Deutsche Redaktion

"Gute Tradition" vs. "Zeitverschwendung" - was macht Staatspräsident Duda?

18.10.2023 13:02
Nach der Bekanntgabe der offiziellen Wahlergebnisse sind alle Augen auf Staatspräsident Andrzej Duda gerichtet. Wem wird er die Regierungsbildung anvertrauen? Sowohl Opposition als auch die noch Regierenden haben keine Zweifel daran, was die richtige Entscheidung wäre. Außerdem: Die Entfrierung der blockierten EU-Gelder könnte sich auch für EU-Veteran Tusk als schwierig erweisen. Und: Wird sich eine Koalition aus drei Koalitionen auf ein Programm einigen können? Die Einzelheiten in der Presseschau.
Staatsprsident Andrzej Duda
Staatspräsident Andrzej Dudagov.pl

Nach der Bekanntgabe der offiziellen Wahlergebnisse sind alle Augen auf Staatspräsident Andrzej Duda gerichtet. Wem wird er die Regierungsbildung anvertrauen? 

Gazeta Polska Codziennie: PiS sollte mit Regierungsbildung beauftragt werden

Geht es nach Politikern der noch regierenden Recht und Gerechtigkeit PiS, ist es offensichtlich, dass die Partei, die die meisten Stimmen erhalten hat, als erste die Chance erhalten sollte, ein Kabinett vorzuschlagen. So führt etwa der Europaabgeordnete der PiS, Ryszard Czarnecki in seinem Kommentar in der aktuellen Ausgabe der nationalkonservativen Gazeta Polska Codziennie aus, dass das Staatsoberhaupt in der bisherigen Geschichte des demokratischen Polens immer diesem Prinzip gefolgt sei. Er könne sich noch genau daran erinnern, wie Präsident Lech Wałęsa 1991, nach den ersten wirklich freien Parlamentswahlen Prof. Bronisław Geremek mit der Regierungsbildung beauftragt hat, da die Demokratische Union um ein Mandat mehr hatte, als die sozialdemokratische SLD und ein paar mehr als die Katholische Wahlaktion (ZChN) und die Zentrumsallianz, so Ryszard Czarnecki. 

Gazeta Wyborcza: Zeit zu handeln, nicht zu zögern

Politiker der Opposition halten einen solchen Schritt, also grünes Licht für die PiS, für Zeitverschwendung. Herr Präsident, es ist Zeit, zu handeln, nicht zu zögern, appelliert im Aufmacher der linksliberalen Gazeta Wyborcza der Publizist Roman Imielski. Es, so Imielski, sei klar, dass die PiS keine Chance auf eine stabile Mehrheit im Parlament habe. Es liege nun in den Händen des Staatspräsidenten, zur Bildung eines Kabinetts mit einer klaren Mehrheit beizutragen. Andernfalls werde er für unnötiges Chaos verantwortlich sein. Daher sollte Duda schnellstmöglich die Spitzen der Oppositionsparteien zu Konsultationen in den Präsidentenpalast einladen und zeigen, dass er das Staatsinteresse vor das parteipolitische Interesse stellt. Es sei denn, er möchte der PiS nicht nur Zeit für die zum Scheitern verurteilten Versuche geben, einige zukünftige Abgeordnete zu bestechen, sondern auch dafür, die Ministerien und öffentlichen Institutionen von unbequemen Dokumenten zu reinigen, vielleicht sogar für einen letzten Akt der großzügigen Geldvergabe an Verbündete. Obwohl Andrzej Duda in der Vergangenheit mehrmals die Interessen seiner politischen Umgebung über die Interessen Polens gestellt hat, wie das gemeinsame Vorgehen mit der PiS bei der Zerstörung der Rechtsstaatlichkeit und der daraus resultierenden Blockade von Milliarden von Euro im Rahmen des Nationalen Aufbauplans zeige, habe er jetzt die Gelegenheit zu zeigen, dass die Stimme von 11,5 Millionen Bürgern für ihn wichtig ist. Das ist ein äußerst starkes Alibi, um sich nicht dem gescheiterten Plan des PiS-Lagers anzuschließen, so Roman Imielski in der Gazeta Wyborcza. 

Rzeczpospolita: Entfrierung von EU-Geldern einfacher versprochen, als getan

Stichwort EU-Mittel. Der Chef der Bürgerkoalition, Donald Tusk, hat in der Wahlkampagne eine schnelle Überwindung der Blockade der EU-Gelder versprochen. Doch das sei einfacher gesagt, als getan, betont in ihrem Aufmacher die konservativ-liberale Rzeczpospolita. Denn, so die Zeitung, die EU-Kommission erwarte weiterhin die Umsetzung von konkreten Meilensteinen durch Polen, bevor die Mittel freigegeben werden. Und am schwierigsten zu realisieren, werde wohl derjenige sein, der die Reform des disziplinären Systems für Richter betreffe. Die PiS-Regierung, erinnert das Blatt, habe ein Gesetz mit den von der Europäischen Kommission geforderten Punkten vorbereitet, aber dieses sei von Staatspräsident Andrzej Duda an das Verfassungsgericht weitergeleitet worden. Dort stecke es nun aufgrund eines institutionellen Stillstands fest. Die Frage sei, wie die neue Regierung, bestehend aus der Bürgerkoalition (KO), dem Dritten Weg (TD) und den Linken, das Verfahren vor dem Verfassungsgericht entsperren könnte, wenn dieses Kunststück der PiS nicht gelungen sei, obwohl sie direkten Einfluss auf die Chefin des Verfassungsgerichts Julia Przyłębska habe? Wie könnten eventuelle andere gesetzliche Änderungen durchgeführt werden, die den gleichen Effekt haben könnten, wenn sie vom mit der PiS verbundenen Präsidenten blockiert würden? “Bereits Szynkowski vel Sęk (Minister für europäische Angelegenheiten in der PiS-Regierung) hat darüber nachgedacht, ob es möglich ist, die Meilenstein-Bestimmungen ohne das Gesetz umzusetzen. Aber es ist nicht gelungen, eine solche Möglichkeit zu finden”, zitiert das Blatt eine Quelle aus Brüssel. 

