Deutsche Redaktion

"Frankreich ändert den Ton gegenüber Putin"

28.02.2024 11:39
Natürlich kommentieren die Zeitungen in ihren heutigen Ausgaben den gestrigen Protest der Landwirte in Warschau. Auch die Aussage von Macron, der über einen Bodentruppeneinsatz in der Ukraine spekulierte, hat hohe Wellen geschlagen. Während die Aussage in Deutschland eher als erneutes Vorpreschen des französischen Staatspräsidenten dargestellt wird, sehen polnische Publizisten darin ein gut überlegtes und strategisches Signal an Moskau. Die Einzelheiten in der Presseschau.
Emmanuel Macron
Emmanuel MacronFoto: PAP/EPA/GONZALO FUENTES / POOL

Gazeta Polska Codziennie: Landwirte zeigen Stärke

Die nationalkonservative Gazeta Polska Codziennie bezeichnet den Sternmarsch in ihrem Aufmacher enthusiastisch als größten Bauernprotest im XXI. Jahrhundert. Tausende Demonstranten aus ganz Polen, lesen wir auf der Titelseite, seien gestern durch Warschau marschiert und hätten einen Verzicht auf die Annahmen des Green Deals und ein Embargo für ukrainisches Getreide gefordert. Mit den Protestierenden, betont die Zeitung, hätten sich weder der Landwirtschaftsminister noch der Premierminister getroffen. Eine Delegation der Bauern habe dafür mit Sejmmarschall Szymon Hołownia gesprochen. Die Regierung beginne die Realisierung der Postulate zu erwägen, aber konkrete Vorschläge gebe es immer noch keine. Und ohne sie würden die Proteste nicht aufhören, so Gazeta Polska Codziennie. 

Rzeczpospolita: Grüne Wut in der Hauptstadt

Die meisten Protestierenden würden die Bestimmungen, gegen die sie demonstrieren, nicht benennen können. Viele dieser Bestimmungen seien suspendiert oder noch nicht in Kraft getreten, beobachtet in ihrem Aufmacher die konservativ-liberale Rzeczpospolita. Woher also die Ablehnung des Green Deals? Die Landwirte, so die Zeitung, würden das Pogramm nicht akzeptieren, da es während der Pandemie entstanden und nicht mit ihnen konsultiert worden ist. 

“Was treibt die Proteste an? Meiner Meinung nach ist es eine Kombination aus zwei Dingen – das erste ist das Kommunikationsdesaster der EU und des Landwirtschaftskommissars Janusz Wojciechowski, der es versäumt hat, Europa über die Tragweite des umgesetzten Projekts zu informieren, und um das Programm herum weder eine Kommunikationsfront, noch eine politische Front aufgebaut hat”, sagt der Leiter des Agro-Bankwesens bei BNP Paribas, Bartosz Urbaniak. “Und das zweite ist die russische Desinformation, die den Grünen Deal bekämpft, denn keine andere Wirtschaft außer der russischen ist so abhängig von fossilen Brennstoffen”, so Urbaniak. Geht es nach dem Experten, seien die EU-weiten Proteste auch ein Zeichen der Unzufriedenheit darüber, dass die Europäische Union die Pläne für ihre Branche nicht mit den Landwirten konsultiert. “Jetzt ernten EU-Beamte die Früchte dieser Nachlässigkeit, und die Umsetzung des Grünen Deals steht in Frage.” Die EU-Kommission habe erst jetzt Konsultationen eingeführt, aus der gesamten EU seien bereits 500 Meldungen eingegangen, so Rzeczpospolita. 

