Deutsche Redaktion

"Die Bedrohung aus “Wagnergrad”"

31.07.2023 13:15
Wird die Regierungspartei die Sonderkommission zu Untersuchung russischer Einflüsse in ihrer abgemilderten Form aktivieren, oder übersteigen die Risiken nun die potentiellen politischen Nutzen des Ausschusses? Wie können die Wagner-Söldner, trotz mangelnder Ausrüstung, Polen gefährlich werden? Ist die NATO auf False-Flag-Provokationen vorbereitet? Und: Wieso bittet Warschau die internationalen Partner nicht um Unterstützung? Die Einzelheiten in der Presseschau.
Gen. Polko: Grupa Wagnera została przesunięta w kierunku przesmyku Suwalskiego po to, żeby koncentrować na sobie uwagę Zachodu
Gen. Polko: Grupa Wagnera została przesunięta w kierunku przesmyku Suwalskiego po to, żeby koncentrować na sobie uwagę ZachoduSTRINGER / Reuters / Forum


Rzeczpospolita: Lex Tusk 2.0 oder die Jagd auf den Hasen

Der Sejm hat das Senats-Veto gegen die Einrichtung der umstrittenen Kommission zur Untersuchung russischer Einflüsse überstimmt. Doch bedeute dies, dass die Kommission tatsächlich in Aktion treten werde? Nicht unbedingt, schreibt in der heutigen Ausgabe der Publizist der Rzeczpospolita, Tomasz Pietryga.

Wie der Autor erinnert, habe das Parlament die Änderungsvorschläge von Staatspräsident Andrzej Duda angenommen, die dem Gesetz gewissermaßen die Zähne ausschlagen würden. So würde etwa das ursprünglich vorgesehene Verbot der Bekleidung von öffentlichen Ämtern für Politiker, die Russland zu nahe standen, verschwinden. Zudem sei es nun auch möglich, die Entscheidungen der Kommission vor einem allgemeinen Gericht anzufechten. Schließlich sei auch die Teilnahme von aktiven Politikern an den Arbeiten der Kommission ausgeschlossen worden

Jetzt, so der Autor, stelle sich die Frage, ob die PiS sich entscheiden werde, die Kommission zu aktivieren, oder ob wir es eher mit einem politischen Theater zu tun hätten, in dem es darum gehe, den Hasen zu jagen, ihn aber nicht zu fangen. "Ich würde auf Letzteres setzen", schreibt Pietryga. Denn Jarosław Kaczyński sei sich bewusst, dass die Kosten eines solchen Schrittes die Gewinne übersteigen könnten. Es gebe schließlich nichts Schlimmeres in der Politik, als den Hauptkonkurrenten zum Märtyrer zu machen, und genau das würde eine Vorladung von Ex-Premier und Oppositionsanführer Donald Tusk vor die Kommission nach sich ziehen. Die Opposition würde dies sicherlich zum Hauptmotiv des Wahlkampfs machen. Und die PiS habe bereits eine Kostprobe erhalten, was dies bedeuten würde, als sich im Juni zur von der Bürgerplattform organisierten Kundgebung hunderttausende Menschen in Warschau versammelt hätten. Viele von ihnen seien zweifellos auch durch die Unterzeichnung des Gesetzes über die Sonderkommission durch den Präsidenten eine Woche zuvor zur Teilnahme veranlasst worden.

Stellungnahmen internationaler Organisationen wie der Venedig-Kommission oder der OSZE dagegen, würden die Entscheidung der Regierungspartei sicherlich nicht beeinflussen, von Kritik aus Brüssel ganz zu schweigen. Eine scharfe Reaktion von Seiten der USA sei auch nicht zu erwarten. Denn Staatspräsident Andrzej Duda habe indirekt zugegeben, dass die Reaktionen ausländischer Partner, das heißt vor allem die von Washington, seinen Entwurf zur Milderung des ursprünglichen Gesetzes über die Sonderkommission beeinflusst hätten.

Darüber hinaus habe die PiS dafür gesorgt, dass die richtige Erzählung im Raum stehe. Die Dokumentarserie "Reset", die im öffentlichen Fernsehen ausgestrahlt werde und Tusks Unterwürfigkeit gegenüber Putin beweisen solle, urteilt Pietryga, diene nicht nur dazu, die eigene Wählerschaft zu mobilisieren, sondern auch die Glaubwürdigkeit des Bürgerplattform-Chefs in den Augen des größten Verbündeten zu untergraben. Das häufige Zitieren amerikanischer Dokumente und Aussagen von einflussreichen Personen in der US-Verwaltung in dieser Serie sei kein Zufall, urteilt Pietryga.

Jarosław Kaczyński werde daher wahrscheinlich die Jagd auf den Hasen wählen. Und die internationale Situation mache es für ihn insofern einfacher, da das Auftauchen der Wagnerianer in der Nähe der polnischen Grenze erneut das Thema Sicherheit im Wahlkampf hervorhebe. In Zeiten der Bedrohung sammle sich das Volk um die Burg, so Tomasz Pietryga in der Rzeczpospolita.


