Deutsche Redaktion

"Morawiecki in der Schule"

06.09.2023 12:14
Premierminister Mateusz Morawiecki zieht mit einem Post, in dem er die Privatschule seiner Tochter präsentiert, die Kritik und den Spott oppositionsnaher Medien auf sich. Bartosz Bartczak von der nationalkonservativen Gazeta Polska Codziennie prophezeit, dass das 21. Jahrhundert als eine Ära Polens in die Geschichte eingehen wird. Und: Die russische Wirtschaft scheint sich, trotz Sanktionen, von den Kriegsverlusten zu erholen. Die Einzelheiten in der Presseschau.
Prime Minister Mateusz Morawiecki (centre) attends the opening of the new academic year at an elementary school in Rokiciny near the central city of Łódź on Monday.
Prime Minister Mateusz Morawiecki (centre) attends the opening of the new academic year at an elementary school in Rokiciny near the central city of Łódź on Monday.Photo: PAP/Marian Zubrzycki

Gazeta Wyborcza: Morawiecki in der Schule

Vor dem Hintergrund des Schuljahresbeginns steht dieser Tage die Schulauswahl von Premierminister Mateusz Morawiecki für seine Tochter im Fokus der linksliberalen und oppositionsnahen Medien. Anlass ist ein Social-Media-Post, den der Regierungschef selbst veröffentlicht hatte. „Wir haben ebenfalls das neue Schuljahr begonnen... Meine Kleine, vergiss nicht, dass du dich immer auf mich verlassen kannst, insbesondere in Mathematik und später in HiT (Geschichte und Gegenwart)“ – habe Premier Mateusz Morawiecki in den sozialen Netzwerken geschrieben und die Schule seiner Tochter präsentiert, erinnert in der Gazeta Wyborcza die Publizistin Małgorzata Kozubik. Das Problem: Es sei keine lokale, öffentliche Schule, sondern eine private Einrichtung, die von den Nazarethschwestern geleitet werde. Eine Grundschule mit zweisprachigen Klassen sowie ein Gymnasium mit einem internationalen Abiturprogramm. Die Grundschule würde jährlich 13-14 Tausend Zloty kosten, das Gymnasium hingegen je nach Programm bis zu 28,5 Tausend Zloty.

Doch, so die Autorin, hier gehe es nicht um den Preis, sondern darum, dass Morawiecki, der die Regierung anführe, uns allen gezeigt habe, dass er kein Vertrauen in das öffentliche Bildungssystem habe, dessen Gesicht Bildungsminister Przemysław Czarnek sei. Der Premier habe gezeigt, dass das Private besser sei. Nicht nur sein Kind würde außerhalb des Systems stehen, Tausende würden Jahr für Jahr aus ihm fliehen.

Morawiecki, lesen wir weiter, habe das Schuljahr in einer normalen Grundschule in Rokiciny im Bezirk Łódź eröffnet. Es habe leere Phrasen gegeben wie „Kinder sind die Zukunft, wir werden auf die Entwicklung des Bildungswesens setzen“. Warum also halte der Premierminister sein Kind von dieser fortschrittlichen Schule fern? Weil die Kinder der gewöhnlichen Polen nicht mit kleinen Klassen (bei den Nazarethschwestern bis zu 20 Schüler) und einem Reichtum an zusätzlichen Aktivitäten rechnen können, darunter Musikunterricht, Computergrafik, Cross Kids, Wissenschaftsklubs, Robotik, Judo, und Theatergruppen.

„Wir wissen, wie wichtig professionelle psychologische und pädagogische Unterstützung ist“ - habe der Premierminister in Rokiciny gesagt und Tausende von Stellen für Spezialisten versprochen. Er, so Kozubik, könne auch eine Million versprechen. Was nütze das, wenn 450 Gemeinden in Polen keinen Schulpsychologen hätten und mehr als 27 Prozent der Stellen in Schulen nicht besetzt seien?

