Deutsche Redaktion

Wer wird die Ukraine wieder aufbauen?

08.09.2022 12:17
Anderthalb Monate vor der ersten Konferenz, die ausschließlich dem Wiederaufbau der Ukraine gewidmet sein werde, lege die amerikanische Denkfabrik German Marshall Fund (GMF) einen Bericht über den Wiederaufbau von Polens östlichem Nachbarn vor. 
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Rzeczpospolita: Wer wird die Ukraine wieder aufbauen?

Anderthalb Monate vor der ersten Konferenz, die ausschließlich dem Wiederaufbau der Ukraine gewidmet sein werde, lege die amerikanische Denkfabrik German Marshall Fund (GMF) einen Bericht über den Wiederaufbau von Polens östlichem Nachbarn vor. Der Kern des Dokuments, den die Zeitung Rzeczpospolita gelesen habe, beschreibe, wie die westlichen Länder in den langen und kostspieligen Prozess des Wiederaufbaus einbezogen werden könnten. Die Autoren des Berichts seien der Ansicht, dass die gesamte Operation nicht von der Europäischen Kommission verwaltet werden könne. Der Grund? Zu wenig Autorität, lesen wir. Die Initiative sollte viel breiter angelegt sein und alle G7-Länder einbeziehen: neben den USA auch Deutschland, Frankreich, Italien, das Vereinigte Königreich, Japan und Kanada. Den Verfassern des Berichts zufolge sollte der Wiederaufbauprozess anfangs von einem Amerikaner überwacht werden. Die Vereinigten Staaten sollen schließlich derzeit die größte Last des Wiederaufbaus übernommen haben.

Im Laufe der Zeit würde der Löwenanteil der Kosten anschließend von der Europäischen Union getragen werden. Die Hilfe für die Ukraine, die zunächst aus humanitärer Unterstützung bestehen würde, könnte allmählich in eine Phase des Wiederaufbaus der zerstörten Infrastruktur und der Modernisierung des Landes übergehen. Darin auch zur Vorbereitung des Landes, damit es die Bedingungen für eine EU-Mitgliedschaft erfülle.

Dies scheine ein Traumszenario für Polen zu sein. Die Abwesenheit von Vertretern Warschaus in dem Gremium, das über den Wiederaufbauprozess und damit indirekt über die Unternehmen, die lukrative Aufträge erhalten werden, entscheidet, müsse in Warschau jedoch Besorgnis auslösen, heißt es im Blatt.

Die Kosten für den Wiederaufbau der Ukraine werden nach Angaben Kiews auf 750 Milliarden Dollar geschätzt. Andere Berechnungen gehen von einem bescheideneren Betrag von 100 Milliarden Dollar aus.

Die Autoren des Berichts seien der Ansicht, dass die Mittel für die Ukraine von den bereits bestehenden internationalen Institutionen verwaltet werden sollten. Ihre Auszahlung dürfe aber nicht von Russland oder China beeinflusst werden. Die rund 300 Milliarden Dollar an russischen Zentralbankreserven, die seit Monaten in westlichen Ländern eingefroren liegen, dürfe man nicht für den Wiederaufbau der Ukraine verwenden.

Im GMF- Bericht werde jedoch, geht es nach dem Blatt, nicht zu Unrecht darauf hingewiesen, dass die Sympathie für die Ukraine schnell schwinden könnte, falls Gelder westlicher Steuerzahler in großem Umfang veruntreut werden sollten. Schließlich handle es sich um ein Land, lesen wir abschließend in der Tageszeitung, in dem vor der russischen Invasion das Ausmaß der Korruption legendär gewesen sei. Genau wie der Einfluss der Oligarchen auf die Arbeit der Behörden in Kiew. 

Dziennik: Prof. Legutko: Europa verdient neue Anführer 

Während des Wirtschaftsforums in Karpacz habe der Europaabgeordnete der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit Prof. Ryszard Legutko die Europäische Union in ihrer jetzigen Form kritisiert. Insbesondere die Führung durch Deutschland und Frankreich, schreibt das Online-Nachrichtenblatt Dziennik.

Obwohl er die Grundidee der europäischen Integration als gut bezeichne, kritisiere Legutko grundlegende Aspekte der Europäischen Union in ihrer derzeitigen Form. Er behauptete, dass die westeuropäischen Mitgliedstaaten im Wesentlichen pro-russisch und in hohem Maße für die derzeitige Krise mit Russland verantwortlich seien. Sie hätten Europa unnötigerweise von russischer Energie abhängig gemacht.

