Deutsche Redaktion

"Schwierige Zeiten vor den Ukrainern"

14.07.2023 11:10
Die Schlussfolgerungen des Gipfels seien ein klares Signal für Russland. dass es sich lohnt, den Krieg fortzusetzen, urteilt der Chefredakteur der Rzeczpospolita, Bogusław Chrabota. Geht es nach dem Publizisten gebe es in dieser Situation für die Ukraine nur einen, politisch schmerzhaften Weg, um dem Beitritt zur NATO näher zu kommen. Der Verteidigungsexperten Romuald Szeremetiew sieht die Ukraine einer Rückeroberung der Krim viel näher als viele meinen. Und das Wirtschaftsblatt analysiert vor dem Hintergrund der aktuellen Umfragen drei mögliche Szenarien für die anstehenden Parlamentswahlen in Polen. Die Einzelheiten in der Presseschau mit Jakub Kukla.
Уладзімір Зяленскі Фота: Dmytro Larin/ Shutterstock

RZECZPOSPOLITA: Schwierige Zeiten vor den Ukrainern 

Kiews wichtigste Forderung, nämlich die Einladung zum NATO-Beitritt, sei nicht erfüllt worden. Doch die Koalition für die Ukraine sei gestärkt, NATO-Staaten hätten zugesagt, das kämpfende Land weiterhin mit Waffen zu unterstützen. Man habe Kiew auch versichert, dass das Beitrittsverfahren ein einstufiger Prozess sein werde, aber weder ein konkretes Datum noch die Einladung selbst seien in den Schlussfolgerungen enthalten, erinnert in seinem Kommentar nach dem Nato-Gipfel in Vilnius der Chefredakteur der Tageszeitung Rzeczpospolita, Bogusław Chrabota. In diesem Sinne habe Wolodymyr Selenskyj mit der Forderung nach solchen Erklärungen überreagiert. Und in gewisser Weise habe er verloren, obwohl man sich am Vorabend des Gipfels kaum eine andere Strategie aus Kiew habe vorstellen können, als die Erwartungen zu maximieren, lesen wir.

Wolodymyr Selenskyj verfüge über solide Unterstützung, die vor allem von Amerika garantiert werde, aber Joe Biden habe dem ukrainischen Präsidenten in Vilnius deutlich einen Schlag auf die Nase versetzt und darauf hingewiesen, dass die NATO kein Interesse daran habe, den Beitritt eines Landes, das sich im Krieg befinde, zu forcieren. Der ukrainische Präsident habe dies sehr gut verstanden und am zweiten Tag seinen Ton verändert. Insgesamt aber habe ihn der Gipfel in eine schwierige Situation versetzt.

Die Schlussfolgerungen des Gipfels seien ein klares Signal für Russland. Moskau wisse bereits, dass die Nato nicht über den Beitritt der Ukraine entscheiden werde, solange Krieg herrsche. Wenn also Russlands strategisches Ziel darin bestehe, den Beitritt zu verhindern, sei es sich jetzt bewusst, dass es ausreichen werde, den Konflikt auf die nächsten Jahre auszudehnen, selbst wenn es sich um einen Krieg auf einem begrenzten Operationsgebiet und rein symbolischer Natur handeln sollte. Russland sei darauf vorbereitet, verfüge über entsprechende Ressourcen und die nötige Ideologie, warum also nicht? – fragt Chrabota rhetorisch.

Was bleibe Kiew in einer solchen Situation übrig? Nach seiner Auffassung bestehe der einzige Weg darin, einen Kompromiss auf Kosten eines Teils des von Moskau besetzten Territoriums anzustreben. Nur so könne Kiew die Aussicht auf ein Ende des anstrengenden Krieges und Raum für Reformen gewinnen. Dies wiederum würde der Doktrin der territorialen Integrität des Staates widersprechen. Wolodymyr Selenskyj wisse das sehr gut. Auf ihn würden daher schwierige Zeiten warten. Zeiten des ewigen Manövrierens, des Aufbaus von Allianzen und der Konfrontation mit Russland, wo immer dies möglich sei. Denn nur ein wirtschaftlich und politisch geschwächter Kreml könnte loslassen und sich aus der Ukraine zurückziehen, was Selenskyj oder seinen Nachfolgern echten Erfolg bescheren würde, lesen wir in Rzeczpospolita.

SUPER EXPRESS: Selenskyj muss Druck machen

Schade, dass beim Nato-Gipfel in Vilnius nicht ausdrücklich gesagt wurde: Die Ukraine werde auf jeden Fall Mitglied des Bündnisses werden, sobald der Krieg vorbei sei, meint im Gespräch mit dem Blatt Super Express Romuald Szeremietiew, Professor an der Nationalen Verteidigungsakademie. Nach Ansicht des Experten sei Präsident Selenskyj ein harter Kerl, der wisse, was er vorhabe. Die Tatsache, dass der ukrainische Politiker noch vor dem Nato-Gipfel in Vilnius eine klare Haltung des Bündnisstaaten gefordert habe, sei verständlich und sollte Druck auf die Nato-Mitgliedsstaaten ausüben. Der eintägige Aufstand der Wagner-Gruppe unter Jewgeni Prigoschin habe nach Ansicht von Szeremietiew deutlich gemacht, dass sich Russland in einem Zustand des politischen Verfalls befinde. Die ukrainische Armee wiederum verfüge über eine hohe Moral und ein sehr gutes Kommando. Sie habe einen konkreten Plan, deshalb denke er, dass die Ukraine die Krim früher zurückerobern werde, als allgemein angenommen, sagt im Gespräch mit Super Express Romuald Szeremietiew.

DZIENNIK/GAZETA PRAWNA: Lage vor der Parlamentswahl

Die PiS verfüge über stabile Zustimmungswerte, der Partei würden aber ein paar Prozentpunkte fehlen, um das Ergebnis von 2019 zu wiederholen und alleine zu regieren. Der aktuelle Umfragedurchschnitt der Recht und Gerechtigkeit liege bei 35 Prozent und der der zweitplatzierten Partei Bürgerplattform bei 30 Prozent. Eine solche Verteilung der Unterstützung würde für die Regierungspartei im Parlament erhebliche Verluste im Vergleich zu den aktuellen Besitzverhältnissen bedeuten, und zwar 30-40 Sitze weniger, analysiert die Tageszeitung Dziennik/Gazeta Prawna.

Nachdem Andrzej Duda den Wahltermin bekannt geben werde, hätten die Parteien weniger als einen Monat Zeit, um die endgültige Entscheidung über die Form der Wahllisten zu treffen. Die großen Akteure hätten es vorerst nicht eilig, bekanntzugeben, wer grünes Licht erhalten werde. Wozu? Es sei besser, wenn in dieser Phase des Wahlkampfs alle hart arbeiten. Besonders deutlich sei dies bei der PiS-Partei zu sehen, deren Vorsitzender Jarosław Kaczyński lediglich bestätige, dass alle Parteien, die Teil der Vereinigten Rechten seien, von seinen Listen starten würden. Es stehe bislang jedoch nicht fest, wer wie viele Sitze erhalten werde.

Die Prognosen würden heute zeigen, dass im Herbst drei Szenarien möglich seien. Das erste sehe den Sieg der Opposition vor. Die gemeinsame Unterstützung der KO, des Dritten Weges und der Linken ergebe etwa 50 Prozent. Szenario Nummer zwei sei die Fortsetzung der PiS-Regierung. Die dritte Variante sei ein Unentschieden und ein politisches Nachspiel, so Dziennik/Gazeta Prawna.

Autor: Jakub Kukla