Deutsche Redaktion

"Österreichischer Politologe wirft Polen Kriegstreiberei vor"

10.05.2023 19:19
Geht es nach Ronald Barazon, stehe derzeit vor allem Polen einer Rückkehr zur Sicherheit in Europa im Wege. Wie der Regierungsbevollmächtigte für die Sicherheit des Informationsraums Polens, Stanisław Żaryn beobachtet, würden diese Thesen die Propagandalinie Moskaus wiederspiegeln, in der Polen als Kriegstreiber dargestellt werde. Außerdem: Worum geht es im neuesten Streit um die Haltung der Polen in Bezug auf den Holocaust? Die Einzelheiten in der Presseschau.
Rosyjski opozycjonista: reżim ponosi porażkę na propagandowym froncie
Rosyjski opozycjonista: reżim ponosi porażkę na propagandowym froncieShutterstock.com/Zhenya Voevodin

niezalezna.pl: Österreichischer Politologe wirft Polen Kriegstreiberei vor 

Das nationalkonservative Portal niezalezna.pl macht auf einen Artikel des österreichischen Politologen Ronald Barazon im Portal “Deutsche Wirtschaftsnachrichten” aufmerksam. Geht es nach Barazon, lesen wir, stehe derzeit vor allem Polen einer Rückkehr zur Sicherheit in Europa im Wege. Barazon, so niezalezna.pl, wiederhole damit die Thesen der russischen Propaganda, laut der Polen einen russischen Angriff provozieren wolle, um sich “mithilfe der NATO in einem Dritten Weltkrieg an Russland zu rächen”. Der Politologe kritisiere zudem die Regierung in Warschau für die militärische Unterstützung, die Polen seit den ersten Tagen der Aggression an Kiew geleistet habe. Der Artikel werde vom russischen Propagandasender Russia Today exponiert. 

Wie der Regierungsbevollmächtigte für die Sicherheit des Informationsraums Polens, Stanisław Żaryn beobachtet, würden diese Thesen die Propagandalinie Moskaus wiederspiegeln, in der Polen als Kriegstreiber dargestellt werde. “Die russische Propaganda nutzt gerne Aussagen sogenannter westlicher “Experten” und “Publizisten”, um dem auf Lügen basierenden Handeln des Regimes Glaubwürdigkeit zu verleihen”, so Żaryn. 

Polityka: Zeit, der Wissenschaft eine Lehre zu erteilen

Die linksliberale Wochenzeitung “Polityka” widmet in ihrer aktuellen Ausgabe dem Streit über die Haltung der Polen zum Holocaust eine ausführliche Analyse. Die Regierungspartei PiS, so das Blatt, greife Wissenschaftler nicht zum ersten Mal an. Aber das, was nach der Aussage von Professorin Barbara Engelking geschehe, sei präzedenzlos. Wie Polityka erinnert, habe die ganze Affäre kurz nach dem 80. Jahrestag des Aufstands im Warschauer Ghetto begonnen, als Prof. Barbara Engelking zu einem Interview für den Privatsender TVN eingeladen wurde. Engelking sei, wie Polityka erinnert, unter anderem Autorin des Konzepts zur Ausstellung “Um uns herum ein Feuermeer” im Museum der Geschichte der Polnischen Juden POLIN, die dem Schicksal der jüdischen Zivilisten während des Aufstands und danach gewidmet ist. Die Exposition beruhe auf den wenigen verbliebenen Augenzeugenberichten und Aufzeichnungen derjenigen, die damals verzweifelt ums Überleben kämpften. Und in ihren Aufzeichnungen seien neben Hoffnung auch ein Gefühl der Einsamkeit sowie Angst vor Erpressung und Verrat zu finden. Eben darüber habe Engelking in dem Interview erzählt: Dass die Juden wussten, was sie von den Deutschen erwarten können, denn Deutsche seien Feinde gewesen. Es habe sich um eine schwarz-weiße Situation gehandelt. Die Beziehungen mit den Polen seien indes viel komplexer gewesen. Denn die Polen, so Polityka, hätten das Potenzial gehabt, Verbündete der Juden zu werden und es bestand die Hoffnung, dass sie die Situation nicht so oft für Erpressung nutzen.

