Deutsche Redaktion

Infragestellung von Staatsgrenzen: "Orbán wie Putin"

26.07.2023 13:22
Die Aussagen von Orbán seien in Europa jedoch irgendwie ohne Echo geblieben, so als ob sie nicht in kyrillisch geschrieben worden seien, beobachtet der Publizist der Gazeta Wyborcza, Bartosz Wieliński. Obwohl ihr Wahlprogramm eine Verneinung der modernen Welt darstelle, zieht die nationalkonservative Konfederacja viele enttäuschte junge Wähler an. Und: Weniger Polen verbringen ihren Urlaub im Inland. Die Einzelheiten in der Presseschau.
Viktor Orban oskarża Zachód o gorączkę wojenną
Viktor Orban oskarża Zachód o "gorączkę wojenną"photocosmos1/shutterstock

Gazeta Wyborcza: Orbán wie Putin. Was sagt Kaczyński dazu?

In nur einer Woche haben gleich zwei Staatsoberhäupter von in Europa liegenden Ländern die Grenzziehungen benachbarter Länder in Frage gestellt, beobachtet der Publizist der linksliberalen Gazeta Wyborcza, Bartosz Wieliński. Zuerst, erinnert der Autor, habe Wladimir Putin verkündet, dass Polen einen Teil seines Territoriums als "Geschenk Stalins" erhalten habe und gedroht, Polen daran zu erinnern. Wenige Tage später habe Ungarns Premierminister Viktor Orbán die Slowakei als "abgetrenntes Territorium" bezeichnet.

Die Metaphern, die Putin und Orbán verwendet hätten, lesen wir weiter, seien offensichtlich. "Stalins Geschenk" beziehe sich auf die westlichen Gebiete, die Polen nach 1945 im Gegenzug für die verlorenen östlichen Grenzgebiete zuerkannt worden seien. "Abgetrenntes Territorium" hingegen, erinnere an die Zeiten, in denen die Slowakei Teil des Königreichs Ungarn gewesen sei. 

Die Infragestellung von Staatsgrenzen, so Wieliński, könne als Auftakt zu einem Krieg gesehen werden. Daher habe die zivilisierte Welt auf Putins Aussage mit Empörung reagiert. Der deutsche Verteidigungsminister, Boris Pistorius habe Putin sofort daran erinnert, dass Deutschland bereit sei, Polen gegen jedwede Aggression zu verteidigen, da beide Länder NATO-Verbündete seien. Die von Putin angesprochenen Gebiete, so Wieliński, seien schließlich vor dem Zweiten Weltkrieg Teil von Deutschland gewesen. Berlin habe jedoch die Grenze an der Oder und Neiße vor langer Zeit anerkannt und wünsche sich keine Zweideutigkeiten in dieser Angelegenheit.

Die Aussagen von Orbán seien in Europa jedoch irgendwie ohne Echo geblieben, so als ob sie nicht in in kyrillisch geschrieben worden seien, beobachtet Wieliński. Dabei hätte man das Umgekehrte erwarten können. Es seien Putins Drohungen, die in Europa eher Gleichgültigkeit hervorrufen sollten. Er habe schließlich schon so oft gedroht. Seine Armee stecke in der Ukraine fest und seine Macht wackle seit dem Putschversuch von Prigozhin. Derweil stehe Orbán an der Spitze eines EU-Landes. Und nicht nur habe er die Beziehungen zu Russland nicht abgebrochen und behindere wo nur möglich die Unterstützung für die Ukraine. Er trete auch immer entschiedener in Putins Fußstapfen. 

Es gehe nicht mehr nur um den Kampf gegen die Zerstörung der Rechtsstaatlichkeit, die Zustimmung zur grassierenden Korruption oder den Kampf gegen Minderheiten. Orbán habe de facto die Souveränität eines Nachbarlandes in Frage gestellt. 2008, erinnert Wieliński, habe Putin gesagt, die Ukraine sei kein Staat, sondern ein künstliches Gebilde. Orbán indes habe die Slowakei zu einem abgetrennten ungarischen Territorium degradiert. Der Unterschied sei gering, so Wieliński.

Ähnlich wie Putin, teste Orbán ständig die Grenzen, die er überschreiten könne. Die EU habe bisher ein Auge auf die Verletzung ihrer grundlegenden Prinzipien durch Ungarn zugedrückt. Das korrupte System von Orbán sei das Ergebnis der Feigheit europäischer Politiker, die nicht auf den Abbau der ungarischen Demokratie reagiert hätten. Was würde die EU jetzt tun, wenn Orbán beginne, sich mit den Nachbarländern zu beschäftigen? Die EU sei schließlich geschaffen worden, um der Infragestellung von Grenzen in Europa ein Ende zu setzen.