Dziennik/Gazeta Prawna: Die Bedrohung aus “Wagnergrad”

Stichwort Wagner-Gruppe: In einer Analyse für das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna nimmt der Journalist Zbigniew Parafianowicz die potentielle Bedrohung durch die Wagner-Söldner für Polen ins Visier. Und kommt zu dem Schluss, dass die Destabilisierung der polnisch-belarussischen Grenze kurz vor den Parlamentswahlen ein reales Szenario ist. Die Gruppe, so Parafianowicz, habe infolge des Putschversuchs offenbar ihre schweren Waffen an das russische Verteidigungsministerium abgeben müssen und müsse sich nun auf leichteren Fahrzeugen stützen. Der Stützpunkt der Söldner befinde sich in der im Zentrum von Belarus gelegenen Stadt Ceł, wo bereits einige tausend Wagnerianer in renovierten sowjetischen Gebäuden untergebracht sein könnten. Ceł, so Parafianowicz, sei inzwischen inoffiziell in "Wagnergrad" umbenannt worden.

Premierminister Mateusz Morawiecki habe, wie der Autor erinnert, davor gewarnt, dass die in Belarus stationierte Wagner-Gruppe eine hybride Angriffstaktik anwenden könnte, indem sich die Söldner als weißrussische Grenztruppen verkleiden und illegalen Migranten helfen, nach Polen zu gelangen, beziehungsweise selbst die Grenze überqueren, um das Land zu destabilisieren. Dies sei eine reale Gefahr, schreibt der Autor. Und erinnert, dass nach Recherchen des Blattes, der belarussische Grenzkorps, im Jahr 2021, auf dem Höhepunkt der Migrationskrise, mindestens drei Mal in den Grenzstreifen zwischen Polen und Belarus, vielleicht gar auf polnisches Staatsgebiet eingedrungen sei. In naher Zukunft könne die Einheit ähnliche Aktionen von Wagner-Söldnern unterstützen, die sich hinter lebenden Schutzschilden, also Migranten, verstecken. Die polnische Seite erwarte auch subversive Aktionen im Suwalki-Korridor selbst, möglicherweise auch unter der Deckung von Migranten.

Eine weitere Bedrohung, so Parafianowicz, stelle die potentielle Rekrutierung von Weißrussen durch die Wagner-Gruppe, die ohne offizielle Beteiligung durch Belarus gegen die Ukraine kämpfen könnten. In der Vergangenheit habe dies die private und mit Prigozhin in Verbindung stehende belarussische Militärfirma namens Guard Service versucht, die allerdings nie zufriedenstellende Personalbestände habe erreichen können, so Parafianowicz.


Gazeta Polska Codziennie: Ist die NATO auf False-Flag-Provokationen vorbereitet?

Die Präsenz der Wagner-Gruppe nahe der Grenze zu NATO-Ländern werfe die Frage auf, ob die NATO vollständig vorbereitet ist, Artikel 5 zur kollektiven Verteidigung zu aktivieren, falls die Grenzen von Litauen, Lettland oder Polen von einer Formation angegriffen werden, die weder Russland noch Belarus anerkennen wollen, sagt im Interview mit der nationalkonservativen Gazeta Polska Codziennie der Verteidigungsexperte, Prof. Piotr Grochmalski. "Wir haben das Agieren unter fremder Flagge bereits vor einigen Jahren auf der Krim und früher in Aktionen gegen Georgien gesehen", so Grochmalski. Es sei klar ersichtlich, dass die Russen versuchen werden, die NATO zu schwächen und zu testen. "Im Moment versucht Russland, die NATO im Kontext der Aktionen der Wagner-Gruppe zu testen", betont der Experte.


Gazeta Wyborcza: Wozu spielt Morawiecki mit den Wagnerianern?

Und Bartosz Wieliński von der linksliberalen Gazeta Wyborcza wirft Premierminister Mateusz Morawiecki vor, die Wagner-Gruppe zynisch und verantwortungslos für Wahlkampfzwecke nutzen zu wollen. Wie sonst, fragt der Autor, lasse sich die Tatsache erklären, dass der Regierungschef vor allem bei Wahlkampf-Picknicks über die von den Söldnern ausgehende Gefahr spreche? In Litauen, das nur 2,8 Millionen Einwohner zähle, verliere niemand die Nerven. In Lettland auch nicht. Und wenn die Gefahr tatsächlich so groß sei, wieso sei der Nationale Sicherheitsrat nicht zusammengekommen, um alle Gruppierungen über die Situation zu unterrichten? Wieso habe Polen nicht von Artikel 4 der NATO Gebrauch gemacht, der es Bündnisstaaten ermögliche, im Falle einer Bedrohung mit den Verbündeten über die Lage zu beraten? Wieso sei die EU nicht alarmiert und die Frontex nicht aufgefordert worden, den polnischen Grenzschutz zu unterstützen? Die Regierung habe 500 Polizeibeamte an die Grenze geschickt. Zum Vergleich: Die Eröffnung des Kanals am Frischen Haff durch PiS-Chef Kaczyński vor einem Jahr hätten doppelt so viele Beamte beschützt. All das lege die Frage nahe, ob es sich bei der Panikmache nicht um “politisches Gold” handle, das die Kampagne der Regierungspartei beleben soll. Oder um einen Vorwand, um aufgrund der Gefahr im Osten den Ausnahmezustand einzuführen und die Wahlen abzublasen, so Bartosz Wieliński in der Gazeta Wyborcza.

Autor: Adam de Nisau