Dies sei jedoch nicht die Sorge des Premierministers, die Schule seiner Tochter würde einen Sprachtherapeuten, Psychologen, Pädagogen, Soziotherapeuten, einen Therapeuten für Sensorische Integration und eine Krankenpflegerin anbieten. Bei den Nazarethschwestern würde man die Vertiefungsfächer erst in der zweiten Klasse wählen und die Fächer können nach Belieben kombiniert werden. Die diesjährigen Achtklässler, die aufgrund der Abschaffung der Mittelschulen durch die Regierungspartei PiS bereits einen Bildungsweg wählen müssten, hätten an der Schule des Premierministers viel mehr Zeit erhalten, um zu prüfen, ob sie mehr an Mathematik oder Geschichte interessiert seien oder vielleicht doch Chemie erweitern möchten.

In öffentlichen Schulen, fährt die Autorin fort, hätten die Klassen sogar bis zu 36 Schüler, und der Unterricht dauere bis 19 Uhr oder beginne um 7 Uhr morgens. Es fehle an Mathematiklehrern, Englischlehrern und Informatiklehrern. Sonderschulpädagogische Unterstützung müsse erkämpft werden. Die Aufenthaltsräume seien laut, weil sie überfüllt seien, genauso wie die Programme, dafür fehle es an Kopierpapier und Platz zum Mittagessen, weil die Kantinen, aufgrund der Kumulation der Jahrgänge, in Klassenzimmer umgewandelt worden seien.

Der Unterschied bestehe darin, dass unsere Kinder all dem die Stirn bieten müssen, während der Mann, der das Gesicht der für diese Situation verantwortlichen Regierung sei, sich leicht aus dem Schlamassel herauswinden könne, den die PiS-Regierung in der Bildung geschaffen habe. Und er würde sich sogar damit brüsten. Schamlos, so Małgorzata Kozubik in der Gazeta Wyborcza. 

Gazeta Polska Codziennie: Die Wahl eines großen Polens

Wer sich, nach dieser grauen Vision des polnischen Schulwesens, die Stimmung verbessern möchte, der ist mit der Lektüre der nationalkonservativen Gazeta Polska Codziennie gut beraten. In einem Feuilleton unter dem Titel “Die Wahl eines großen Polens” stellt Publizist Bartosz Bartczak in der heutigen Ausgabe die These auf, dass das 21. Jahrhundert als Polens Ära in die Geschichte eingehen könnte. Vorausgesetzt natürlich, die Polen seien dafür bereit, bei den Parlamentswahlen im Oktober die richtige Entscheidung zu treffen. 

Das 19. Jahrhundert, so Bartczak, habe Großbritannien und Frankreich gehört, das 20. Jahrhundert den USA und Deutschland.  „Gemäß der geographischen Logik sollte, zumindest in Europa, das 21. Jahrhundert Polen gehören. Und vieles deutet darauf hin“, urteilt der Autor und betont, dass Polen „in einem wirklich atemberaubenden Tempo“ wächst, wobei die Entwicklungen Chinas die einzigen sind, die mit diesem Wachstum konkurrieren könnten. 

Die Polen selbst, lesen wir weiter, seien überrascht über den wachsenden Einfluss ihres Landes. Schließlich hätten die "Gazeta Wyborcza" und TVN sie jahrzehntelang davon überzeugt, dass wir die "hässliche Braut im Wartesaal" sind, den “stärkeren und reicheren Ländern” gehorchen und auf Knien für Almosen danken müssen. Diese Haltung sei auch damit begründet, dass Polen über Jahrhunderte ein Randgebiet gewesen sei. Doch die Geschichte, so Bartczak, habe oft gezeigt, dass große Mächte aus den Peripherien hervorgehen. “Wer hätte nach den Niederlagen der Preußen im frühen 19. Jahrhundert erwartet, dass sie zwei Generationen später Deutschland vereinen würden? Ebenso unerwartet war der Aufstieg von Japan, Südkorea und China zu technologischen Führern innerhalb von zwei Generationen seit den 1950er Jahren”, so Bartczak. 

