Deutsche Redaktion

"Auch Daniel Freund hat ein Problem mit Polen"

24.08.2023 08:00
Die aktuelle Linie deutscher Politiker gegenüber Polen ist präzedenzlos und steht im Widerspruch zu den Grundlagen der Europäischen Union, schreibt der EU-Abgeordnete der Regierungspartei Ryszard Czarnecki im Wochenblatt Do Rzeczy. Und: Hat Deutschland die Kriegsverbrechen aus dem Zweiten Weltkrieg tatsächlich aufgearbeitet? Die Einzelheiten in der Presseschau.
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DO RZECZY: Auch Daniel Freund hat ein Problem mit Polen

Nach Manfred Weber und Michael Gahler habe ein weiterer deutscher Politiker und Europaabgeordneter zum politischen und finanziellen Kampf gegen Polen aufgerufen. Doch anders als die CSU-CDU-Politiker Weber und Gahler sei Daniel Freund ein Politiker der Grünen, also einer Partei, die die aktuelle Bundesregierung bilde, schreibt in einem Gastbeitrag für die Wochenzeitschrift Do Rzeczy der EU-Abgeordnete der Regierungspartei PiS, Ryszard Czarnecki. Der Politiker, erinnert der Autor, habe in einem Interview dazu aufgerufen, nicht nur Gelder aus dem Wiederaufbaufonds wegzunehmen, sondern vor allem keine Mittel aus der sogenannten siebenjährigen EU-Haushaltsperspektive nach Polen zu transferieren. Freund sei nicht der erste und wahrscheinlich nicht der letzte Deutsche oder Europaabgeordnete, der sich so verhalte, schreibt das Blatt weiter. Diese Aussage spiegele aber die Haltung der deutschen politischen Klasse gegenüber Polen wider. Wie man sehe, jenseits politischer Spaltungen.

Als Historiker der europäischen Integration sei er, so Czarnecki, der festen Überzeugung, dass es in der Geschichte der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl EWG-EU noch nie eine solche Situation gegeben habe. Zwar seien in zwei Ländern Regierungen gestürzt: die von Berlusconi in Italien und die von George Papandreou in Griechenland. Beides hätten Angela Merkel und Nicolas Sarkozy inspiriert und de facto durchgeführt. Allerdings habe es sich damals um kurzlebige und wirksame Erpressungen gehandelt, woraufhin Rom und Athen kapituliert hätten.

Polen dagegen stehe mittlerweile seit fast siebeneinhalb Jahren unter Druck. Mehr oder weniger, seit Premierministerin Beata Szydło im Europäischen Parlament kritisiert worden sei. Seitdem hätten in Polen Europa-, Parlaments- und Präsidentschaftswahlen stattgefunden und alle drei habe – trotz des Drucks der EU – das konservative Lager gewonnen. Dass die Polen trotzig seien, sei das Eine. Dass dieses Artilleriefeuer aus dem Westen eine hilfreiche Rettungsleine für die polnische Opposition sei, sei das Zweite. Der dritte Punkt sei jedoch vielleicht der wichtigste: was die EU-Institutionen jetzt tun würden, stehe völlig im Widerspruch zum Subsidiaritätsgedanken aus der Soziallehre der katholischen Kirche, die eine Grundlage für die formelle Einigung Europas gebildet habe. Allem Anschein nach störe dies aber niemanden in Brüssel, so Ryszard Czarnecki in der Wochenzeitschrift Do Rzeczy.

Tysol.pl: Kann der Täter entscheiden, wer Opfer war?

In einem ausführlichen Interview für das Portal tysol.pl spricht Magdalena Gawin, ehemalige Kultur-Vizeministerin und Chefin des Pilecki-Instituts über die deutschen Versuche, die Schuld an den Verbrechen des Zweiten Weltkriegs von sich zu weisen. Ein Element dieser Versuche bestehe laut Gawin darin, Polen als ein Land darzustellen, das nicht Opfer des Krieges gewesen sei und dessen Bürger auch Massenverbrechen gegen Juden begangen haben sollen.

Geht es nach Magdalena Gawin, sei die Annahme, dass Deutschland seine Verbrechen aus Kriegszeiten aufgearbeitet habe, falsch. Nach Ansicht der Direktorin habe Deutschland Kriminelle vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt und das gesamte Justizsystem, das durch die Verfassung von 1950 geschaffen worden sei, habe eben diesem Zweck gedient. Solange die alliierten Ländern die Verwaltungsgewalt ausgeübt hätten, habe man Nazi-Verbrecher vor Gericht gestellt. Nach dem Abzug der Alliierten habe sich die Situation jedoch dramatisch geändert. Das Strafsystem sei so aufgebaut worden, dass eine Bestrafung der Ausführung krimineller Befehle unmöglich gewesen ist. Dafür habe das Bundesgericht gesorgt, das entschieden habe, dass eine Verurteilung nur dann möglich sei, wenn dem Angeklagten eine persönliche Schuld nachgewiesen werde, beispielsweise, dass der Mord rassistisch motiviert gewesen sei, sagt die Leiterin des Pilecki-Instituts. Und weist darauf hin, dass die Daten eine klare Sprache sprechen würden: 1949 habe es 1.476 Verurteilte wegen Kriegsverbrechen gegeben, 1955 bereits 15, und 1960 weitere 16. Massenvernichtungen etwa seien nicht als Kriegsverbrechen, sondern als Tötungsdelikte eingestuft worden. Deutsche Soldaten oder Polizisten, die Strafbefehle ausgeführt hätten, seien freigesprochen worden, da sie laut den Richtern keinen Entscheidungsspielraum gehabt hätten. Deutsche Staatsanwälte hätten die Ermittlungen zu Massen- und Einzelmorden an Polen in den meisten Fällen eingestellt oder gar nicht erst eingeleitet.

Derzeit, fährt die Historikerin fort, gebe es in Deutschland vier Kategorien von Opfern im öffentlichen Raum: Juden, Roma und Sinti, Opfer der NS-Eugenik und Homosexuelle. Es gebe auch Diskussionen darüber, diese Liste um die Zeugen Jehovas zu ergänzen. Deutschland entscheide auf Landesebene, wer Opfer von NS-Verbrechen gewesen sei. Dabei handle es sich um nationale, ethnische, religiöse, sexuelle Minderheiten oder Opfer der NS-Eugenik. Aber es gebe keine Nationen, die vor dem Krieg einen eigenen Staat hatten, wie die Polen. Dies mache Gespräche über die Vergangenheit nicht einfacher, so Gawin im Gespräch mit tysol.pl.

 Autor: Jakub Kukla