Deutsche Redaktion

"Belarus will tote polnische Soldaten verurteilen"

03.07.2023 12:05
In Bezug auf ihre Haltung zum Thema Migration ernten heute sowohl Regierung als auch Opposition Kritik. Außerdem: Werden die Proteste in Frankreich von russischen Geheimdiensten inspiriert? Wird Belarus in naher Zukunft auch tote polnische Soldaten vor Gericht stellen? Und: Was steckt hinter der steigenden Popularität der polnischen AfD? Die Einzelheiten in der Presseschau.
Аляксандр Лукашэнкаhttps://t.me/pul_1/8922

Rzeczpospolita: Polen und Ungarn haben mit ihrer Blockade nichts erreicht


Mit Ihrer Blockade der Konklusionen des EU-Gipfels hätten Premierminister Mateusz Morawiecki und Ungarns Regierungschef Viktor Orban nichts erreicht, schreibt in der heutigen Ausgabe die konservativ-liberale Rzeczpospolita. Am Asylpakt würde die Geste nichts ändern, dafür aber hätten beide Regierungen - die in Warschau und die in Budapest - mit ihrem Widerstand wieder viel politisches Kapital verspielt, das sie bei Verhandlungen zu anderen Themen konstruktiver hätten nutzen können, so der Tenor der Kommentare.

Gazeta Polska Codziennie/Rzeczpospolita: Tusk sollte nicht gegen Migranten aufhetzen

Aber auch Oppositionsführer Donald Tusk erntet in Bezug auf das Thema Migration Kritik. Anlass ist ein aktueller Wahlspot der Bürgerplattform, in dem Tusk der Regierung vorwirft, die Migrationsregeln für viele Staaten lockern zu wollen und damit Hunderttausenden Migranten die Einreise nach Polen zu vereinfachen. Die nationalkonservative Gazeta Polska Codziennie thematisiert den Spot in ihrem heutigen Aufmacher und wirft Tusk vor, für Wahlkampfzwecke eine zynische 180-Grad-Wende vollzogen zu haben. Noch vor Kurzem habe die Bürgerplattform der Regierung Fremdenfeindlichkeit vorgeworfen. Nun versuche sie sich plötzlich als Beschützer der polnischen Grenzen darzustellen, so Gazeta Polska Codziennie.

Auch die eher regierungskritische Rzeczpospolita übt Kritik an der größten Oppositionspartei. In dem Spot, erinnert der Chefredakteur des Blattes, Bogusław Chrabota, werde unter anderem eine Brücke zwischen den neuesten Unruhen in Frankreich und dem Migrationsthema geschlagen. Dies sei absolut fehl am Platz, so der Publizist in seinem Kommentar. Tusk ziehe diese Parallele ganz so, als ob er nicht wüsste, dass die Probleme von Paris die Konsequenz jahrzehntelanger Fehler und Unterlassungen seien und auf den Straßen nicht nur Immigranten, sondern auch die Linken protestieren würden. Mit anderen Worten, die Andeutung jedweder Analogien zwischen den Protesten in Frankreich und der Verdienst-Migration nach Polen, die die Regierung PiS zurecht fördern wolle, sei höchst riskant. Sie rieche arg nach Fremdenfeindlichkeit. Deswegen sollte Tusk die Finger von Versuchen lassen, Stimmung gegen Einwanderer zu machen. Er gieße damit Öl in ein Feuer, das die Opposition von der politischen Karte fegen könne und, was noch schlimmer sei - auch die Anständigkeit, auf die wir zuletzt so stolz gewesen seien, so Bogusław Chrabota in der Rzeczpospolita.

Gazeta Polska Codziennie: Werden die Unruhen an der Seine von russischen Diensten inspiriert?


