Deutsche Redaktion

"Militarisierte Zone"

31.03.2023 12:44
Die rasche Aufrüstung Polens sei notwendig, habe jedoch auch Schattenseiten, schreibt in der Wochenendausgabe das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna. Und: Die NATO kann die baltischen Staaten dank Finnlands Beitritt effektiv verteidigen. Die Einzelheiten in der Presseschau.
Szef BBN Jacek Siewiera: w nowym cyklu  armia rozwijać się będzie wielodomenowo
Szef BBN Jacek Siewiera: w nowym cyklu armia rozwijać się będzie wielodomenowoShutterstock.com/DarSzach

Rzeczpospolita: Finnland in der NATO - Russland kann nur noch ein Feind sein

Nach dem Votum der Türkei steht dem Beitritt Finnlands zur NATO nun nichts mehr im Weg. Dank der Aufnahme von Finnland gewinnt der nordatlantische Pakt bei der Verteidigung von Litauen, Lettland und Estland an sogenannter strategischer Tiefe, beobachtet in seinem Kommentar der Publizist der konservativ-liberalen Rzeczpospolita, Jędrzej Bielecki. Die NATO, so der Autor, könne die baltischen Staaten nun verteidigen und die Suwalki-Lücke sei nicht mehr ihre einzige Route in den Westen. Die Finnen, fährt Bielecki fort, würden sich zwar in Reichweite der russischen taktischen Atomwaffen befinden, die rund um St. Petersburg und auf der Halbinsel Kolsk stationiert seien, was das Risiko einer Erpressung von Helsinki durch den Kreml erhöhe. Denn es sei nicht klar, ob die USA bereit wären, strategische Atomwaffen einzusetzen und sich für einen dritten Weltkrieg zu entscheiden, um das 31. NATO-Mitglied zu verteidigen. Es sei aber auch möglich, dass das Weiße Haus die Stationierung von amerikanischen taktischen Atomwaffen auf finnischem Staatsgebiet vorschlägt und die Finnen einer solchen Lösung zustimmen. Dies würde Putin vor eine enorme Herausforderung stellen: Die Gefahr der Vernichtung der ehemaligen Zarenhauptstadt ohne einen Krieg von planetarischem Ausmaß innerhalb von wenigen Minuten. All dies, so Bielecki, hätte Russland vermeiden können. Schließlich habe Finnland über Jahrzehnte hinweg geschickt zwischen Russland und dem Westen balanciert. Infolge der russischen Invasion vom 24. Februar vergangenen Jahres, habe sich die Zustimmung für einen NATO-Beitritt in der Bevölkerung von 20 auf 80 Prozent erhöht. Und Helsinki habe verstanden, dass man nun nur noch für den russischen blutigen Diktator oder gegen ihn sein kann. Daher auch der offizielle Beitritt Finnlands in die Reihen der Feinde Russlands. Dieser Schritt sei einer der größten Misserfolge des russischen Diktators, schreibt Jędrzej Bielecki in der Rzeczpospolita. 

Dziennik/Gazeta Prawna: Militarisierte Zone

Die Folgen der rapiden Aufrüstung Polens infolge des Kriegs in der Ukraine für die polnische Wirtschaft analysiert in der Wochenendausgabe des Wirtschaftsblatts Dziennik/Gazeta Prawna der Publizist Maciej Miłosz. Noch 2020, so der Autor, habe der Haushalt des Verteidigungsministeriums 49 Milliarden Złoty betragen, also etwas mehr als 2,2 Prozent des BIP. 2023 sei er mit 97 Milliarden bereits doppelt so hoch. Hinzu käme noch der außerbudgetäre Unterstützungsfonds für die Streitkräfte der Bank für Staatshaushalt, dessen Höhe und Quellen nicht öffentlich seien. Politiker würden von einem Betrag von bis zu 50 Milliarden PLN sprechen, der vermutlich im Ausland geliehen worden sei. Daher, so Miłosz, könne man mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass wir im Jahr 2023 über 130 Milliarden PLN für die Verteidigung ausgeben werden. Das seien mehr als 4 Prozent des BIP. Zum Vergleich: Mehr als 3 Prozent der Wirtschaftsleistung würden in der NATO für die Armee nur die USA, also die größte Militärmacht der Welt, und Griechenland ausgeben, das in ständigem Konflikt mit seinem bevölkerungsreicheren Nachbarn und ebenfalls Bündnismitglied Türkei stehe.

