Deutsche Redaktion

"Scholz, der unglaubwürdige Föderalist"

27.11.2023 13:18
Ein wichtiges Thema in der Presse ist die für heute Nachmittag angekündigte Vereidigung der neuen Regierung Morawiecki. Während die nationalkonservative Presse noch nicht alle Hoffnung auf eine dritte Amtszeit der PiS aufgibt, rechnen liberaler eingestellte Kommentatoren die Kosten der von den meisten als "14-Tage Regierung" bezeichneten Kabinetts vor - sowohl die finanziellen für den Steuerzahler, als auch die Image-Kosten für den Staatspräsidenten. Außerdem geht es auch um den Vorschlag einer EU-Reform, dessen Annahmen bei Weitem nicht nur von den nationalkonservativen Medien in Polen scharf kritisiert werden.
German Chancellor Olaf Scholz.
German Chancellor Olaf Scholz. Photo: PAP/EPA/PHILIP SINGER

Gazeta Polska Codziennie: Regierung der Vereinigten Rechten komplett

Heute Nachmittag wird Staatspräsident Andrzej Duda die neue Regierung Morawiecki vereidigen. Die nationalkonservative Gazeta Polska Codziennie würdigt das Ereignis mit einem Handshake-Foto des Staatspräsidenten und amtierenden Ministerpräsidenten auf der Titelseite. “Regierung der Vereinigten Rechten komplett” ist im Aufmacher unter dem Bild beider gut gelaunter Politiker zu lesen. Das Kabinett, so die Zeitung, werde kleiner sein als das vorherige, zudem sollen auch mehr Frauen Ministerposten übernehmen. Und auch, wenn die Mission von Premierminister Morawiecki scheitern sollte, werden die kommenden Tage eine ernsthafte Investition der Recht und Gerechtigkeit in die Zukunft sein, erklärt den Lesern der Politikwissenschaftler Dr Andrzej Anusz. Zudem könne bis zur Vorstellung des Exposees in zwei Wochen noch viel auf der politischen Bühne geschehen, so Anusz. 

Mit diesem Optimismus steht die Gazeta Polska Codziennie auf der medialen Szene in Polen relativ einsam da. In den meisten meinungsbildenden Medien wird das heute vereidigte Kabinett, auch da keine der politischen Gruppierungen sich zu Gesprächen über eine Koalition mit der PiS bereit erklärt hat, als ein Kabinett für zwei, drei Wochen bezeichnet. 

Gazeta Wyborcza: Verschwendung von Zeit und Geld

Der Publizist der linksliberalen Gazeta Wyborcza rechnet vor, wie viel diese zwei bis drei Wochen den polnischen Steuerzahler kosten werden. Durchschnittlich, so Czuchnowski, verdiene ein Minister etwa 17.000 Złoty. 17 Ministerien plus der Premierminister und der Chef seines Büros (im Rang eines Ministers) würden für einen Monat 323.000 Złoty ergeben. Dazu würden die monatlichen Abfindungen kommen, also insgesamt 646.000 Złoty. Nicht viel? Im Vergleich zu den riesigen Summen, die in den letzten Jahren von diesem Team verschwendet worden seien, so der Autor, z. B. für die Umschlagwahlen (70-100 Millionen Złoty) oder das sinnlose Referendum (mindestens 20 Millionen Złoty), sei das tatsächlich eine geringe Summe. Aber für den Durchschnittsbürger sei es sehr viel Geld. Es gehe übrigens auch nicht wirklich um das Geld. Einfache Anständigkeit würde es erfordern, der Gesellschaft zu zeigen, dass es Grenzen für die Verschwendung öffentlicher Gelder gibt. Und dass es in der Politik um mehr geht als nur darum, sich zu „bereichern“, so Wojciech Czuchnowski in der Gazeta Wyborcza.

Rzeczpospolita: Staatspräsident Duda verspielt Vertrauen

Mit dem Regierungsauftrag an Morawiecki hat der Staatspräsident auch dem eigenen Image geschadet, berichtet indes die konservativ-liberale Rzeczpospolita unter Berufung auf eine aktuelle Studie des Meinungsforschungsinstituts IBRiS. Laut der Umfrage, lesen wir, würden 58,8 Prozent der Polen das Verhalten des Staatsoberhaupts gegenüber der neuen parlamentarischen Mehrheit negativ bewerten. Seine Handlungen würden hauptsächlich Unterstützung bei den Wählern der PiS finden. Die schlechtesten Bewertungen würden von Anhängern der Konföderation stammen (72% eher negativ), gefolgt von Symphatikern der Bürgerkoalition (41% eher negativ, 57% sehr negativ), des Dritten Wegs (57% eher negativ, 26% sehr negativ) und der Linken (50% eher negativ, 44% sehr negativ). Geht es nach dem Experten für politisches Marketing, Dr. Mirosław Oczkoś, würden die Imageprobleme von Andrzej Duda daraus resultieren, dass er sich zu sehr mit der PiS verbunden hat, gegen die die Mehrheit der Wähler gestimmt hatte. Der Experte nimmt an, dass die Zustimmungswerte des Präsidenten sinken werden, ebenso wie die der Partei Kaczyńskis, die zunehmend größeren Problemen gegenüberstehen werde.

