Deutsche Redaktion

NATO-Gipfel ohne Durchbruch für die Ukraine

13.07.2023 13:21
Der NATO-Gipfel in Litauen ist vorbei und die Bewertungen dazu gehen auseinander. Präsident Andrzej Duda lobte das Treffen während aus der Ukraine Kritik kommt. Das Land habe sich viel mehr erhofft, doch solange Krieg in der Ukraine herrscht, kann von einer Mitgliedschaft keine Rede sein, da sind sich die Nato-Länder einig.
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Rzeczpospolita: NATO-Gipfel ohne Durchbruch für die Ukraine

Die NATO sei heute nach dem Gipfel von Vilnius in ihrer eigenen Umgebung sicherer geworden. Hunderttausende von Truppen sollen in voller Bereitschaft stehen, um einen möglichen Angriff Russlands abzuwehren, schreibt Jerzy Haszczyński in der Rzeczpospolita. An der Ostflanke sollen mehr Truppen aus westlichen Ländern stationieren. Mit Schweden soll der Pakt bald 32 Mitglieder zählen und die Ostsee zu einem Binnenmeer des Bündnisses werden.

Aus den genannten Gründen könnten NATO-Staaten auf den Gipfel in Vilnius stolz sein und ihn als historisch bezeichnen, heißt es. Dies gelte auch für Polen. Doch die Sicherheit in den eigenen Reihen reiche nicht aus. Geht es nach dem Autor, werde seine Zukunft nämlich auch jenseits der Bündnis-Grenzen im großen Krieg im Osten gestaltet.

In der Frage der Sicherheit der Ukraine habe der NATO-Gipfel in Vilnius allerdings nichts Bahnbrechendes gebracht, fährt Haszczyński fort. Die Versprechen an Kiew würden nicht über das hinausgehen, was es bis jetzt gehört habe. Man werde ihr weiterhin Militärhilfe, Finanzhilfe und Ausbildungshilfe zusagen. Diese werden jedoch wahrscheinlich immer noch nicht ausreichen, um die russischen Invasoren aus dem gesamten ukrainischen Staatsgebiet zu vertreiben. Geht es nach dem Autor bedeute dies, dass Kiew noch lange nicht von echten Sicherheitsgarantien träumen könne, die nur eine NATO-Mitgliedschaft biete.

Politisch gesehen habe sich somit seit dem NATO-Gipfel in Bukarest vor 15 Jahren nichts geändert. Auch dort habe man der Ukraine die Mitgliedschaft in der westlichen Allianz lediglich versprochen. Russland könne deshalb mit dem Ausgang des Gipfels ruhig zufrieden sein, fährt der Autor fort. Der Kreml werde nach wie vor alles tun, um eine Zukunft der Ukraine in der NATO zu verhindern. Dazu werde Moskau den Krieg auf unbegrenzte Zeit hinausziehen, heißt es abschließend. Indem man Russland erlaube, straflos seine Grenzen zu verschieben, bedeute dies keine größere Sicherheit für die westliche Allianz. Auch für diejenigen, die heute den historischen Erfolg des NATO-Gipfels von Vilnius verkünden, lautet Jerzy Haszczyńskis Fazit in der Tageszeitung.

Dziennik/Gazeta Prawna: Ukraine wird Israel niemals gleich stehen

Die Ankündigung von Sicherheitsgarantien für die Ukraine auf dem NATO-Gipfel in Vilnius sei eine gute Nachricht für Kiew, schreibt indes Zbigniew Parafianowicz für Dziennik/Gazeta Prawna. Das Modell selbst solle den Garantien ähneln, die die USA Israel gegeben haben. Der Vergleich mit dem Nahost-Modell sei nicht zufällig. Er soll die Unanfechtbarkeit und Nachhaltigkeit der Initiative unterstreichen, heißt es. Mit der Realität habe dies jedoch wenig zu tun. Nach dem NATO-Gipfel werde Kiew sehr wahrscheinlich mit einzelnen Ländern des Paktes Vereinbarungen über die Lieferung von Ausrüstung und Unterstützung im Falle eines erneuten russischen Angriffs unterzeichnen.

Die Ukraine werde aber Israel niemals gleich stehen. Und das nicht nur, weil die Ukraine im Gegensatz zu Russland oder Israel über keine Atomwaffen verfüge, schreibt Parafianowicz. Es bestehe auch eine Kluft zwischen dem, was der jüdische Staat in die globale Sicherheitspolitik der USA einbringe, und dem, was die Ukraine bieten könne. Israel liefere in vielen Fällen technologische Lösungen für die US-Streitkräfte. Für das Weiße Haus sei Tel Aviv auch kein Klientelstaat, der wirtschaftlich, politisch oder militärisch von den USA abhängig ist. Die Ukraine aber, heißt es im Blatt, würde nach dem Krieg genau einen solchen Status erhalten.