Diese Ausgaben würden Polen zwischen dem militarisierten Israel positionieren, das seit Jahren mehr als 5 Prozent des BIP für die Verteidigung ausgibt, und dem an Norkorea grenzenden Südkorea, dessen Ausgaben für die Verteidigung sich auf 2,8 Prozent des BIP belaufen. Es sei erwähnenswert, dass sowohl Israel als auch Korea ihre großen Rüstungsausgaben in den Aufbau einer perfekt funktionierenden Rüstungsindustrie umgesetzt haben. Dies erlaube es beiden Staaten erstens, flexibel Rüstungsgüter für den Eigenbedarf zu produzieren, diese zweitens auch schnell und kontinuierlich zu warten und drittens, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Auch in Polen werde wohl ein großer Teil der 130 Milliarden der heimischen Rüstungsindustrie zu Gute kommen und helfen, Tausende von neuen Arbeitsplätzen zu schaffen. 

Ein weiterer Bereich, in dem die Militarisierung Polens sichtbar werde, sei die Zahl der Soldaten. Derzeit würden landesweit über 160 Tausend Menschen Uniformen tragen. Und auch, wenn die Ankündigung des Verteidigungsministers einer 300 Tausend Mann großen Armee mit Vorsicht zu genießen sei, scheine die Vergrößerung der Streitkräfte auf über 200 Tausend Militärs innerhalb der nächsten Jahre realistisch. 

All dies vergrößere die Wehrhaftigkeit des Landes, habe jedoch auch seine Schattenseiten. Denn wenn wir annehmen, dass etwa 200 Tausend junge Menschen in der Armee dienen werden, dann bedeute dies auch, dass um 50 Tausend Menschen weniger als 2015 auf den zivilen Arbeitsmarkt gelangen und zum  Wirtschaftswachstum beitragen. Und das über Jahrzehnte. Denn mehr Waffen bedeute auch mehr Geld für ihre Instandhaltung, mehr Soldaten  bedeute auch mehr Löhne und später Renten. 

Analysen dazu, wie sich das auf die Wirtschaft auswirken wird, habe die Regierung nicht veröffentlicht. Aber die italienischen Ökonomen Giorgio d’Agostino, John Paul Dunne und Luca Pieroni hätten 2017 ausgerechnet, dass die Anhebung der Verteidigungsausgaben um 1 Prozent des BIP in einer Perspektive von 20 Jahren um 9 Prozent weniger Wirtschaftswachstum bedeutet. Besonders betreffe dies reichere Staaten, die zur OSZE gehören, wie Polen. Vor 70 Jahren habe es US-Präsident Dwight Eisenhower in einer Rede auf den Punkt gebracht, als er sagte: “Jedes produzierte Gewehr, jedes vom Stapel gelaufene Schiff, jede abgeschossene Rakete bedeuten in einem fundamentalen Sinne, dass ein Hungriger bestohlen wird, der nichts zu essen bekommt oder ein nackter, der keine Kleidung bekommt.”

Leider, so der Publizist, werde die NATO-Ostflanke in den kommenden Jahren wahrscheinlich zwangsweise eines der am stärksten militarisierten Gebiete der Welt sein. Wie Israel oder Korea. Und es sei schwierig, die Tatsache zu bestreiten, dass jede verantwortungsvolle polnische Regierung in den kommenden Jahren die hohen Verteidigungsausgaben beibehalten sollte - nur so habe Polen eine Chance, Russland abzuschrecken. Wenn man mehr als 100 Milliarden Zloty pro Jahr für die Verteidigung ausgebe, dann lohne es sich jedoch auch, sich der Konsequenzen bewusst zu sein und sich auf diese vorzubereiten. Denn jeder Stock habe zwei Enden. Auch der, mit dem wir uns verteidigen, so Maciej Miłosz in Dziennik/Gazeta Prawna. 

Autor: Adam de Nisau