Stichwort Unruhen in Frankreich. In einem Gespräch mit der Gazeta Polska Codziennie stellt Frankreich-Experte Zbigniew Stefanik die These, dass bei den anhaltenden Protesten auch russische Geheimdienste ihre Finger mit im Spiel haben könnten. Die Demonstrationen, so Stefanik, seien ursprünglich zwar eine spontane Reaktion auf den Tod des 17-jährigen Nahel gewesen, der von einem Polizisten erschossen wurde. Doch nun würden immer stärker ultralinke Gruppierungen in den Vordergrund rücken. “Es stellt sich die Frage, inwiefern diese Gruppierungen von außen gelenkt werden”, so Stefanik. Die Proteste würden sehr professionell geführt. Zudem seien die bisherigen Unruhen an der Seine eher in Problemvierteln ausgebrochen. Aufgrund der Teilnahme von ultralinken Gruppierungen hätten sich die aktuellen Demonstrationen jedoch auf die französischen Metropolen ausgeweitet. “Ich würde all dies nicht nur aus der innenpolitischen, sondern auch aus der außenpolitischen Perspektive betrachten”, so Stefanik.

Dziennik/Gazeta Prawna: Belarus will tote polnische Soldaten verurteilen

Belarus will offenbar nun auch verstorbene polnische Soldaten verurteilen können, berichtet Dziennik/Gazeta Prawna. Das belarussische Parlament, lesen wir, hat am Freitag Änderungen im Strafgesetz verabschiedet, laut denen für bestimmte Arten von Verbrechen fortan auch verstorbene Personen verurteilt werden können.

"Es geht um die Zeiten des Zweiten Weltkriegs, und es ist ziemlich klar, dass zu den Hauptangeklagten Polen gehören werden", sagt im Interview mit dem Blatt Anna Maria Dyner vom Polnischen Institut für Internationale Angelegenheiten. Die belarussische Staatsanwaltschaft, erinnert die Zeitung, führe seit mehreren Monaten eine Kampagne zur Dokumentation mutmaßlicher Verbrechen, die von Soldaten der Heimatarmee und der anti-bolschewistischen Untergrundbewegung begangen worden sein sollen. Jetzt könne diese Kampagne vor Gericht Früchte tragen: Der Tod der "Verdächtigen" werde keine Rolle mehr spielen. Die Änderungen, lesen wir weiter, würden sich nahtlos in eine antipolnische Kampagne einfügen, die 2020 begonnen habe. Warschau werde darin als Hauptförderer der Opposition genannt und territorialer Ansprüche auf Westbelarus bezichtigt. Die Geschichtspolitik sei ein wesentlicher Bestandteil dieser Kampagne, und Vorwürfe in Bezug auf die Vergangenheit seien unter anderem ein Vorwand für die Verurteilung des Journalisten Andrzej Poczobut zu acht Jahren Gefängnis gewesen, erinnert die Zeitung. "Es ist nicht auszuschließen, dass die Behörden zu einem bestimmten Zeitpunkt Fragen der Reparationen für die 'Besetzung westlicher Gebiete während der Zwischenkriegszeit' durch Polen aufgreifen könnten", so Anna Maria Dyner.

Dziennik/Gazeta Prawna: Wen haben die Konföderaten verführt?

Und noch ein innenpolitischer Akzent. Während Deutschland über die Ursachen der neuesten Erfolge der AfD diskutiert, befindet sich im Vorfeld der Parlamentswahlen auch in Polen eine ultrarechte Partei im Aufwind. Die Sticheleien innerhalb der Opposition und die Fehler der Regierungspartei PiS, habe die Konfederacja für sich nutzen können und sei in den Umfragen inzwischen unerwartet auf den dritten Platz vorgerückt, berichtet ebenfalls Dziennik/Gazeta Prawna. Wie eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IBRiS zeige, würden zu den potentiellen Wählern der Partei nicht mehr nur Männer, sondern auch Frauen gehören - oft aus kleineren Städten und mit Einkommen, die unter dem Durchschnitt liegen würden. Die Konfederacja, erklärt die Zeitung, würde die Wähler mit der Narration für sich gewinnen, dass Polen vor allem unter der Teuerung leide, die wiederum eine Folge von Sozialtransfers sei. Das aktuelle Wählerpotenzial der Gruppierung werde sogar auf 20 Prozent geschätzt. Die Regierungspartei und die Opposition hätten den Trend inzwischen auch bemerkt und würden sich nun für eine Gegenoffensive rüsten, in der sie stärker auf wirtschaftliche Themen aufmerksam machen wollen. Die Konfederacja sei bislang der lachende Dritte gewesen und habe von den Kämpfen anderer profitiert. Nun könne sie selbst ins Visier geraten, so Dziennik/Gazeta Prawna.


Autor: Adam de Nisau