Deutsche Redaktion

Neuer Konflikt mit Brüssel in Sicht?

24.07.2023 12:48
Noch ist der Streit um die Rechtsstaatlichkeit nicht beigelegt, schon ist ein neuer Konflikt mit Brüssel in Sicht. Außerdem: Hat die Nationalbank ihre Politik dem Wahlkalender untergeordnet? Vergrößert sich die Skala der Ungleichheiten in Polen oder schrumpft sie? Und: Über die Hälfte der polnischen Arbeitnehmer nehmen auch im Urlaub Dienstanrufe entgegen. Die Einzelheiten in der Presseschau.
Ryszard Legutko: dziś Unia Europejska coraz bardziej przypomina potwora
Ryszard Legutko: dziś Unia Europejska coraz bardziej przypomina potworaJolanta Wojcicka/Shutterstock

Rzeczpospolita: Schritt in die falsche Richtung

Nationalbankchef Adam Glapinski hat vor Kurzem eine Senkung der Leitzinsen bis Jahresende signalisiert, doch der Großteil der Ökonomen sieht dafür keine Begründung, schreibt in ihrem heutigen Aufmacher die konservativ-liberale “Rzeczpospolita”.  Laut 81 Prozent der 42 vom Blatt befragten Ökonomen, so das Blatt, werde der Geldpolitische Rat die Leitzinsen um mindestens 0,5 Prozentpunkte senken. Der Rest würde ebenfalls mit einer Senkung rechnen, allerdings um 0,25 Prozentpunkte. Eine Stabilisierung der Zinssätze auf dem derzeitigen Niveau (6,75 Prozent) gelte unter den Befragten als höchst unwahrscheinlich. Gleichzeitig würden nur 10 Prozent der Umfrageteilnehmer - Ökonomen aus Banken, Thinktanks und Hochschulen - glauben, dass eine Zinssenkung in diesem Jahr (um 0,25 oder 0,50 Prozentpunkte) optimal wäre. Über 45 Prozent der Befragten seien der Meinung, dass die Zinsen auf dem derzeitigen Niveau bleiben sollten, ebenso viele glauben, dass sie sogar höher sein sollten. "Wenn man davon ausgeht, dass der Zinssatz bei 6,75 Prozent bleibt, berührt die Inflation die obere Grenze (3,5 Prozent) der zulässigen Abweichung vom Ziel bis Ende 2025. Dies sollte nicht zu Zinssenkungen führen, sondern zu einer Straffung der Geldpolitik, vorzugsweise durch eine Begrenzung des NBP-Anleihenportfolios", erklärt Kamil Sobolewski, Chefökonom der Arbeitgebervereinigung Pracodawcy RP. Die angekündigte Lockerung der Leitzinsen trotz dürftiger Grundlagen für eine solche Entscheidung, so Rzeczpospolita, führt viele Beobachter zu dem Schluss, dass der Rat sein Hauptziel der Inflationsbegrenzung auf Kosten einer Unterstützung der Wirtschaftspolitik der Regierung aufgegeben hat. Einige Beobachter sagen direkt: Der Geldpolitische Rat strebt eine Zinssenkung vor den Wahlen an, so Rzeczpospolita.

Dziennik/Gazeta Prawna: Neue Konflikt-Gefahr mit Brüssel

Droht Polen ein weiterer Konflikt mit Brüssel? Das prophezeit in seinem Aufmacher das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna. Der Grund: Geht es nach dem Blatt, hat der EU-Kommissar für Umwelt, Virginijus Sinkevičius, Briefe an das polnische Ministerium für Klima und Umwelt sowie an das Ministerium für Infrastruktur geschickt, in denen er seine Besorgnis über die Mitte Juli vom Sejm verabschiedete Änderung des Bewertungsgesetzes zum Ausdruck bringt.

Die Gesetzesänderung, so die Zeitung, soll die Durchführung strategischer Investitionen, wie z.B. den Bau von Straßen mit Bedeutung für die Verteidigung, in einem beschleunigten Verfahren - ohne öffentliche Konsultationen und zeitaufwändige Umweltprüfungsverfahren - ermöglichen. Schon zuvor hätten Opposition und Nichtregierungsorganisationen Bedenken in Bezug auf die neuen Bestimmungen geäußert. Aufgrund der geplanten Einschränkungen der öffentlichen Beteiligung an Umweltverfahren habe das Gesetz den Spitznamen "Knebelgesetz" bekommen.

Die Atmosphäre um die Einhaltung des EU-Rechts in Bezug auf wichtige Investitionen in Polen werde immer dichter. Als Folge davon, lesen wir weiter, könnte sogar die Beilegung des Streits um die Rechtsstaatlichkeit nicht ausreichen, um die Probleme mit dem Zugang zu europäischen Fonds zu beenden. Und das neue Kapitel im Rechtsstreit mit Brüssel könnte die Finanzierung des Regierungsprogramms zur Entwicklung nationaler Straßen bedrohen, so Dziennik/Gazeta Prawna. 

