Deutsche Redaktion

"Polen darf nicht versenkt werden"

18.10.2022 12:39
Droht Polen die Blockade von weiteren EU-Mitteln? Und: Berichte über mögliche russische Spur in der Abhöraffäre, die 2015 zur Machtübernahme durch die Recht und Gerechtigkeit geführt hatte. Das sind heute die führenden Themen in der polnischen Presse.
Komisja Europejska na początku czerwca br. zaakceptowała polski Krajowy Plan Odbudowy. To krok w kierunku wypłaty przez UE 23,9 mld euro dotacji i 11,5 mld euro pożyczek w ramach Funduszu Odbudowy
Komisja Europejska na początku czerwca br. zaakceptowała polski Krajowy Plan Odbudowy. To krok w kierunku wypłaty przez UE 23,9 mld euro dotacji i 11,5 mld euro pożyczek w ramach Funduszu Odbudowysymbiot/shutterstock

Rzeczpospolita: Polen darf nicht versenkt werden

Die gestrige Warnung der konservativ-liberalen Rzeczpospolita vor einer möglichen Blockade der EU-Mittel für Polen aus dem Haushalt für die Jahre 2021-2027 hat, wie das Blatt in seinem heutigen Aufmacher beobachtet, hohe Wellen geschlagen. Zwar habe Regierungssprecher Piotr Müller in einer offiziellen Stellungnahme am Montag versichert, dass die Regierung kein Schreiben zur eventuellen Blockade der Mittel aus Brüssel erhalten hat und dass die Warnung des Blattes daher unbegründet ist. Laut Kommentatoren, lesen wir in dem Artikel, würde der Konflikt zur Rechtsstaatlichkeit zwischen Warschau und Brüssel jedoch schon seit Langem schwelen. Und da von polnischer Seite keine Kompromissbereitschaft zu sehen sei, sei auch die Anwendung von drastischen Mitteln, wie eine Einfrierung der Gelder, nicht ausgeschlossen. In kurzer Perspektive würde ein solcher Schritt zu enormen Turbulenzen auf den Finanzmärkten führen: zu einer bedeutenden Schwächung des Złoty, einer dramatischen Abwertung von polnischen Wertpapieren und Anhebung der Kosten der Bedienung der Schulden, einer höheren Inflation und höheren Zinssätzen. In längerer Perspektive würde ein Verlust der EU-Unterstützung eine Rezession und ein höheres Risiko eines Polexits zur Folge haben.

Und was wäre dann die alternative Vision von Polens Zukunft von PiS-Chef Kaczyński, fragt in seiner Stellungnahme der Chefredakteur der Rzeczpospolita Bogusław Chrabota? Was habe er den Polen anzubieten? Wenn nicht die EU, was dann? Der Satellitenstatus einer der asiatischen Autokratien? Eine Einverleibung durch Moskau à la Belarus? Der Despotismus eines Kirchenstaates à la Erdogan? Oder vielleicht doch Europa. Ein besseres als heute. Um Europa zu ändern, müsse man jedoch in der EU sein. Und das wollen die polnischen Bürger vielleicht am meisten, so Bogusław Chrabota in der Rzeczpospolita.

Gazeta Polska Codziennie: Politik ersetzt Traktate

Während inhaltliche Gespräche zu EU-Programmen im Gange seien, wachse der Druck auf die Beamten, um einen Kompromiss zwischen der EU und Polen zu verhindern und dem Land endgültig den Zugang zu EU-Fonds zu blockieren, schreibt zum selben Thema die nationalkonservative Gazeta Polska Codziennie in ihrem heutigen Aufmacher. In Polen, lesen wir weiter, werde eine mediale Hexenjagd auf die Regierung veranstaltet und in Deutschland hätten die Grünen einen Punkt als Teil ihrer Politik aufgenommen, laut dem weder Polen noch Ungarn Geld von der EU erhalten sollten. Die Problematik einer eventuellen Blockade von EU-Mitteln für Polen, betont Gazeta Polska Codziennie, sei bei Weitem nicht so eindeutig, wie sie die regierungskritischen Journalisten darstellen würden. Und zitiert EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn, der am 18. September erklärte, dass die EU-Kommission im Falle von Polen keine ausreichende direkte Verbindung zwischen den Problemen des Justizwesens und einer eventuellen Gefährdung für die EU-Gelder beobachtet hat. “Ich sehe keine Gefahr für die Auszahlung von EU-Mitteln für Polen. Schon jetzt werden Mittel aus dem Landwirtschaftsfonds ausgezahlt. Bald soll die Auszahlung der Kohäsionsfonds starten”, sagt im Gespräch mit dem Blatt auch Polens Landwirtschaftskommissar Janusz Wojciechowski. Er, so Wojciechowski, habe den Eindruck, dass jemand mit den Berichten über eine drohende Blockade Panik schüren wolle. Es sei viel eher Kommissar Hahn, der die Haltung der EU-Kommission widerspiegele, als der Beamte niedrigeren Ranges, der nun von polnischen Medien zitiert werde, urteilt der Politiker.
In der aktuellen Situation, so das Blatt weiter, würden beide Seiten verhandeln und eine Verständigung erreichen wollen. Gleichzeitig würde vor allem die Opposition in Polen Druck auf die Brüsseler Beamten ausüben, das Abkommen platzen zu lassen. Dabei würden die Oppositionspolitiker rund um Donald Tusk auch reichlich Unterstützung aus Berlin und von der deutschen Kommissionschefin Ursula von der Leyen bekommen. Daher wolle die polnische Regierung nun auch die Taktik ändern und statt mit den Helfern, mit dem Puppenspieler selbst verhandeln, das heißt, mit Berlin. Dies sei einer der Gründe für den Wechsel auf dem Posten des EU-Ministers. Der neuernannte EU-Minister Szynkowski vel Sęk würde sich mit den deutsch-polnischen Beziehungen bestens auskennen, so Gazeta Polska Codziennie.

