Deutsche Redaktion

"Deutsch-französisches Tandem immer schwächer"

04.07.2023 12:35
Warschau und Paris sind sich in ihrer Haltung zu einer Erweiterung der NATO um die Ukraine inzwischen viel näher, als Berlin und Paris, beobachtet Jędrzej Bielecki von der Rzeczpospolita. Außerdem: Wird die ultrarechte Konfederacja der lachende Dritte beim Referendum zum Asylpakt sein? Und: Hat Oppositionsführer Tusk als Premierminister die NATO-Erweiterung torpediert? Die Einzelheiten in der Presseschau. 
Międzyrządowe spotkanie Francja-Niemcy odwołane. Powodem różnice w polityce energetycznej i obronnej
Międzyrządowe spotkanie Francja-Niemcy odwołane. Powodem różnice w polityce energetycznej i obronnejChiasson Paul/CP/ABACA/PAP


Rzeczpospolita: Deutsch-französisches Tandem immer schwächer

Zwischen Paris und Berlin klafft eine immer tiefere Kluft in Bezug auf das aktuell größte Problem Europas: den Krieg in der Ukraine, schreibt in der aktuellen Ausgabe der konservativ-liberalen Rzeczpospolita der Publizist Jędrzej Bielecki. Und mit dem wegen der Unruhen in Frankreich nicht zustande gekommenen Besuch von Macron in Deutschland, so der Autor, sei auch die Chance nicht nur auf ein paar medienwirksame Photos verpufft, sondern auch darauf, vor dem NATO-Gipfel einen gemeinsamen Nenner in dieser Frage zu finden.

In einem gestern in der “Rzeczpospolita” veröffentlichten Interview, erinnert Bielecki, habe der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius die Meinung ausgedrückt, dass keine Rede von einer Aufnahme der Ukraine in der NATO sein könne, solange in dem Land gekämpft werde. Dies, so Pistorius, würde das Bündnis in einen direkten Konflikt mit Russland verwickeln. Macron sehe dies jedoch anders. Laut dem französischen Staatsoberhaupt sollte Kiew beim NATO-Gipfel in Vilnius am 11. Juli eine klare Beitrittsperspektive erhalten. Im Elysee-Palast herrsche die Meinung vor, dass es keinen anderen Weg gebe, Putin zur Aufnahme von Friedensverhandlungen zu zwingen. Sonst werde der Krieg nie enden. Und eine solche Haltung sei der Perspektive Polens viel näher, als der Berlins, betont Bielecki. Die Schwäche der Argumentation von Pistorius, so der Autor weiter, liege darin, dass sie dem Kreml de facto die Möglichkeit gebe, den Beitritt der Ukraine zur NATO durch eine Fortsetzung des Kriegs ewig hinauszuschieben. “Wenn Staaten, die in Kampfhandlungen verwickelt sind, nicht in die NATO aufgenommen werden, dann wird der Konflikt permanent sein, denn es handelt sich für Russland um ein Thema von existentieller Bedeutung”, habe dazu etwa Russlands Ex-Premier und Ex-Staatspräsident Dmitri Medwedew gesagt.

Frankreich, so Bielecki, habe sich inzwischen damit abgefunden, dass infolge des Kriegs ein neuer eiserner Vorhang durch Europa verlaufen wird, der autoritäre Staaten in der Umlaufbahn Moskaus vom freien Westen trenne und dass die “Grauzone”, die bisher Gegenstand der EU-Nachbarschaftspolitik gewesen sei, sich nicht mehr aufrechterhalten lasse. Macrons strategische Kehrtwende in Bezug auf die Ukraine sei ein Versuch, trotz der neuen Situation eine führende Rolle von Paris zu erhalten.

Deutschland und Frankreich würden sich aber auch in Bezug auf andere Schlüsselfragen unterscheiden. Darunter sei das geplante EU-Luftabwehrsystem, in dem Deutschland zum Verdruss der Franzosen auf Raketen verzichten wolle, die ein französisch-italienisches Konsortium bauen sollte. Oder die EU-Erweiterung. Macron befürworte eine schnelle Aufnahme neuer Länder in die EU, um eine Integration des westlichen Balkans und von Osteuropa in den Einflussbereich Russlands und Chinas zu verhindern. Aus diesem Grund werde sich Frankreich voraussichtlich im Oktober für Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldawien aussprechen, während Macron gleichzeitig Pläne für eine frühere Reform der EU vorlegen werde.

Die größere Nähe zwischen Polen und Frankreich hänge schließlich auch damit zusammen, dass die Regierung PiS in ihrer Wahlkampagne Berlin als wichtigstes Ziel von Attacken gewählt habe. Damit würden wohl auch die Unstimmigkeiten beim geplanten gemeinsamen Bau eines deutsch-polnischen Reparaturzentrums für Leopard-Panzer zusammenhängen. Die Regierung PiS scheue vor einem solchen Erfolg in den deutsch-polnischen Beziehungen offenbar zurück, so Jędrzej Bielecki in der Rzeczpospolita.


Rzeczpospolita: PiS greift zu politischen Massenvernichtungswaffen

Als der größte Benefiziat des geplanten Referendums zum Asylpakt und des Streits zwischen Bürgerplattform und PiS zur Migration könnte sich statt Tusk oder Kaczyński die ultrarechte Konfederacja erweisen, schreibt in seinem Kommentar der Publizist der Rzeczpospolita Michał Szułdrzyński. Es, so der Autor, sei mittlerweile so gut wie sicher, dass die Regierungspartei PiS das Referendum am Tag der Parlamentswahlen organisieren wolle. Ein entsprechender Gesetzesentwurf von PiS-Abgeordneten, der die Organisation beider Abstimmungen an einem Tag ermögliche, liege dem Parlament bereits vor.

