Deutsche Redaktion

Putins verlorener Kampf?

14.09.2022 13:35
Die russische Armee sollte in wenigen Tagen Kiew erobern. Nach mehr als 200 Tagen sehen wir jedoch, dass Putin und seine Armee versagt haben.
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Gazeta Wyborcza: Ukraine sollte Russland demütigenden Kompromiss vorschlagen 

Die linksliberale Tageszeitung Gazeta Wyborcza schreibt am Mittwoch, dass angesichts des Tempos der ukrainischen Gegenoffensive, des Geschicks der ukrainischen Kommandeure und des Ausmaßes des Rückzugs der russischen Truppen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin oder seinem Nachfolger ein demütigender Kompromiss angeboten werden sollte.

Einen Monat vor Ausbruch des Krieges habe das angesehene außenpolitische US-Magazin Foreign Policy einen Artikel veröffentlicht, schreibt Bartosz Wieliński in der Tageszeitung, in dem es zu dem Schluss gekommen sei, dass die Bewaffnung der Ukraine mit westlichen Waffen nichts ändern würde. Dem amerikanischen Blatt zufolge hätte Kiew in einer direkten Konfrontation mit Russland keine Chance. Die Autoren, erfahrene Experten verschiedener Denkfabriken, seien davon ausgegangen, lesen wir weiter, dass die russische Armee eine präzise und mörderische Operation in der Ukraine durchführen würde. Die Ukraine sollte keine Chance bekommen, sich dagegen zu verteidigen. Niemand hätte vorhergesehen, schreibt Wieliński, dass sich die zweitgrößte Armee der Welt als so schwach und so schlecht geführt erweisen würde. Niemand hätte erwartet, dass der russische Plan, die Ukraine anzugreifen, so wenig mit der Realität zu tun haben würde. Aber wahrscheinlich habe auch niemand geglaubt, lautet das Fazit des Autoren in der Zeitung, dass der Westen sich angesichts eines russischen Angriffs zusammenschließen und die Ukraine so stark unterstützen würde. Und das trotz seiner eigenen Schwächen und einzelnen Interessen.

Dziennik: Putins Stalingrad 

Im Online-Tagesblatt Dziennik indes schreibt Andrzej Krajewski, die russische Invasion in der Ukraine sei zunächst als ein Blitzkrieg geplant worden. Putin und seine Unterbefehlshaber hätten jedoch vergessen einen Plan zu entwickeln, falls sie Kiew nicht einnehmen sollten. Und genau dies sei nicht geschehen. Die erlittenen Verluste seien so groß, dass die russische Armee die Fähigkeit verloren habe, offensive Aktionen in viele Richtungen durchzuführen. Jegliche Versuche würden nur zu noch größeren Verlusten führen. Und das sogar in den Reihen elitärer Einheiten. Gleichzeitig werde immer deutlicher, welch großen Fehler Putin gemacht habe, indem er es zu Beginn der Invasion versäumt habe, den gesamten Staat und die russische Gesellschaft vorsichtig zu mobilisieren. Dadurch seien zu wenige Truppen an die Front geschickt worden, und ihre Ausrüstung, Versorgung und Ausbildung würden keine Chance mehr bieten, einen entscheidenden Sieg über die Ukraine zu erringen. Die ukrainische Gegenoffensive bei Charkiw habe zu dem gezeigt, dass Putins russische Truppen derzeit nicht einmal über genügend Kräfte verfügen, um die Stabilität der 1.200 km langen Frontlinie zu sichern.

Dem Autor zufolge habe Kiew damit einen psychologischen Durchbruch erzielt. Nicht nur die Ukraine, sondern auch der Westen seien zu der Überzeugung gelangt, dass Russland den Krieg verlieren werde. Dies wiederum ermutige zu verstärkter internationaler Hilfe für Kiew, um den wirtschaftlich und politisch destabilisierenden Konflikt so schnell wie möglich zu beenden. Gleichzeitig würden auch russischen Soldaten erkennen, dass sie Gefahr laufen, den ganzen Winter durchzukämpfen.

