Deutsche Redaktion

"Sicherer an der Ostflanke, enttäuschte Ukraine"

12.07.2023 09:17
Polen werde nach dem Gipfel sicherer sein, die Ukraine habe auf deutlich mehr gehofft, so der Tenor der heutigen Pressekommentare zum NATO-Gipfel in Vilnius. An einem Beitritt der Ukraine zur Allianz führe laut dem Chefredakteur der Rzeczpospolita mittelfristig jedoch kein Weg vorbei. Und: Schweden wird das Bündnis in gleich mehreren Bereichen bedeutend stärken. Die Einzelheiten in der Presseschau.
Wilno, Litwa, 11.07.2023 r. Prezydent Ukrainy Wołodymyr Zełenski z małżonką Ołeną Zełenską podczas koncertu towarzyszącego szczytowi NATO
Wilno, Litwa, 11.07.2023 r. Prezydent Ukrainy Wołodymyr Zełenski z małżonką Ołeną Zełenską podczas koncertu towarzyszącego szczytowi NATOPAP/Valdemar Doveiko

Thema Nummer eins in allen Tageszeitungen ist der NATO-Gipfel in Vilnius. 

Rzeczpospolita: Sicherer an der Ostflanke, enttäuschte Ukraine

Polen werde nach dem Gipfel sicherer sein, urteilt in ihrem Aufmacher die konservativ-liberale Rzeczpospolita. Die während des Gipfels verabschiedeten regionalen Verteidigungspläne, so die Zeitung, würden unter anderem vorsehen, dass die europäischen Verbündeten 300.000 Soldaten in Bereitschaft halten werden, um sie im Falle eines Angriffs seitens Russlands an die östliche Flanke verlegen zu können. 

“Dies ist der umfassendste Verteidigungsplan seit dem Kalten Krieg”, sagte der Generalsekretär des Bündnisses, Jens Stoltenberg. Die NATO werde auch durch die Präsenz von zwei militärisch starken Staaten Nordeuropas gestärkt - Finnland, das formell dem Bündnis beigetreten sei, und Schweden, das in den nächsten Monaten eintreten sollte, nachdem die Türkei ihr Veto zurückgezogen habe.

Die NATO, so das Blatt weiter, habe auch ihre Offenheit für die Ukraine bestätigt, allerdings auf eine Weise, die Kiew nicht zufriedenstelle. Der Gipfel habe eine verstärkte militärische Unterstützung sowie Unterstützung auf dem Weg zur Mitgliedschaft angekündigt, aber keine genauen Zeitrahmen für den NATO-Beitritt festgelegt. “Das ist beispiellos und absurd”, habe Präsident Selenskyj die Deklaration gestern bezeichnet. Die fehlende formelle Einladung ins Bündnis werde Russland dazu ermutigen, den Terror zu verstärken und bei eventuellen Friedensverhandlungen erneut mit der Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO spielen, betonte der ukrainische Staatspräsident.

Rzeczpospolita: Ukraine und die NATO - ein paar Offensichtlichkeiten

Aus seiner Sicht gebe es dennoch keinen anderen Weg für die Ukraine, als die Mitgliedschaft in der Allianz, schreibt in seiner Stellungnahme der Chefredakteur der Rzeczpospolita, Bogusław Chrabota. Erstens, so der Autor, seien die Bindungen zwischen Kiew und den NATO-Hauptstädten, insbesondere Washington, zu stark geworden, als dass Kiew sich von ihnen lösen wollte oder könnte. Zweitens sei die ukrainische Armee bereits in hohem Maße mit den Armeen der NATO kompatibel. Und schließlich werde die Ukraine, nach einem Sieg im Krieg gegen Russland - woran man glauben müsse - über eine der besten Armeen der Welt verfügen. Ein solches Potenzial könne nicht ignoriert werden. Die einzige Chance, diese gefährliche Macht zu kontrollieren, bestehe darin, sie in den militärischen Pakt einzubeziehen, einer gemeinsamen Führung und strategischen Kontrolle zu unterstellen. Ohne solche Bremsen werde früher oder später der Revanchismus am Dnepr siegen - daran habe er keine Zweifel. “Will dies jemand gleich hinter den Grenzen des Bündnisses? Wir in Warschau sicherlich nicht”, so Bogusław Chrabota in der Rzeczpospolita. .

Dziennik/Gazeta Prawna: Schweden stärkt die NATO

Obwohl noch nicht genau bekannt ist, wann Schweden tatsächlich Mitglied der NATO wird, ist klar, dass der Beitritt den Bund auf mehreren Ebenen stärken wird, schreibt Maciej Miłosz vom Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna. Erstens auf militärischer Ebene. “Die Schweden arbeiten seit Jahren eng mit der NATO zusammen. Ihr Eintritt in die Organisation ist eine Formalität, die nur wenige Tage dauern wird. Es handelt sich um eine modern geführte Armee, die über eine sehr gute Ausrüstung verfügt. Sie haben eine umfangreiche U-Boot-Flotte mit fünf Schiffen. Es ist erwähnenswert, dass sie derzeit in ihrer eigenen Industrie neue Schiffe dieser Klasse bauen", erklärt Mariusz Cielma, Militärexperte der Zeitschrift “Nowa Technika Wojskowa”. “Die Schweden haben auch eine sehr umfangreiche Luftwaffe und ein Netzwerk von Radarstationen. Ihre Idee ist es, sich bei einer möglichen Invasion aus dem Osten auf den Annäherungen an ihr eigenes Territorium zu verteidigen, weit weg von ihrem eigenen Staatsgebiet", fügt er hinzu.

Ein weiterer Bereich, in dem die Schweden eine bedeutende Verstärkung für die Partner des Bündnisses darstellen werden, lesen wir weiter, sei die Rüstungsindustrie. Der Saab-Konzern sei einer der wenigen Hersteller von U-Booten und modernen Kampfflugzeugen in Europa. Erwähnenswert seien auch die Kampfpanzer CV-90, von denen die Schweden Dutzende an die Ukraine geliefert hätten, oder das hochmoderne Langstrecken-Artilleriesystem Archer. Im Bereich der Finanzierung gehöre Stockholm zwar noch nicht zu den Spitzenreitern, aber in Zukunft sollte Schweden den NATO-Richtlinien nicht hinterherhinken. Obwohl die Verteidigungsausgaben im Jahr 2021 nur 1,2 Prozent des BIP betrugen, sollen laut den politischen Erklärungen in Stockholm im Jahr 2026 2 Prozent ausgegeben werden, und bereits in diesem Jahr sollten sie mindestens 1,5 Prozent des BIP erreichen, so Maciej Miłosz in Dziennik/Gazeta Prawna. 

Autor: Adam de Nisau