Die PiS, so der Autor, habe sich für den Schritt entschieden, da sie zu dem Schluss gekommen sei, dass sie nur noch dank einer extremen Polarisierung der Gesellschaft rund um die Migrationsfrage Chancen auf einen Wahlsieg habe. Weder die Anhebung der Familienfördermittel auf 800 PLN pro Kind, noch die Rückkehr von Kaczyński in die Regierung oder der Ausschuss zur Untersuchung russischer Einflüsse hätten sich als ausreichend erwiesen. Nicht jeder interessiere sich in genügendem Maße für Politik. Aber jedem könne man mit Bildern aus französischen Vororten Angst einjagen. Oder mit dem Mord einer Polin auf der griechischen Insel Kos, den offenbar ein Migrant verübt habe. Daher wolle die PiS eine Spaltung in diejenigen erreichen, die sich einer Überflutung Polens durch illegale Migranten widersetzen. Auf der anderen Seite würden alle anderen sein: die EU, Deutschland, Tusk und die Bürgerplattform. Oppositionsführer Tusk wolle sich indes nicht in diese Ecke drängen lassen und habe eben deswegen auch den von vielen liberalen Kommentatoren kritisierten Spot aufgenommen, in dem er der Regierung die geplanten Erleichterungen für Verdienstmigranten vorhalte und der PiS vorwerfe, Polen nicht ausreichend vor der Islamisierung zu schützen. Auch Tusk habe dabei, so wie Kaczyński, die Abkehr seiner Wähler hin zur Konfederacja stoppen wollen. Es könne sich jedoch herausstellen, dass letztendlich eben diese Partei von dem Referendum zur Migration am stärksten profitieren wird. Ihre systemfeindlichen Wähler seien zwar im Internet aktiv, aber nicht unbedingt mobilisiert genug, um ihrem Protest durch einen Urnengang Ausdruck zu geben. Aber ein Referendum zu Migranten könnte sie dazu mobilisieren, so Michał Szułdrzyński in der Rzeczpospolita.


Gazeta Polska Codziennie: Regierung Tusk hat Arm in Arm mit Berlin und Moskau die NATO-Erweiterung torpediert

Die Aufmacher der regierungsnahen Gazeta Polska Codziennie gehorchen zuletzt verlässlich dem Rhythmus der TV-Serie zur Russlandpolitik des ehemaligen Premierministers und heutigen Erzrivalen von PiS-Chef Jarosław Kaczyński, Donald Tusk. Montags erscheinen die neuen Folgen und Dienstags werden die Erkenntnisse via Aufmacher an das nationalkonservative Publikum weitergegeben. Und so erfahren wir aus der heutigen Ausgabe, dass die “Regierung Tusk Schulter an Schulter mit Berlin und Moskau die NATO-Erweiterung torpediert hat”. Wie die Zeitung auf der Titelseite erinnert, auf der Tusk händeschüttelnd mit Putin zu sehen ist, sei während des NATO-Gipfels in Bukarest im April 2008 die Frage eines Beitritts der Ukraine und Georgiens zum nordatlantischen Pakt diskutiert worden. Für die Erweiterung des Bündnisses hätten sich unter anderem die USA und Polen ausgesprochen, das während des Gipfels Staatspräsident Lech Kaczyński repräsentiert habe. Dagegen seien Deutschland, Frankreich und natürlich Russland gewesen. Wie nun aus im vierten Teil der Dokuserie “Reset” veröffentlichten “schockierenden” Dokumenten hervorgehe, habe die Position der Beitrittsgegner mit ihrem Vorgehen die polnische Regierung unter Donald Tusk unterstützt, indem sie alle Initiativen des polnischen Staatspräsidenten, die zu einem schnelleren NATO-Beitritt der Ukraine und Georgiens torpediert habe. So sei der damalige Außenminister Radosław Sikorski nicht der Bitte von Staatspräsident Lech Kaczyński nachgekommen, einen Brief, in dem Kaczyński von der Notwendigkeit eines schnellen NATO-Beitritts beider Länder spricht, über diplomatische Kanäle noch vor dem Gipfel an die internationalen Partner weiterzugeben. “Dieses Vorgehen steht im Widerspruch mit der polnischen Staatsräson und es macht Polen lächerlich”, sagt in Film der damalige Kanzleichef von Lech Kaczyński, Maciej Łopiński. Und Historiker Sławomir Cenckiewicz bezeichnet die Verzögerung bei der Versendung als Sabotage gegen die Interessen Polens, der USA, aber auch der Ukraine und Georgiens.

Ebenfalls auf der Titelseite setzt das Blatt noch einen drauf und lädt unter dem Titel “Wahlstab der Opposition in Brüssel ” zur Lektüre eines Artikels ein, in dem es darum geht, wie die polnische Opposition auf ihre Kollegen in Brüssel zählen könne. Nachdem diese es geschafft habe, Polen von den Mitteln aus dem Wiederaufbaufonds abzukoppeln, lesen wir, bereite sie für die Zeit vor den Wahlen weitere Initiativen vor, wie etwa die Aufhebung des Imports von ukrainischem Getreide, was sicherlich zu Protesten der Landwirte führen werde, so Gazeta Polska Codziennie.

Autor: Adam de Nisau