Deutsche Redaktion

"Lieber spät als nie"

07.09.2022 11:29
Mitten in der Diskussion über die Reparationsforderungen der polnischen Regierung erinnert die Tageszeitung Dziennik/Gazeta Prawna, dass vor wenigen Jahren die Bundesregierung Entschädigungen an ehemalige sowjetische Soldaten gezahlt habe. 
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DZIENIK/GAZETA PRAWNA: Lieber spät als nie 

Mitten in der Diskussion über die Reparationsforderungen der polnischen Regierung erinnert die Tageszeitung Dziennik/Gazeta Prawna, dass vor wenigen Jahren die Bundesregierung Entschädigungen an ehemalige sowjetische Soldaten gezahlt habe. Je 2.500 Euro wollte die Bundesrepublik an ehemalige sowjetische Soldaten zahlen, die während des Zweiten Weltkriegs in deutscher Kriegsgefangenschaft saßen. Zu Beginn des Entschädigungsprogramms seien Experten von 4.000 noch lebenden Betroffenen ausgegangen. Nach dem Ende der Antragsfrist habe die Bundesregierung eine enttäuschende Bilanz vorgelegt: weniger als 1800 formgerechte Anträge seien bei den Behörden eingegangen.

Insgesamt seien während des Kriegs über fünf Millionen Rotarmisten in Lagern der Nazis gesessen. Die Deutschen hätten sie weit schlechter als Gefangene aus anderen Armeen behandelt. Viele der sowjetischen Soldaten seien erschossen worden, seien verhungert oder mussten sich zu Tode schuften. Nur rund 1,8 Millionen hätten die Gefangenschaft überlebt, erinnert das Blatt.

In der Bundesrepublik habe diese Opfergruppe lange Zeit keine Rolle gespielt. Erst im Mai 2015 habe sich der Bundestag auf Initiative der Linkspartei dazu durchgerungen, den noch lebenden Betroffenen einmalig eine sogenannte Anerkennungsleistung zu zahlen, lesen wir in der Tageszeitung Dziennik/Gazeta Prawna. 

RZECZPOSPOLITA: Opfer haben das Recht auf Wiedergutmachung 

Der Journalist Marek Domagalski gibt in der neuen Ausgabe der Tageszeitung Rzeczpospolita seine Empörung zum Ausdruck. Kein Politiker dürfe den Kriegsopfern, deren Kindern und Enkeln das Recht auf eine Wiedergutmachung absprechen, stellt der Publizist fest. Er beziehe sich in seinem Kommentar auf die Haltung des oppositionellen Politikers Grzegorz Schetyna, der noch vor der Veröffentlichung des Berichts zu den Kriegsschäden in Polen die Initiative der Regierungspartei kritisiert habe. In einem Radiointerview habe der Oppositionspolitiker, gelernter Historiker übrigens, das Narrativ der deutschen Regierung wiederholt, dass die Reparationsfrage eigentlich seit 1953 abgeschlossen sei, und man die jetzige Haltung der Regierungspartei PiS allein mit innenpolitischer Motivation erklären könne.

Mit dieser Sichtweise stimme der Publizist nicht überein. Erstens würden nicht alle Experten davon ausgehen, dass die Reparationsfrage endgültig abgeschlossen sei. Außerdem, auch wenn diese Angelegenheit tatsächlich ein abgeschlossenes Kapitel wäre, dann müsste man feststellen, dass die Ungerechtigkeit nicht ausgeglichen wurde und polnische Bürger die Benachteiligten seien. Die Reparationsfrage sei etwas mehr, als nur ein juristischer Streit – hier gehe es in erster Linie um Gerechtigkeit. Es gehe um die Erinnerung an die Millionen polnischer Bürger, auch jüdischer Abstammung, die von den Deutschen ermordet wurden. Den Bericht der polnischen Experten verstehe der Publizist als eine Art Sammelklage der polnischen Bürger. Es sei in seinen Augen ein Druckmittel auf Deutschland und die gesamte zivilisierte Welt, der die Bundesrepublik zu einer gerechten und redlichen Auseinandersetzung mit den in Polen begangenen Verbrechen zwingen sollte.

Wenn Grzegorz Schetyna schon heute auf die Reparationen verzichtet, bedeute es, dass nach einem eventuellen Machtwechsel das Thema wohl unter den Teppich gekehrt worden wäre. Ein polnischer Politiker sollte sich in erster Linie für die Interessen Polens einsetzen, stellt der Publizist abschließend fest. Kein Politiker habe das Recht darauf, das Leid seiner Landsleute abzuwerten. Kein Politiker und keine Regierung dürften den Bürgern das Recht auf Wiedergutmachung und Gerechtigkeit absprechen, lesen wir in der Tageszeitung Rzeczpospolita. 

Jakub Kukla