Und was sei mit Orbáns polnischen Verbündeten? Jarosław Kaczyński beschuldige ständig seine politischen Gegner im In- und Ausland, Verbindungen zu Putin zu haben. Orbán scheine er dagegen zu verschonen. Warum wohl?, fragt Bartosz Wieliński in der Gazeta Wyborcza. 

Rzeczpospolita: Neue (und einfache) Hoffnung

Ebenso wie die hohen Umfragewerte der AfD den Beobachtern in Deutschland Sorgen machen, so bereitet auch die steigende Popularität der nationalkonservativen Konfederacja in Polen im Vorfeld der Parlamentswahlen den Kommentatoren Kopfzerbrechen. Das Wahlprogramm der Partei stelle eigentlich eine vollkommene Verneinung der aktuellen globalen Realität dar, da es eine einfache Sichtweise auf komplexe Themen vertritt, schreibt dazu in der Rzeczpospolita der Publizist und Politologe Kamil Sikora. Erstaunlicherweise, so der Autor, steige die Partei trotz ihres unrealistischen und naiven Wahlprogramms in den Umfragen an. In direkten politischen Auseinandersetzungen würden ihre Politiker zwar verloren wirken, doch für die Wähler werde dies im Oktober keine Rolle spielen. Stattdessen werde es vor allem auf die Emotionen ankommen, die die Politiker und ihre Worte bei den Wählern auslösen.

Er persönlich sehe die Ursachen für die hohen Umfragewerte der Konfederacja vor allem in der Enttäuschung der jungen Generation über das bestehende politische System. Die von der Partei vorgeschlagenen Änderungen würden stark in Richtung Individualismus und Minimalstaat tendieren, nach dem Motto: “Wenn der Staat versagt, dann brauchen wir weniger Staat. Die staatliche Gesundheitsversorgung funktioniert nicht? Dann organisieren wir private Gesundheitsfürsorge. Die Sozialversicherung ist eine finanzielle Pyramide? Schaffen wir sie ab und lassen wir jeden für sich selbst sparen.”

In dieser vereinfachten Vision der Welt gebe es keinen Platz für gesundheitliche Probleme, für mangelnde Chancengleichheit. Was zähle, sei Individualismus. Und paradoxerweise funktioniere diese Geschichte. Junge Menschen würden fühlen, dass der Staat für sie kein Angebot habe. Aber anstatt nach Lösungen auf der institutionellen Ebene zu suchen, biete die Konfederacja einen Rückzug in den Individualismus und Minimalstaat an. Liberalismus zum Quadrat, garniert mit patriotisch-konservativer Soße, solle das Rezept für die Übel der heutigen Zeit sein.

Obwohl die Partei noch weit davon entfernt ist, die Macht zu übernehmen, werde ihr Aufstieg für ein politisches Erdbeben in den Wahlen im Oktober allemal ausreichen, so Kamil Sikora in der Rzeczpospolita. 

Rzeczpospolita: Weniger Polen verbringen ihren Urlaub im Inland

Aufgrund der hohen Preise verbringen immer mehr polnische Touristen ihren Urlaub im Ausland oder kürzen ihre Aufenthalte, schreibt in ihrem Aufmacher die konservativ-liberale Rzeczpospolita. Diese Schlussfolgerung ergebe sich aus Untersuchungen des Unternehmens Selectivv, die auf den Protokollen von Mobiltelefonen während der ersten drei Ferienwochen basieren. Demnach sei die Zahl der Touristen in den drei untersuchten "Touristengürteln" im Vergleich zum Vorjahr um 5 Prozent bei Aufenthalten von mehr als einem Tag und um 3 Prozent bei Tagesausflügen gesunken. Regionen am Meer hätten mit einem Rückgang von 8 Prozent stärker gelitten als Bergregionen, die einen Rückgang von 5 Prozent verzeichneten. Das einzige Gebiet, das einen jährlichen Zuwachs verzeichnet habe, sei Schlesien.

Darüber hinaus, so die Zeitung, würden die Touristen für kürzere Zeiträume bleiben, meistens vier bis fünf Tage. "Das Verhalten der Touristen ändert sich. Sowohl in den Bergen als auch am Meer beobachten wir einen größeren Rückgang der Aufenthaltsdauer als der Touristenzahl", erklärt der CEO von Selectivv, Aleksander Luchowski. Zudem würden die Touristen häufiger Orte wählen, die nicht als Kurorte gelten und daher billiger seien. Auch die Waldbrände in Südeuropa würden die Situation nicht retten. "Wir haben nur eine Stornierung verzeichnet", sagt Jarosław Kałucki vom Reiseportal Travelplanet.pl im Gespräch mit Rzeczpospolita.

Autor: Adam de Nisau