Vor allem Frankreich und Deutschland sollen dem Professor zufolge keinen amerikanischen Schutz wollen und es vorziehen, näher an Russland zu sein. Ihnen sei es egal, ob Russland einen Teil der Ukraine bekomme oder nicht, glaube Legutko. Wichtiger sei für sie, zu den früheren Verhältnissen zurückzukehren, in denen Europa auf russische Energie zurückgreifen könne.

Der Professor sehe deshalb die deutsch-französische Führung in Europa als "eine Katastrophe". Trotzdem sollen die beiden Länder nach diesem Misserfolg noch mehr Macht an sich reißen wollen.

Man müsse auch aus einer Dualität ausbrechen, wie sie Legutko nenne, die eine Folge des Zweiten Weltkriegs und des Kalten Krieges sei. Demnach gebe es auf der einen Seite Westeuropa und auf der anderen Russland. In der Mitte seien Länder, von denen einige Mitglieder in der Union sind, einige nicht, aber sie würden wie Partner zweiter Klasse behandelt werden.

Auf die Frage, was zu einer Veränderung des geopolitischen Denkens in Westeuropa führen könnte, heißt es weiter im Blatt, glaube der Europaabgeordnete, dass in einem Szenario der Stärkung Polens und der Länder Mittel- und Osteuropas die Attraktivität Russlands "als großer und starker Partner" abnehmen würde. Die politische Architektur Europas würde sich ändern. Aber darauf zu hoffen, dass die Westeuropäer plötzlich die russische Bedrohung durchschauen würden - das sehe er und erwarte auch nicht, lesen wir am Schluss in Dziennik über Legutkos Schilderung während des Wirtschaftsforums im polnischen Karpacz.

Rzeczpospolita: Reparationen und Abtreibung ein Dominoeffekt? 

Aus der Sicht der politischen Praktik gebe es keinen besonderen Unterschied zwischen der Forderung nach Reparationszahlungen an die Deutschen und der Forderung der Opposition nach der Einführung der Abtreibung auf Wunsch bis zum dritten Monat. Beides sei, zumindest in absehbarer Zukunft, unwahrscheinlich, schreibt Jan Maciejewski in der Rzeczpospolita. Beide Forderungen würden schließlich nicht darauf abzielen, etwas zu ändern, lesen wir, sondern darauf, dass alles beim Alten bleibe. Geht es nach dem Autor seien Jarosław Kaczyński und Donald Tusk hierbei ein bisschen wie Pflegeheimbewohner, die den Bezug zur Realität fast völlig verloren hätten und nebeneinander im Bett liegen.

Polens politische Griesgramme, so Maciejewski, scheinen sich für die Welt nur im Rahmen ihres privaten Dominospiels zu interessieren. Keiner der Steine, den sie in der vergangenen Woche gesetzt hätten, weder mit der Bezeichnung "Reparationen" noch mit "Abtreibung", sei außerhalb des Kontextes ihres parteiischen Spiels von Bedeutung. Ansonsten würden beide Parteiführer diese Fragen anders angehen, heißt es weiter, wenn sie ihnen wirklich am Herzen lägen. Ihre tatsächliche Umsetzung liege aber jenseits des Horizonts nicht nur ihrer Präsenz auf der politischen Bühne, sondern vielleicht auch auf dieser Welt. Ihre Prioritäten hätten nichts mit der militärischen Sicherheit Polens oder der sich zuspitzenden Wirtschaftskrise zu tun. Sie würden keine Antwort auf die Probleme geben, die praktisch alle Polen wirklich betreffen. Sie würden nur dazu dienen, die Vorstellungskraft der Polen zu absorbieren und sie auf die Rolle von Anhängern einer politischen Partei zu reduzieren, die sich im Altersheim abspiele.

Dem Autor zufolge werde es weder bei den Reparationen noch bei der Abtreibung einen Dominoeffekt geben. Kaczyńskis und Tusks Dominosteine werden zur Seite kippen und keine Kettenreaktion auslösen. Aber schließlich würde es hier nur um das Spiel, und nicht um den Effekt gehen, lautet Maciejewskis Fazit in der Rzeczpospolita.


Piotr Siemiński