In dieser Situation, so der Autor, habe der Kreml mehrere Möglichkeiten zur Auswahl. Keine würde jedoch den Beginn unvorstellbarer Veränderungen verhindern können. Nach dem Vorbild von Hitler und Goebbels nach der Niederlage bei Stalingrad könnte Putin seine eigene Niederlage offen eingestehen und versuchen, einen totalen Krieg zu führen. Er könnte in der Bevölkerung Angst vor den Folgen schüren, an den russischen Nationalismus appellieren und alle personellen und materiellen Ressourcen für dieses Projekt mobilisieren. Indem Putin dies nicht schon früher getan hätte, habe er Krajewski nach gezeigt, wie sehr er sich davor fürchte, Zehntausenden von Einwohnern großer Städte mit Waffen zu versorgen. Mehr noch als die Repressionen der Polizei würden diese nämlich die Zukunft fürchten, die Putin ihnen gerade beschere. Ein Aufstand wäre jetzt das letzte was Putin brauchen würde.

Was vor sechs Monaten noch unvorstellbar schien, heißt es abschließend, rücke für den Westen in greifbare Nähe. Weitere Militärhilfe für die Ukraine würde Russland zu einer militärischen Niederlage verurteilen. Was danach östlich des Flusses Bug passieren werde, übersteige vielleicht zu diesem Zeitpunkt unsere Vorstellungskraft, so die Schlussfolgerung des Autors in Dziennik.


wPolityce: Polnische Reparationsforderungen sind "verjährt" und Nazi-Dekrete aktuell? 

In dem regierungsnahen Nachrichtenportal wPolityce schreibt der Vorsitzende des Kollegiums des Instituts für Nationales Gedenken, Prof. Jan Polak, über das Schicksal vieler Kirchenglocken im ZweitenWeltkrieg. Damit mache er auf die zweideutige Stellungnahme Deutschlands bezüglich polnischer Reparationsforderungen aufmerksam.

Wie wir lesen hätten die Deutschen während des Krieges fast alle auf von ihnen besetzten Gebieten Kirchenglocken beschlagnahmt, um sie für Munition einzuschmelzen. Einige Glocken hätten den Krieg überstanden. Eine davon befinde sich heute in einer evangelischen Kirche in Bayern und stamme aus einer Kirche im heutigen Polen. Der Pfarrgemeinderat soll daher beschlossen haben, die Glocke als Geste der Gerechtigkeit zurückzugeben. Die deutsche Regierung, schreibt Polak, habe jedoch ein Veto eingelegt. Ein Sprecher des deutschen Außenministeriums soll in einer Antwort an die Evangelische Presseagentur erklärt haben, lesen wir, dass die Glocken dem Staat gehören würden. Sie seien während des Krieges vom Dritten Reich übernommen worden. Dessen Nachfolger sei nun die Bundesrepublik Deutschland, was es unmöglich mache, die Glocken an eine Gemeinde auf polnischem Gebiet zurückzugeben. Der Bund der Evangelischen Kirchen sei ebenfalls der Meinung, dass die Glocken in keiner Weise zu den heutigen katholischen Gemeinden in Polen gehöre, heißt es im Nachrichtenportal.

Dem Historiker zufolge sei dies eine weitere "Manifestation des hysterischen Antipolonismus", der sich heute in Deutschland ausbreite. Dazu würde man auf deutscher Seite sogar Hitlers Dekrete ausnutzen, so Polak. Die Anerkennung von Hitlers Gesetzen zeige, heißt es, dass die Nostalgie für das Dritte Reich am Rhein immer noch lebendig sei.

Ein weiteres Beispiel für die Anwendung alter NSDAP-Erlasse durch die heutige deutsche Regierung sei der Fall des Eigentums der polnischen Vorkriegsgemeinschaft in Deutschland. Nachfolgende Bundeskanzler hätten sich geweigert, es zurückzugeben, obwohl es durch ein Dekret von Hermann Göring im Jahr 1940 beschlagnahmt worden sei. Dieses Nazi-Gesetz sei daher auch heute noch in Kraft und Teil des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, überzeugt Polak. Anders würden sie allerdings Reparationsforderungen Polens angehen.

Nazi-Dekrete, mit denen sie ihrem polnischen Nachbarn und Verbündeten Schaden zufügen können, lesen des Weiteren, sehe Berlin als "verjährt" an. Der Akademiker hoffe nur, heißt es abschließend, dass solch schändliche Mentalität irgendwann einer wahrhaft europäischen Haltung weiche. Dass die Deutschen den Geist der Zusammenarbeit und den Willen zeigen, die Schuld und die Verbrechen, die von den Deutschen während des Zweiten Weltkriegs an den Polen begangen wurden, wiedergutzumachen.


Piotr Siemiński