einen Grund. Wie wir lesen, glaubt der ungarische Staatschef, dass Brüssel keine Mittel mehr habe, um ihn für die Bevorzugung des russischen Aggressors zu bestrafen. Subventionen aus dem Wiederaufbaufonds seien ihm sowieso schon gestrichen worden. Er tue deshalb auch nichts gegen den Druck der EU-Zentrale, die Rechtsstaatlichkeit, die Unabhängigkeit der Justiz oder die Medienfreiheit wiederherzustellen.

Am Mittwoch traten zu alle dem die Bestimmungen des Ausnahmezustands in Ungarn in Kraft. Sie würden es Orban ermöglichen, per Dekret und unter Umgehung des Parlaments zu regieren. All dies erschüttere die EU von innen, schreibt das Blatt. Und das zu einer Zeit, in der sie angesichts der russischen Aggression so vereint wie möglich sein sollte.

Der Abbruch der Beziehungen zu Ungarn würde auch dazu beitragen, Polen zu einem der einflussreichsten EU-Länder zu machen. Dann würden nur noch Zweifel an der Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Unabhängigkeit der Justiz Polen daran hindern, in die erste Liga der EU-Staaten aufzusteigen, überzeugt das Blatt.

Die Trennung Warschaus von Budapest, heißt es abschließend, wäre ein sehr wichtiges Signal, das Polen das Vertrauen des Westen zurückgeben würde. Polen sollte daher seinen Fehler - die siebenjährige Zusammenarbeit mit Viktor Orbán - eingestehen, lautet das Fazit in der Rzeczpospolita. 

WSJ: Deutschland und Frankreich haben Angst vor der Achse Warschau-Kiew 

Ralph Gert Schöllhammer, Doktorand an der amerikanischen Webster Vienna Private University, schreibt für die amerikanische Zeitung Wall Street Journal über die Angst Deutschlands und Frankreichs vor der Warschau-Kiew-Achse und der Senkung ihrer eigenen regionalen Position. Schöllhammer weist darauf hin, dass in den letzten Monaten deutlich geworden sei, dass es vielen europäischen Ländern mehr daran gelegen habe, den Krieg zu beenden, als daran, wer ihn gewinnen würde. Vor allem Deutschland scheine daran interessiert zu sein zu Beziehungen zu Russland, wie vor dem Krieg in der Ukraine, zurückzukehren. Damit stehe Berlin aber nicht allein, heißt es. Nach seiner erfolgreichen Wiederwahl habe Frankreichs Emmanuel Macron gefordert, dass der künftige Frieden in Osteuropa keine unnötige Demütigung Russlands verursachen dürfe. Möglicherweise sollte er sogar territoriale Zugeständnisse an Moskau beinhalten. Der Journalist stellt darüber hinaus fest, dass die Haltung Deutschlands und Frankreichs damit im Widerspruch zu den USA, Großbritannien und Polen stehe.

Angesichts dessen, fährt der Autor fort, sollen sich Vertreter Osteuropas durch die offensichtliche Dominanz westeuropäischer Länder in der EU unterbewertet fühlen. Die Europäische Union, heißt es weiter, sei um Deutschland und Frankreich herum aufgebaut, und beide Länder würden neidisch ihre Position als endgültige Entscheidungsträger in Europa hüten. Sie seien sich auch bewusst, dass durch eine EU mit der Ukraine eine wettbewerbsfähige Achse Warschau-Kiew entstehen könnte, was weder Frankreich noch Deutschland wollen.

Die Ukraine stehe Polen politisch und kulturell näher als Deutschland, was bedeute, dass Deutschlands Stärke in der EU erheblich geschmälert und durch den wachsenden Einfluss Osteuropas ersetzt werden könnte.

 

Forsal: Paris und Berlin können Washington nicht ersetzen

Das Online-Wirtschaftsmagazin Forsal indes schreibt, das allen Ländern im Osten der EU deutlich werde, dass die Nato der wichtigste Sicherheitsgarant bleibe und es dazu keine Alternative gebe. Das amerikanische Engagement und die Unterstützung für die Ukraine hätten in keinem anderen EU-Land eine Parallele. Schon gar nicht in Paris oder Berlin - sagt Michał Rekowski, Programmdirektor des European Cybersecurity Forum CYBERSEC in einem Interview mit Forsal.

Die Reaktion Frankreichs und Deutschlands auf die aktuelle Krise sei ein Test für die Glaubwürdigkeit der deutsch-französischen Führung in der Europäischen Union. Sie sei auch ein Test für den potentiellen Aufbau einer zukünftigen gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik auf diesen beiden Ländern.

Berlin und Paris, erfahren wir, sollen nämlich eine sog. strategische Autonomie anstreben. Vor allem Frankreich wolle Europa unabhängig von den USA machen. Aus diesem Grund werde dieses Konzept von Anfang an von einer gewissen Spannung geprägt und führe zu Spaltungen zwischen den Mitgliedstaaten. Vor allem im Osten der EU, so der Experte, glaube man, dass eine Unabhängigkeit von den USA kein gleichwertiges Maß an Sicherheit in der Region bringen würde. Aus der gegenwärtigen Reaktion der Regierungen in Berlin und Paris würde man daher gerade jetzt Rückschlüsse ziehen, ob man sie als Garantiegeber der europäischen Sicherheit sehen könne.

Die Befürchtungen von Ländern wie Polen, Estland oder Rumänien, heißt es weiter, seien nachvollziehbar. Diese Länder würden sich fragen, ob Berlin und Paris in der Lage wären, ihre Souveränität und territoriale Integrität wirksam zu unterstützen, falls das Ziel der russischen Aggression eines der östlichen EU-Länder wäre.

Zweifel an der Führungsrolle Frankreichs und Deutschlands sollen nicht nur in unserem Teil Europas auftauchen, bemerkt Rekowski. Auch im Norden des Kontinents, wo Finnland und Schweden planen, der NATO beizutreten, sei kürzlich ein Bericht des schwedischen Parlaments zu den Folgen des Krieges in der Ukraine veröffentlicht worden. Darin soll festgestellt worden sein, dass es unter den EU-Ländern eindeutig an politischem Willen mangele, eine kollektive Verteidigung innerhalb der EU aufzubauen.

Der Experte sehe aber auch positive Signale innerhalb der EU: die hohe Fähigkeit der Staats- und Regierungschefs der EU im Bereich der politischen Sanktionen gegen Russland einstimmig zu handeln. Dank dieser gemeinsamen Haltung der Mitgliedstaaten, lesen wir am Schluss im Wirtschaftsblatt, würde man Russland direkt treffen. Langfristig werde sich diese Politik auf den Zustand der russischen Wirtschaft auswirken. Und damit auch auf Russlands Fähigkeit, Kriege zu führen, sagt Rekowski im Gespräch mit Forsal.



Piotr Siemiński