Er habe keine Ahnung, was das weitere Schicksal von Andrzej Duda sein werde, schreibt in seinem Kommentar zu dem Thema der Chefredakteur der Rzeczpospolita Bogusław Chrabota. Auf eine Karriere in internationalen Organisationen zähle er wahrscheinlich nicht mehr. Zum effektiven Kampf um die Nachfolge von Kaczyński habe er keine Prädispositionen. Das Einzige, was ihn interessieren sollte, so der Autor, sei ein würdiger Platz in der Geschichte. Aber dazu müsse er sich an den präsidentiellen Eid erinnern. Darin gehe es um Treue gegenüber der Verfassung, der Würde der Nation und dem Wohl (aller) Bürger. Von einer Partei sei darin keine Rede. Andrzej Duda habe das bis heute nicht bemerkt, so Bogusław Chrabota in der Rzeczpospolita. 


Dziennik Gazeta Prawna: Scholz, der unglaubwürdige Föderalist

Neben der Regierungsbildung bleibt auch die vom EU-Parlament vorgeschlagene EU-Reform ein wichtiges Thema der Pressekommentare. Und die kritischen Stimmen sind zum mit einer knappen Mehrheit abgesegneten Vorschlag bei Weitem nicht nur in der nationalkonservativen Presse zu finden. Wie die Publizisten Marceli Sommer und Mateusz Roszak in der aktuellen Ausgabe des Wirtschaftsblatts Dziennik Gazeta Prawna erinnern, sollen die von Deutschland und Frankreich vorangetriebenen Vertragsänderungen die EU eigentlich auf den Wettbewerb mit den USA und China vorbereiten. Das Problem sei jedoch, dass die hochtrabenden Bekundungen über die Einheit der EU nicht die Realität der deutschen Europapolitik widerspiegeln, die in den letzten Jahren häufig einer Vertiefung gemeinsamer EU-Politiken im Wege stand. Besonders deutlich werde dies in Berlins Neigung, nationale Unternehmen zulasten des EU-Marktes zu subventionieren.

Wie die Autoren zugeben, stehe Polen vor der Herausforderung, seine bisherige Politik des Widerstands gegen eine föderalisierte und segmentierte EU zu überdenken, insbesondere in Bezug auf die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten. In einer EU, die bald 30 Mitglieder zählen könnte, würden entweder differenzierte Standards oder eine stärkere Integration zur Debatte stehen. Aber auch Berlin und Paris, lesen wir weiter, müssten auf etwas verzichten und könnten nicht zugleich einen Konsens zu neuen Verträgen erwarten und auf der Aufrechterhaltung alter Hierachien beharren. Die Befürworter der Reform müssten sich bewusst werden, dass alle erfolgreichen föderativen Projekte in der Geschichte auf der Selbsteinschränkung der stärksten Zentren beruht hätten, nicht auf ihrer bedingungslosen Dominanz. Für die Union mit ihrer Vielfalt an Sprachen, Kulturen und Institutionen müsse dies umso mehr gelten. Wenn die Pläne einer politischen Integration der EU nicht das Schicksal der gescheiterten EU-Verfassung teilen sollen, lesen wir, dann müssen alle Staaten zu den Arbeiten an der Reform eingeladen werden. Und die Befürchtungen der kleineren und mittleren EU-Staaten würden nicht an den Rand, sondern in den Mittelpunkt dieser Diskussion gehören. 

Bisher, argumentieren die Autoren, habe die EU-Reform derweil mit Deutschland nicht nur der stärkste Staat am vehementesten vorangetrieben, sondern auch derjenige, der in den letzten Jahren immer wieder gezeigt habe, dass er nicht bereit ist, Zugeständnisse gegenüber Partnern zu machen oder auch nur ihre Argumente zu hören. Und einer, der sich auf die Entwicklung gemeinsamer Institutionen nur widerwillig und unter eigenen Bedingungen eingelassen habe. Denn Deutschland wolle die Vorteile der Führungsrolle genießen, ohne die damit verbundene Verantwortung und Einschränkungen zu tragen. All dies geschehe in einem Moment, in dem Europa gerade erkannt habe, dass Berlin in den letzten Jahren in vielen Bereichen falsch lag. Die gesamte Ostpolitik, Beziehungen zu Russland und China, Energie- und Migrationspolitik – in all diesen brisanten Bereichen hätten die Deutschen eine feste Position eingenommen, die sie in der EU meist mehr oder weniger durchsetzen konnten. Die Karawane sei weitergezogen, auch wenn die Hunde bellten. Leider sei die Karawane auf ein ernsthaftes Problem in Form von Russland gestoßen. Und obwohl Berlin sich lange widersetzt habe, musste es letztendlich seinen Kritikern Recht geben und eine symbolische Wende, die Zeitenwende, ankündigen.

Habe der EU-Mainstream aus diesen Erfahrungen irgendetwas gelernt? Wahrscheinlich nicht viel. Die heute vorgeschlagenen Vertragsänderungen würden sich kaum von den vor 5 und 10 Jahren diskutierten Forderungen unterscheiden und würden – vielleicht mit Ausnahme des unglücklichen Vetorechts in der internationalen Politik – nicht den Herausforderungen entsprechen, die zunächst die Pandemie und dann der Krieg mit sich gebracht hätten. Die Art und Weise, in der sie durchgesetzt werden, deute zudem darauf hin, dass auch die Arroganz und Selbstgefälligkeit der führenden Mächte nicht nachgelassen haben.

Eines, so die Autoren, müsse man den Deutschen zugestehen. Sie würden wenigstens etwas vorschlagen. Im Gegensatz zu Warschau, Prag und ganz zu schweigen von Budapest. Unsere scheidende Mannschaft habe nur ewige Beschwerden und passiven Widerstand zu bieten gehabt. Die Regierungen der kleineren Staaten Mittel- und Osteuropas – Lavieren und transaktionale Politik, so Marceli Sommer und Mateusz Roszak in Dziennik/Gazeta Prawna. 

Autor: Adam de Nisau