Deutsche Redaktion

Debatte über EU-Reform: Polen als weiteres Bundesland?

22.11.2023 10:04
Die europäische Diskussion über die Änderung der EU-Traktate erhitzt die Gemüter in Polen. Während die einen von einer Abschaffung der Nationalstaaten sprechen, erinnern die anderen an ein schmerzhaftes Kapitel aus der polnischen Geschichte, das ihrer Meinung nach zu einem ganz anderen Fazit führen sollte. Und: Die polnische Nationalmannschaft spielt angesichts ihrer schwachen Leistung vor zunehmend leeren Tribünen. Die Einzelheiten in der Presseschau.
ИллюстрацияФото: carlo deviti/ Shutterstock

DZIENNIK/GAZETA PRAWNA: Polen als ein weiteres Bundesland

Die europäische Diskussion über die Änderung der EU-Traktate erhitze die Gemüter in Polen. Donald Tusk habe angekündigt, dass alle polnischen Europaabgeordneten, die mit ihm zusammenarbeiten, gegen die Annahme des Berichts mit Änderungsanträgen stimmen würden. Nicht, weil er gegen die Vertiefung der europäischen Integration sei, sondern wegen des Tempos. Er habe auch hinzugefügt, dass Europa an vielen Stellen Reparaturen brauche, aber die dümmste Methode wäre, der sehr naiven Integrationsbegeisterung zu verfallen, lesen wir in der Tageszeitung Dziennik/Gazeta Prawna.

Zu den Worten von Tusk habe, wie wir weiter lesen, die ehemalige Premierministerin und Europaabgeordnete der noch regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit, Beata Szydło, Stellung bezogen. Tusk, so die Politikerin, habe angekündigt, dass die mit ihm kooperierenden Parlamentarier gegen die Veränderung der europäischen Verträge stimmen würden, weil er Angst vor der Reaktion der Polen habe – und das zu Recht. Aber das sei nur ein taktischer Trick. Denn gleichzeitig wisse Tusk genau, dass seine Kollegen von der Europäischen Volkspartei die Änderung der Verträge unterstützen wollen, was wahrscheinlich zu ihrer Zustimmung im EP führen werde. Wenn Tusk wirklich gegen die Änderungen sei, sollte er seine Freunde von der Weber-Gruppe bitten, ebenfalls dagegen zu stimmen, meint Beata Szydło.

Geht es nach Jacek Saryusz-Wolski von der PiS-Partei, werde die Reform in ihrer vorgeschlagenen Form einen europäischen Superstaat schaffen, der die Mitgliedstaaten in die Rolle von Regionen verbanne. Dies geschehe unter dem Vorwand, die Erweiterung vorzubereiten, aber alles, was bleibe, sei ein Veto gegen die Erweiterung. Das sei der Gipfel der Heuchelei, meint der Politiker und fügt hinzu, dass es auch undemokratisch sei, weil es den Mitgliedstaaten, in denen die Demokratie am besten funktioniere, Entscheidungen entziehe und sie auf die europäische Ebene verlagere, wo das größte Demokratiedefizit bestehe und es keinen europäischen Demos gebe, lesen wir in der Tageszeitung Dziennik/Gazeta Prawna.

RZECZPOSPOLITA: Die Vorteile der Traktats-Änderung

Die derzeitige Einstimmigkeit oder das Liberum Veto sei die schlimmste Form der Demokratie, die zum Untergang der Ersten Polnischen Republik – einer Großmacht im Zentrum Europas – geführt habe, lesen wir indes in der Tageszeitung Rzeczpospolita. Auf europäischer Ebene brauche man mehr Demokratie, damit die Europäische Union effektiv auf die aktuellen Herausforderungen in den Bereichen Wirtschaft, Energie, Klima und Migration reagieren könne und um ein starker Partner der Weltmächte Russland und China zu werden. Auch in den Beziehungen zu den autokratisch regierten Iran und Syrien und in Bezug auf die demografische Bombe in Afrika sei ein stärkeres Europa notwendig. Kein EU-Mitgliedstaat sei in der Lage, die aktuellen Bedrohungen und Herausforderungen allein zu bewältigen.

Wer das Liberum Veto auf EU-Ebene verteidige, schwäche die Union, lähme und marginalisiere ihre Rolle in der Welt, lesen wir weiter. Autokraten in Moskau, Peking und Teheran seien froh, dass Europa schwach sei. Aufgrund des Einstimmigkeitsgebots in der Außen- und Verteidigungspolitik spiele die EU keine wichtige Rolle bei der Lösung von Konflikten in ihrem unmittelbaren Umfeld: im ehemaligen Jugoslawien, in Syrien, Karabach und Libyen. Aufgrund des Liberum-Vetos sei die militärische und finanzielle Hilfe für die Ukraine gefährdet. Ungarn habe die Hilfe für Polens Nachbarn, der gegen die russische Aggression kämpfe, bereits mehrfach geschwächt, verzögert und verwässert. Die neue Regierung in der Slowakei stehe der Hilfe für die Ukraine ebenfalls skeptisch gegenüber.

Die PiS posaune, dass die Befürworter einer Vertragsrevision die Nationalstaaten liquidieren wollten – sie alarmiere, dass Polen seine Unabhängigkeit verliere und zu einem weiteren Bundesland werde. Der Übergang zur qualifizierten Mehrheit bedeute aber nicht, dass die Nationalstaaten verschwinden würden. Der Premierminister und die Minister würden Polen weiterhin im EU-Rat und im Europäischen Rat vertreten, sie würden abstimmen und Entscheidungen treffen. Allerdings entfalle in vielen Fällen das Liberum Veto. Die Politiker müssten dann miteinander auskommen, argumentieren und überzeugen können. Die Vorteile der Aufhebung des Vetos liegen klar auf der Hand, schreibt die Tageszeitung Rzeczpospolita.

SUPER EXPRESS: Leere Tribünen

Die Qualifikationsrunden der polnischen Nationalmannschaft zur Europameisterschaft würden sicherlich in die Geschichte eingehen, schreibt die Tageszeitung Super Express in ihrem Sportteil. Die Weiß-Roten sind in die Gruppe E eingeordnet worden, wo sie mit der Tschechischen Republik, Albanien, Moldawien und den Färöer-Inseln um den gewünschten Aufstieg zur EM 2024 in Deutschland kämpften.

Die Gruppe sollte ein „Spaziergang im Park“ sein, doch das Erwachen war brutal, erinnert das Blatt. Nach der Entlassung von Czesław Michniewicz habe man Fernando Santos, der in der Vergangenheit unter anderem den Europameistertitel mit Portugal gewonnen hatte, als Trainer der polnischen Nationalmannschaft verpflichtet. Leider habe die Mannschaft um Robert Lewandowski gegen Tschechien, Moldawien und Albanien verloren und verzeichnete zudem zwei Unentschieden, sodass sie nicht mit einem direkten Aufstieg zur Europameisterschaft 2024 rechnen konnte.

Beim Freundschaftsspiel zwischen Polen und Lettland sei aufgrund der letzten peinlichen Spiele in der EM-Qualifikation nicht mit einem größeren Fanandrang zu rechnen gewesen. Dies sei besonders deutlich geworden, als die Spieler das Spielfeld betraten und die Kameraleute beschlossen, eine Aufnahme zu machen, die das gesamte Stadion zeigte. Riesige Leere habe die polnische Mannschaft begrüßt, stellt das Blatt fest.

Autor: Jakub Kukla