Polen, lesen wir weiter, habe alle Voraussetzungen, eine neue regionale Macht zu werden, vor allem wegen der positiven sozialen Bedingungen im Land. Die Bevölkerung sei relativ homogen und gut ausgebildet, insbesondere in technischen und informatischen Bereichen. Die demografischen Probleme könnten durch die Einwanderung aus der Ukraine und Weißrussland gelöst werden. Die Unternehmer seien ehrgeizig und erprobt im Umgang mit schwierigen Situationen. Und die Polen würden nach mehr streben: Sie wollen ihr Vermögen vermehren, Häuser bauen, neue Autos und Fernseher kaufen, Reisen unternehmen und gut essen. “Dieser Ehrgeiz und das Streben nach Wohlstand sind einer der wichtigsten Faktoren für das wirtschaftliche Wachstum”, schreibt Bartczak. Schließlich seien, unter anderem dank den Hilfsprogrammen der letzte Jahre, auch die Ungleichheiten relativ gering. 

Doch Deutschland und Russland, fährt der Autor fort, würden sich nicht einfach damit abfinden, dass ein Land, das über Jahrhunderte zerstört wurde, letztendlich mächtiger sein könnte, als sie. Berlin und Moskau würden daher gemeinsame Anstrengungen unternehmen, um Polens Entwicklung zu bremsen, unter anderem mit Hilfe der Klimapolitik und des damit verbundenen Kampfes gegen die Industrie, die Landwirtschaft und den Konsum einerseits, und der Förderung der Abhängigkeit von russischen Rohstoffen andererseits.

Das Fazit des Publizisten: “Im Herbst”, lesen wir, “stehen die Polen vor einer wichtigen Entscheidung. Sie haben die Wahl zwischen einer Koalition von Deutschland-Enthusiasten - Tusk - und Russland-Fans - Giertych und Kołodziejczak - und auf der anderen Seite von Menschen, die effektiv unsere Position auf der Grundlage einer Allianz mit den USA und Ländern unserer Region aufbauen. Auf der einen Seite stehen Menschen, die uns das Essen von Fleisch, das Fahren von Privatautos und das Fliegen verbieten wollen, und auf der anderen Seite Menschen, die uns wirklich den Traum von einem Haus mit Garten, zwei Autos in der Garage und Urlaub in Ägypten ermöglichen werden. Wir haben die Wahl zwischen einer deutsch-russischen Vergangenheit und einer polnischen Zukunft”, so Bartosz Bartczak in der Gazeta Polska Codziennie. 

Dziennik/Gazeta Prawna: Russische Wirtschaft erholt sich von Kriegsverlusten

Indes erholt sich die russische Wirtschaft zusehends von den Kriegsverlusten, berichtet in der heutigen Ausgabe das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna. Die Sanktionen, so das Blatt, hätten der russischen Wirtschaft nicht langfristig geschadet. Eineinhalb Jahre nach der Invasion in der Ukraine steige die industrielle Produktion, der Einzelhandel verzeichne ein zweistelliges Wachstum und die Arbeitslosenquote sei auf einem historischen Tiefstand.

Im nächsten Jahr, berichtet die Zeitung, werde die Produktion von Gütern und Dienstleistungen in Russland das Niveau von 2021, also von vor dem Beginn der Invasion in der Ukraine, überschreiten. Die Erholung von den Verlusten des letzten Jahres verlaufe gut, da die Ölproduktion weiterhin auf einem hohen Niveau gehalten werde. Russland fördere täglich fast 9,5 Millionen Barrel, nur wenige Prozent weniger als vor dem 24. Februar 2022. Während die EU an einem 12. Sanktionspaket arbeite, belebe sich die Wirtschaft des von Einschränkungen betroffenen Landes wieder. Im zweiten Quartal habe die Wachstumsrate des BIP 4,9 Prozent betragen. Möglicherweise, so die Vermutung einiger Experten, seien die positiven Daten teilweise das Ergebnis kreativer Buchführung. Dennoch würden die neuesten PMI-Indikatoren, die von einem globalen amerikanischen Unternehmen im Privatsektor berechnet werden, davon zeugen, dass die Erholung sowohl im Dienstleistungssektor als auch in der Industrie anhält, so Dziennik/Gazeta Prawna.

Autor: Adam de Nisau