Dziennik/Gazeta Prawna: Die Ungleichheiten werden wachsen 

Seit Jahren präsentiert sich die PiS in den verschiedenen Wahlkampagnen als Partei des "Solidarischen Polens". Rechtfertigen die Ergebnisse ihrer Regierungszeit diese Botschaft? Dies wisse interessanterweise niemand genau, sagt in einem Interview mit Dziennik/Gazeta Prawna Prof. Michał Brzeziński von der Ökonomischen Fakultät der Universität Warschau. Denn, so Brzeziński, wenn es um die Untersuchung der Ungleichheit in der Gesellschaft gehe – sei der polnische Staat taub und blind. Er verlasse sich nur auf Umfragen und überprüfe sie nicht. Das Ausmaß der Einkommensungleichheit in Polen beschreibe einerseits die Studie des Hauptstatistikamts GUS zu Budgets von Privathaushalten und andererseits die „Europäische Studie über Lebensbedingungen“ von Eurostat. Und 2019 hätten beide Studien völlig entgegengesetzte Ergebnisse geliefert. Gehe es nach Eurostat, würden die Einkommensunterschiede in Polen schrumpfen, so dass sich das Land auf dem Niveau der egalitärsten EU-Länder wie Schweden oder Dänemark befindet. Laut GUS wiederum würden sie sich vergrößern und Polen auf einem durchschnittlichen europäischen Niveau platzieren. Studien, u.a. von Paweł Bukowski (Wirtschaftsprofessor am University College London und an der Polnischen Akademie der Wissenschaften), würden zeigen, dass die Ungleichheit in Polen sicherlich höher ist als von GUS angegeben, das sich auf Umfragen stützt. Dies liege daran, dass wohlhabendere Befragte, insbesondere Unternehmer, dem Hauptstatistikamt einfach keine Antworten geben. Daher seien Studien, die auf Steuererklärungen basieren, viel genauer. Das Finanzministerium, das über die Daten aus den Steuererklärungen verfüge, stelle sie jedoch nicht einmal Wissenschaftlern zur Verfügung, die sich mit der Ungleichheitsforschung befassen. Wenn unser Staat gut funktionieren würde, würde er versuchen, dieses Problem zu lösen, Daten aus verschiedenen Quellen – GUS-Umfragen, Steuererklärungen, der Sozialversicherungsanstalt ZUS, usw. – zu kombinieren. Dies würde ein wahres Bild der Ungleichheit in Polen zeigen, aber offensichtlich sei niemand daran interessiert. Infolgedessen seien die Daten über Trends im Bereich der Ungleichheit für die letzten Jahre, von 2015 bis heute, widersprüchlich. Was wir fast sicher wissen, sei, dass diese aufgrund der sehr hohen Inflation seit dem letzten Jahr mit hoher Wahrscheinlichkeit steige. Sicherlich sei auch das 500-Plus-Programm ein bedeutender Schritt gewesen, der verschiedene Arten von Armut und folglich auch die Ungleichheit verringert habe. Die Ausweitung dieser Leistung auf das erste Kind auch in wohlhabenderen Familien habe diese Rolle jedoch nicht gespielt. Das 500-Plus-Programm sei für etwa die Hälfte des Rückgangs der Armut nach dem Jahr 2015 verantwortlich, andere Faktoren seien der Rückgang der Arbeitslosigkeit oder der Anstieg der Löhne von gering qualifizierten Arbeitnehmern, verbunden mit dem schrumpfenden Arbeitskräfteangebot und einer alternden Bevölkerung, so Michał Brzeziński im Interview mit Dziennik/Gazeta Prawna. 

Rzeczpospolita: Mit Diensthandy in den Urlaub

Selbst im Urlaub nehmen 55 Prozent der Arbeitnehmer berufliche Anrufe entgegen, und 42 Prozent schauen in ihre Dienst-E-Mails, schreibt die "Rzeczpospolita" unter Berufung auf Daten aus dem Juli-Arbeitsmarktmonitor der Agentur Randstad. Jeder Dritte von uns, so die Zeitung weiter, habe Schwierigkeiten, die von Psychologen empfohlene längere Erholungszeit in Anspruch zu nehmen. Eine potenzielle Lösung seien sogenannte Workations: eine Kombination aus Urlaub und Arbeit. Laut einer Umfrage von Komputronik im Juni hätten 29 Prozent der Wissensarbeiter dieses Modell als Idee für ihren diesjährigen Urlaub in Betracht gezogen, fast jeder Fünfte von ihnen sei bereits entschlossen gewesen, es umzusetzen, so Rzeczpospolita. 

Autor: Adam de Nisau