“Die Juden sind im Krieg in Bezug auf die Polen extrem enttäuscht gewesen”, habe die Historikerin in dem Interview geurteilt. Und für diejenigen, die etwas über die Geschichte des Holocausts wissen, sei diese Feststellung etwas Offensichtliches. Prof. Engelking habe nichts Neues gesagt, denn sie und andere Forscher würden seit Jahren darüber schreiben. Aber im Wahljahr habe diese Aussage die nationalkonservativen Politiker in einen Zustand histerisch-patriotischer Empörung versetzt. “Lüge”, “antipolnische Narration”, “Rassismus” sei zu hören gewesen, verschiedene staatliche Institutionen hätten sich in die Diskussion eingeschaltet. Bildungsminister Przemysław Czarnek habe sie aber alle überboten und nicht nur die Historikerin beleidigt, sondern dem Institut, in dem sie arbeitet, auch mit dem Entzug von Fördergeldern gedroht. Natürlich, so Polityka, theoretisch sei die Polnische Akademie der Wissenschaften eine unabhängige Institution, aber sie sei eben doch von staatlichen Geldern abhängig. Besonders infolge der Inflation und der Anhebung des Minimallohns, lesen wir weiter, hätten die meisten Hochschulen Haushaltsprobleme. Und Czarnek wisse das. Schon als vor einiger Zeit Hochschulen Unterricht abgesagt hatten, um den Studenten die Teilnahme an Protesten für das Abtreibungsrecht zu ermöglichen, habe er nicht zweideutig zu verstehen gegeben, dass er die Mittel für Investitionen und Forschungsprojekte vergibt. Den Finanzdruck übe der Minister auch mit unklaren Kriterien für die Bewertung von Hochschulen aus, von der wiederum ihr Status und ihre Rechte in Bezug auf die Verteilung von wissenschaftlichen Titeln abhänge. Teil dieser Bewertung seien Punkte für Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften. Und der Bildungsminister habe das zu Zeiten seines Vorgängers vorbereitete System demoliert, das vor allem zu Publikationen in renommierten ausländischen Fachzeitschriften motivieren sollte. Nach den Korrekturen von Czarnek hätten vor allem katholische Journale mächtig an Prestige gewonnen. Die philosophischen Journale der Katholischen Universtität Lublin etwa, die zuvor 20 Punkte gehabt hätten, würden jetzt 100 wert sein. Ähnlich, wie eine Kirchenzeitschrift, die zuvor gar keine Punkte hatte.

Zudem habe Minister Czarnek auch angekündigt, dass er breit angelegte Studien in Auftrag geben wolle, die Gemeinde für Gemeinde zeigen sollen, wie engagiert die polnische Gesellschaft in die Rettung von Juden gewesen sei. Eine doppelt kuriose Idee. Erstens komme es eher nicht vor, dass ein Minister historische Studien in Auftrag gebe, die die Botschaft der Partei stützen sollen. Zweitens würden solche Studien seit Jahren schon von exzellenten Forschern geführt. Und das Bild, das sich aus ihnen ergebe sei kompliziert und ambivalent, deute aber auch auf eine größére Skala der Teilnahme von Polen am Holocaust hin, als vorher gedacht. Und das gefalle den Konservativen eben nicht. In diesem Streit gehe es den Politikern des Regierungslagers nicht um inhaltlichen Austausch. Sie würden wissen, dass Im Kontakt mit der Kernwählerschaft archaischer, verschlossener und auf Xenophobie beruhender Patriotismus, in dem Polen ein ewig unschuldiges Opfer sei, weitaus effektiver sei. Es sei billiger aber einfach zu konsumierender Patriotismus, der uns von allem Bösen und von Schuldgefühl befreie und das Gewissen beruhige. Und solange dieser Mechanismus funktioniere, werde die populistische Rechte ihn nutzen, so Polityka. 

Autor: Adam de Nisau