Dennoch würden Zusicherungen an Kiew ein Fortschritt beim Aufbau der Sicherheitsarchitektur in Osteuropa bedeuten. Im Gegensatz zum gescheiterten Gipfel in Bukarest im Jahr 2008 sei man sich heute bewusst, dass eine solche Architektur ohne die Ukraine niemals möglich sein werde. Man verstehe, dass die Politik, Russland nicht zu provozieren, keinen Sinn mehr mache. Wie der Autor erinnert, habe vor allem Deutschland diese Sichtweise zur Zeit von Bukarest und viele Jahre danach propagiert. Heute sehe der Westen, dass er es mit einer Diktatur zu tun habe. Moskaus DNA basiere auf der militärischen Expansion und Einschüchterung. Die einzige langfristige Lösung bestehe deshalb darin, diese Diktatur durch Konfrontation entscheidend zu schwächen, so das Blatt. Man müsse rote Linien ziehen, jenseits derer der unvermeidliche Rückschlag erfolgt. Dies müsse auch für die Ukraine gelten, schreibt Zbigniew Parafianowicz am Schluss. Jede weitere Aggression gegen dieses Land sollte mit einer sofortigen Reaktion und der gnädigen Erlaubnis, seine Toten einzusammeln, einhergehen.

Dziennik: Polen hat auf dem NATO-Gipfel seine Ziele erreicht

Nach Ansicht des ehemaligen Befehlshabers der polnischen Spezialeinheit GROM sei der NATO-Gipfel aus mehreren Gründen gelungen. Sehr wichtig sei der Durchbruch mit der Türkei und die schnelle Aufnahme Schwedens in das Nordatlantische Bündnis. Dadurch werde Polens Sicherheit in der Ostsee verbessert, betont General Roman Polko in einem Interview mit der Polnischen Presseagentur PAP.

Ein weiterer Erfolg sei die ständige NATO-Militärpräsenz in Polen. Angesichts des Vorgehens Russlands in der Ukraine werde die NATO im Falle einer Konfrontation kein Stück Land seines eigenen Gebiets von vornherein an den Aggressor abtreten, um es erst später wieder zurückzuerobern, erklärt der General. Seiner Ansicht nach, habe Polen somit seine Ziele auf dem vergangenen NATO-Gipfel erreicht. Polens Position bleibe nach wie vor stark, die Ostflanke sei gestärkt, die Ostsee werde weiter geschützt. Mit NATO-Streitkräften vor Ort würde die Landenge von Suwałki oder das Königsberger Gebiet keine so große Bedrohung mehr wie früher darstellen. Viele würden auch ihren Fehler zugeben, als sie nicht auf die Warnungen des damaligen Präsidenten Lech Kaczyński vor der neoimperialen Politik des Kremls gehört hätten. Heute habe Polen eine größere Garantie ernst genommen zu werden. Sowohl Finnland als auch Schweden würden genau wie Warschau, Russland als sehr gefährlichen Aggressor betrachten, so Polko.

In Bezug auf die Ukraine bewerte Polko, die NATO habe beschlossen, eine „sehr kluge Politik zu verfolgen, bei der Taten mehr sagen als Worte". Seiner Meinung nach, sei es schwierig, ein konkretes Datum für den Beitritt der Ukraine zur NATO zu nennen. Die Taten hingegen seien unmissverständlich. Frankreich würde bereits Mittel- und Langstrecken-Marschflugkörper mit einer Reichweite von bis zu 500 km an Kiew liefern. Deutschland wolle schwere Waffen abgeben.

Die militärischen Fähigkeiten der Ukraine würden eine NATO-Revolution durchgehen, lesen wir im Interview. Kiew erhalte eine NATO-Rüstung und ihre Einsatzstandards. Die Ausbildung ukrainischer Soldaten erfolge in NATO-Ländern, betont der ehemalige GROM-Kommandeur. Im Moment hänge alles von den Ukrainern ab. Sie allein müssten den russischen Aggressor mit den Mitteln, die sie erhalten haben, von ihrem Territorium vertreiben. Wie lange es noch dauern wird, bleibe ungewiss, so General Polko.



Autor: Piotr Siemiński