Die Regierung, fährt die Zeitung fort, könnte daher versuchen, die Europäische Kommission davon zu überzeugen, dass sie dasselbe Ziel auf eine andere Weise erreichen wird. Der neue Justizminister könnte etwa zu einer tatsächlichen Einstellung der Schikanen gegenüber Richtern führen, die in der Vergangenheit von der Disziplinarkammer des Obersten Gerichtshofs bestraft worden seien, sowie gegenüber denen, die sich in ihren Urteilen direkt auf das europäische Recht berufen. In Kombination mit einer klaren Erklärung der Regierung, die die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit unterstütze, könnte dies vielleicht ausreichen, um mit den Auszahlungen aus dem Nationalen Wiederaufbauplan (KPO) zu beginnen. Dies gelte umso mehr, da sich in der Vergangenheit mehrmals gezeigt habe, dass das letzte Wort in dieser Angelegenheit nicht einzelne Kommissare haben, sondern Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Sie könnte die Angelegenheit politischer behandeln, benötige jedoch trotzdem einen Vorwand, um der Freigabe der Gelder zuzustimmen, so Rzeczpospolita. 

Gazeta Wyborcza: Morgen Kiew, übermorgen Brüssel

Ein weiteres Schlüsselziel der neuen Regierung sollte eine rasche Verbesserung der generellen Beziehungen zu Kiew und Brüssel sein, urteilt in seinem Kommentar für die Gazeta Wyborcza der Publizist Bartosz Wieliński. Hier, so der Autor, habe die PiS große Schäden angerichtet, unter anderem als sie im Kampf um Stimmen der rechtsextremen Konfederacja auf der letzten Zielgeraden der Wahlkampagne eine anti-ukrainische Schiene eingeschlagen habe. Entsprechende Signale, dass Polen seinen angemessenen Platy am europäischen Tisch einnimmt, sollten laut Wieliński schon jetzt, und nicht erst nach der Regierungsbildung, aus Warschau gesendet werden. Und diese Mission müsse Donald Tusk übernehmen. Tusk, so Wieliński, genieße Ansehen in Europa, habe Kontakte und sei handlungsfähig. Daher sollte er, noch bevor er Ministerpräsident werde, so schnell wie möglich nach Kiew reisen und den Ukrainern versichern, dass ein freies Ukraine in der EU für Polen überlebenswichtig ist. Und dass die neue polnische Regierung alles in ihrer Macht Stehende tun wird, um die Ukraine im Krieg gegen Russland zu unterstützen. 

Er sollte auch so schnell wie möglich nach Brüssel fahren, um das Vertrauen zwischen Polen und der Europäischen Union wiederherzustellen. Ja, Polen benötige die mehr als 30 Milliarden Euro aus dem Aufbaufonds, die aufgrund der Verletzung der Rechtsstaatlichkeit durch die PiS eingefroren worden seien. Aber vor allem müsse Europa gezeigt werden, dass Polen zu ihm zurückgekehrt ist. Dass Populismus, genährt von menschlicher Angst, durch die Mobilisierung von Menschen guten Willens besiegt werden kann. Auf ein solches Signal und eine solche Hoffnung würden nicht nur die Ungarn warten. Nationalistische Populisten seien in ganz Europa auf dem Vormarsch. Polen habe gezeigt, dass man sie stoppen könne, so Wieliński. 

Gazeta Polska Codziennie: Entweder eine Koalition mit der PiS, oder Chaos

Falls keine der Oppositionsparteien mit der PiS koalieren werde, drohe Polen, im Chaos zu versinken, überzeugt ihre Leser indes die Gazeta Polska Codziennie. Der Grund: Wenn die Opposition eine Regierung bilden wolle, brauche sie eine Koalition von mindestens drei Parteien, die allesamt ebenfalls Koalitionen seien. “Es gibt dort insgesamt etwa 11 Fraktionen. Es ist eine riesige Mischung aus Menschen mit unterschiedlicher Geschichte, Persönlichkeiten, Ideologien und Strömungen, die oft nicht übereinstimmen oder sich sogar gegenseitig ausschließen”, kommentiert ein eventuelles Kabinett der Oppositionsparteien Professor Mieczysław Ryba von der Katholischen Universität Lublin (KUL). Ryba sieht die Gründe für die Veränderungen auf der politischen Szene in der Naivität junger Wähler. Es seien Personen in den “Wahlmarkt” eingestiegen, die zuvor nie gewählt und dies nun reflexionslos getan hätten. “Für diese Wählergruppe zählt die Präsenz in sozialen Medien, auf TikTok, und nicht die Leistungen”, so Professor Ryba. 

Infolge der Pluralität von Ansichten in den Oppositionsreihen, werde es bei der Regierungsbildung Spannungen auf jeder Ebene geben, insbesondere in personellen und programmatischen Fragen. In personellen Angelegenheiten würden sich die Parteien wahrscheinlich noch einigen können, aber beim Thema Programm könne es sehr schwierig werden. “Was werden sie umsetzen und was nicht? Dies sind sehr komplexe Fragen. Wenn es tatsächlich nicht zu einer solchen Regierungsbildung kommt, wird sie meiner Meinung nach aus Menschen bestehen, die sich selbst diskreditieren”, so Professor Ryba im Gespräch mit Gazeta Polska Codziennie. 

Autor: Adam de Nisau