Gazeta Wyborcza: Die Spuren führen nach Russland

Die Abhöraffäre, nach der die Regierung PO-PSL die Parlamentswahlen verloren hatte, kehrt wieder in die öffentliche Debatte zurück. Der Grund: Laut dem Wochenblatt “Newsweek”, habe der Geschäftsmann Marek Falenta die abgehörten Gespräche polnischer Regierungspolitiker den Russen verkauft. Einige Wochen später habe, wie die linksliberale Gazeta Wyborcza in ihrem heutigen Aufmacher erinnert, die Wochenzeitung “Wprost” begonnen, die Aufzeichnungen zu publizieren, die zur Machtübernahme durch die Recht und Gerechtigkeit PiS geführt haben. Aus Aussagen eines der wichtigsten Zeugen in den Ermittlungen zu den illegal im Auftrag von Falenta installierten Abhörwanzen, Marcin W., an die “Newsweek” gelangt sei, lesen wir, gehe hervor, dass Falenta noch vor der Übergabe der Aufnahmen an Politiker der PiS und polnische Medien auch Russland ein “Geschenk” gemacht hat. In der Ortschaft Kemerowo habe er die Aufnahmen laut Marcin W. einem “Mitarbeiter von Igor Prokudin” überreicht, dem wichtigsten Anteilseigner des Kohle-Unternehmens KTK mit Verbindungen zu Putins Regime und zu russischen Geheimdiensten. Das Motiv: Falenta habe offenbar bei seinen russischen Partnern Schulden in Höhe von 26 bis 50 Millionen Dollar gehabt, für Kohle, die er importiert, wegen Polizeiermittlungen in seinen Kohlemagazinen aber nicht mehr verkauft habe. Geht es nach Marcin W., der das Treffen mit Prokudin organisiert habe, habe Falenta den Russen alle seine Aufnahmen verkauft. Den Preis habe er nicht nennen wollen, lesen wir in der Gazeta Wyborcza.


Rzeczpospolita: Zeugenaussagen gleichzeitig Geschenk und Risiko für Opposition

Für die Opposition seien die Berichte von “Newsweek” einerseits ein Geschenk. Andererseits aber auch ein gewisses Risiko, beobachtet in seiner Stellungnahme zum Thema der Publizist der Rzeczpospolita Michał Szułdrzyński. Denn 2015, so der Autor, habe mit der Bürgerplattform die PiS gewonnen und nicht die russischen Geheimdienste. Es seien die Polen gewesen, die für einen Machtwechsel gestimmt hätten. Wer alles auf eine Ingerenz der Russen schieben wolle - wie es manche PO-Politiker schon jetzt versuchen - sollte nicht vergessen, wie schwach die Präsidentschaftskampagne von Bronisław Komorowski gewesen und wie schlecht Ewa Kopacz als Ministerpräsidentin zurechtgekommen sei. Sollen daran etwa auch die Russen schuld sein? Vor den kommenden Wahlen sollte die Opposition sich an die Arbeit machen, um die Polen zu überzeugen, dass es sich lohnt, für sie zu stimmen. Dann werde sie sich über einen Wahlsieg freuen können, statt die Schuld für eine Niederlage wieder den Russen in die Schuhe zu schieben, so Michał Szułdrzyński in der Rzeczpospolita.

Autor: Adam de Nisau