Rzeczpospolita: Frankreich ändert den Ton gegenüber Putin

Außer den Protesten hat auch die Aussage von Frankreichs Staatspräsídent Macron, der über einen Bodentruppeneinsatz in der Ukraine spekulierte, in den polnischen Medien hohe Wellen geschlagen. In deutschen Medien ist unter anderem von “ausnahmsloser Kritik” an dem Vorstoß die Rede. In Polen sieht die Situation anders aus. Premierminister Tusk hat zwar am Rande seiner Prag-Visite versichert, Polen sehe keine Entsendung von Truppen in die Ukraine vor, doch laut Quellen der Rzeczpospolita, hätten eben Polen gemeinsam mit den baltischen Staaten postuliert, dass in Paris “alle Optionen erwogen werden”. In den ersten zwei Jahren des Kriegs sei Macron in Bezug auf Russland einer der vorsichtigsten Politiker Europas gewesen und habe stets eine Eskalation des Konflikts gefürchtet. Nun habe er seine Meinung offenbar radikal geändert, schreibt in seinem Kommentar für die Rzeczpospolita der Publizist Jędrzej Bielecki. Dafür, so der Autor, gebe es mehrere Gründe.  

Der Ausgangspunkt sei die zunehmend schwierige Situation der Ukraine nach dem Fall von Awdijiwka. Kiew habe mit dramatischen Munitionsmängeln zu kämpfen, und der US-Kongress blockiere seit Oktober die militärische Unterstützung für die Ukrainer. Europa verfüge indes noch nicht über ausreichende Produktionskapazitäten, um diese Lücke zu schließen. Macron befürchte daher, dass Russland dies als den Moment betrachten könnte, um der Ukraine den entscheidenden Schlag zu versetzen. Darüber hinaus würden die Franzosen nicht mehr ausschließen, dass Putin im Falle eines Sieges in diesem Krieg weitergehen und die NATO angreifen könnte, insbesondere wenn Donald Trump ins Weiße Haus zurückkehre. Aus der französischen Analyse, lesen wir, gehe hervor, dass selbst Frankreich, obwohl es Atomwaffen besitze, nicht sicher wäre. Ein endgültiger Kampf mit Russland, wenn es dazu kommen müsse, sollte daher besser am Dnjepr als an der Weichsel oder der Seine ausgetragen werden. Der Kreml würde nur dann nachgeben, wenn er zu dem Schluss komme, dass der Westen in dieser Konfrontation nicht nachlassen wird. 

Dies bedeute jedoch nicht, dass Paris auf eine Nullsummenoption gesetzt hat. Frankreich könne Ausbildungstruppen in die Ukraine schicken oder Werkstätten zur Reparatur ukrainischer Waffen organisieren. Über die französische Entschlossenheit soll auch die Entscheidung zeugen, Langstreckenraketen zu schicken, was Deutschland bisher ablehne. Und die Teilnahme an der tschechischen Initiative zum Kauf von Munition für Kiew außerhalb Europas. Der Einsatz von NATO-Kampftruppen bleibe eine absolute Notlösung. Aber eine, die Putin nicht mehr ausschließen könne, so Jędrzej Bielecki in der Rzeczpospolita.

Gazeta Wyborcza: Frankreich schließt NATO in der Ukraine nicht aus

Die Worte von Macron seien definitiv ein Warnsignal an Putin, in der Ukraine Vorsicht walten zu lassen und etwa auf chemische Waffen oder taktische Atomwaffen zu verzichten, urteilt auch der Publizist der linksliberalen Gazeta Wyborcza, Bartosz Wieliński. Es sei aber auch ein Signal an den Kreml, es außerhalb der Ukraine nicht zu weit zu treiben. Es habe Signale gegeben, dass Putin, da er Aleksiej Nawalny liquidiert habe, auch andere Gegner verfolgen könnte, auch wenn diese sich im Westen verstecken. Dass zum Beispiel erneut Nowitschok eingesetzt werden könnte. Das wäre eine echte rote Linie und eine weitere Operation dieser Art auf NATO-Gebiet könnte zu einer entschiedenen Antwort führen, so Bartosz Wieliński in der Gazeta Wyborcza. 

Autor: Adam de Nisau